Tumorerkrankungen ohne derzeitige kurative Optionen: Herausforderungen für Überlebende

Verbesserungen in der Behandlung resultieren in immer mehr und immer länger Überlebenden metastatischer Krebserkrankungen. Diese Patienten sind einer Reihe medizinischer und psychosozialer Schwierigkeiten ausgesetzt, die eingeplant und adäquat versorgt werden müssen.

Verbesserungen in der Behandlung resultieren in immer mehr und immer länger Überlebenden metastatischer Krebserkrankungen. Diese Patienten sind einer Reihe medizinischer und psychosozialer Schwierigkeiten ausgesetzt, die eingeplant und adäquat versorgt werden müssen.

Noch vor Zeiten teilte man Personen bei Diagnose einer metastatischen Tumorerkrankung mit, ihre Angelegenheiten zu ordnen und das war es im Wesentlichen. Inzwischen hat sich in Forschung und Therapie so viel getan, dass eine solche Diagnose keinem sofortigen Todesurteil mehr gleichkommen muss. Viele der Patienten, die früher binnen weniger Monate verstorben wären, leben nun etliche Jahre weiter. Dass auch das nicht unbedingt einfach ist, illustriert ein aktueller Artikel im New England Journal of Medicine. Zwei Männer "vom Fach" verdeutlichen anhand ihrer eigenen Beispiele, dass es mehr Wahrnehmung und Forschung hinsichtlich der Bedürfnisse und Probleme dieser stetig zunehmenden Patientenpopulation bedarf.1,2

Dringende Notwendigkeit, dieser wachsenden Population mehr Aufmerksamkeit zu widmen

Langfristig Überlebende metastatischer Krebserkrankungen sind unzureichend erforscht, obwohl Diagnosen unheilbarer Tumore in den kommenden Jahren beträchtliche Auswirkungen auf die Angehörigen, auf die Arbeitsplätze und auf die Ressourcen des Gesundheitssystems haben werden.

Terry Langbaum, langjähriger Tumorzentrum-Administrator und Leiter des National Comprehensive Cancer Network, hat über die vergangenen 37 Jahre hinweg vier unterschiedliche Krebsdiagnosen überlebt und ist nun an einem therapierefraktären, strahleninduzierten Sarkom erkrankt. Dr. Thomas Smith ist Professor für Onkologie und Palliativmedizin und leidet selbst an einem rezidivierten Prostatakarzinom mit lebensbedrohlichen Nebenwirkungen von Operation, Radiatio und ADT. Wie für Millionen anderer Krebsüberlebender (für 2040 wird ihre Anzahl allein in den USA auf 26 Mio. geschätzt), hat sich ihr privates und berufliches Leben unwiederbringlich verändert.

Wenige Monate nach totaler Androgen-Blockade trat bei Smith eine gravierende Depression erneut auf, die zuvor jahrzehntelang inapparent war. Schwere Stimmungsschwankungen und Suizidgedanken brachten ihn dieses Mal ins Krankenhaus.
Sein Behandlungsteam war überrascht zu erfahren, dass diese weit verbreitete Therapie das relative Risiko für Depressionen um 41% erhöht. Dem waren eine schwere und potentiell lebensbedrohliche TIA (möglicherweise therapiebedingt) sowie Monate hartnäckiger und massiver Hitzewallungen und Insomnie durch die ADT vorausgegangen. Smith hofft, dass andere Betroffene Vorwarnungen oder rechtzeitige Überweisungen erhalten, um Nebenwirkungen zu verhindern oder wenigstens zu reduzieren.1

Überleben, aber um welchen Preis?

Während es für erfolgreich therapierte Tumorpatienten klare Leitlinien zu Nachsorge und Management nicht tumorbedingter Diagnosen gibt, stellen die Autoren die Frage, wie relevant bspw. Prävention und Screening für andere Erkrankungen bei Patienten wie ihnen sind. Macht es wirklich Sinn, ein Statin zu nehmen, wenn man nicht einmal weiß, ob es noch lohnt, einen Sommerurlaub zu buchen und wenn man sowieso schon mit den additiven Wechselwirkungen und Toxizitäten diverser Medikationen zu kämpfen hat?

Immer mehr Patienten mit zahlreichen Tumorarten, die früher in kürzester Zeit den Tod bedeutet hätten, leben nun jahrelang unter Therapie weiter, aber um einen sehr hohen Preis. Auch personalisierte oder genbasierte Therapieansätze wirken nur bei einem sehr geringen Teil der Patienten (aktuell 6,6%3) und nur für begrenzte Zeiträume. Schwere und sogar fatale Komplikationen sind mit einigen dieser Behandlungen assoziiert und treten außerhalb von Studien deutlich häufiger auf. Bspw. entwickelten 19% der nicht in Studien eingeschlossenen Patienten unter Checkpoint-Blockade eine Pneumonitis, dagegen in den Studien nur 3–5%.4

Und wie werden unsere Systeme mit dem wachsenden Mangel an Gesundheitsdienstleistern und den steigenden Kosten umgehen? Leider kosten viele neue Therapien mehr als 10.000 $ pro Monat. Möglicherweise wird ein immer größerer Teil der finanziellen Bürde an den Patienten hängen bleiben, wie es in einigen Ländern bereits der Fall ist. In den USA, so schreiben die Autoren, kann ein Patient gewissermaßen in seinem aktuellen Job "gefangen" sein, nur um den Versicherungsschutz nicht zu verlieren.

Mischung aus Hoffnung und ständiger Unsicherheit

Smith sieht in seinem Verlauf ein deutliches Beispiel dafür, wie schlecht vorbereitet Patienten und Behandler sind, die mit dem neuen Grenzgebiet des Überlebens metastatischer Krebserkrankungen konfrontiert sind.

Neben den unmittelbaren medizinischen Konsequenzen, gehen Smith und Langbaum auch auf die psychosozialen, emotionalen, körperlichen und finanziellen Belastungen ein, der sich diese wachsende Population von Tumorüberlebenden gegenübersieht. Sehr wenige Studien beschäftigen sich damit, wie den Betroffenen mit diesen Schwierigkeiten am besten zu helfen ist. Von anderen lebensverkürzenden Erkrankungen entlehnte Coping-Mechanismen, Therapien zur Verringerung von Gefühlen des Kontrollverlustes und der Verzweiflung, Anbieten von Unterstützungsmechanismen sowohl für Patienten als auch Behandler und eine gute Abstimmung zwischen Primärversorgung, Onkologie und Palliativmedizin könnten allesamt die Erfahrung für den Patienten verbessern.1 Gute Paradebeispiele hierfür sind z. B. die "meaning-centered psychotherapy” oder "dignity therapy", für die derzeit in Kanada, Australien und Großbritannien Ausbildungen zur Begleitung von Patienten mit unheilbaren Erkrankungen angeboten werden.

Referenzen:
1. Researchers address travails of navigating metastatic cancer survivorship. Available at: https://medicalxpress.com/news/2019-04-travails-metastatic-cancer-survivorship.html. (Accessed: 5th May 2019)
2. Langbaum, T. & Smith, T. J. Time to Study Metastatic-Cancer Survivorship. New England Journal of Medicine 380, 1300–1302 (2019).
3. Marquart, J., Chen, E. Y. & Prasad, V. Estimation of the Percentage of US Patients With Cancer Who Benefit From Genome-Driven Oncology. JAMA Oncol 4, 1093–1098 (2018).
4. Suresh, K. et al. Pneumonitis in Non-Small Cell Lung Cancer Patients Receiving Immune Checkpoint Immunotherapy: Incidence and Risk Factors. J Thorac Oncol 13, 1930–1939 (2018).