Wenn sich der Boden unter den Füßen auftut – Empfehlungen für das Aufklärungsgespräch mit Krebspatienten

Die meisten Krebspatienten erinnern sich auch nach Jahren genau an den Moment in dem sie ihre Diagnose erhalten haben: an den Gesichtsausdruck des Arztes, an markante Sätze, an die Atmosphäre und natürlich auch an die eigenen, oft sehr starken Gefühle in diesem Augenblick und der Zeit unmittelbar danach.

Die meisten Krebspatienten erinnern sich auch nach Jahren genau an den Moment in dem sie ihre Diagnose erhalten haben: an den Gesichtsausdruck des Arztes, an markante Sätze, an die Atmosphäre und natürlich auch an die eigenen, oft sehr starken Gefühle in diesem Augenblick und der Zeit unmittelbar danach.

WIE dem Betroffenen Befund und Therapieoption mitgeteilt wird, macht häufig einen großen Unterschied im künftigen Umgang mit der Erkrankung. In Ermangelung eines gezielten Trainings während des Studiums oder flächendeckender Gesprächsstandards, bleibt diese kritische Situation in der Regel dem Einfühlungsvermögen des einzelnen Mediziners überlassen.

Herausfordernd für alle Beteiligten

Doch auch für die Ärzte selbst sind derartige Infogespräche mit schwer Erkrankten auch nach jahrelanger "Routine" oftmals belastend. Schließlich wird er – oder sie – von Seiten des Patienten häufig mit intensivsten Emotionen konfrontiert, die einem auch die eigene Ohnmacht und Grenzen vor Augen führen. Als Überbringer der schlechten Nachrichten soll man dabei gleichzeitig ganz ehrlich sein und doch Mut machen – was gerade bei Tumorerkrankungen im Endstadium ein Balanceakt ist.

Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die darüber entscheiden, ob der Krebskranke nach dem Gespräch völlig am Boden zerstört ist oder, ob er nach dem ersten Schock auch leise Zuversicht verspürt und im Verlauf aktiv an den angeratenen Behandlungsmaßnahmen mitwirkt.

Welches sind Kernpunkte für eine gelungene Kommunikation?

Nachfolgend habe ich mal versucht, kurz und prägnant einige Aspekte zusammenzutragen, die für ein gutes Aufklärungsgespräch relevant sind. Die meisten dieser, aus Literaturrecherche und Experten-Erfahrung gewonnenen Tipps, werden dabei auch von durchschnittlich empathischen Medizinern sicher eh bereits intuitiv so oder ähnlich gehandhabt. Manchmal hilft aber auch eine kleine Checkliste, um den eigenen Umgang mit dieser sensiblen Situation selbstkritisch zu reflektieren....

In dem Sinne also...

  1. Wappnen Sie sich selbst. Machen Sie sich vorher bewusst klar, dass auch Ihnen dieser Ausnahmezustand eventuell viel Energie und Kraft abverlangt. Sprechen Sie im Bedarfsfall mit Kollegen oder schließen sich sich bei häufig wiederkehrenden Belastungssituationen einer supervidierenden Balintgruppe an.
  2. Schaffen Sie ein würdiges Umfeld. Das Diagnosegespräch sollte in einem separaten Raum stattfinden – sitzend, störungsfrei und mit mindestens einer Viertelstunde Zeit. Entschuldigen Sie sich zu Beginn kurz, falls der Patient länger auf Sie warten musste.
  3. Familie gleich einbeziehen. Wenn vom Patienten gewünscht, sollte der Partner oder eine andere nahestehende Person bereits zu diesem Gespräch eingeladen werden. Oft entlastet das den Betroffenen, schafft einen ähnlichen Wissenstand und hilft, gemeinsam Informationen zu rekapitulieren, welche im ersten Gefühlswust vielleicht nur von einem mitgekriegt wurden.
  4. Lassen Sie den Patienten beginnen. Fragen Sie – je nach individueller Situation – nach dem aktuellen Befinden, nach vorangegangenen Untersuchungen oder auch, was dem Betroffenen zu seiner Erkrankung bereits bekannt ist.  
  5. Machen Sie eine kurze Vorwarnung. Psychologisch ist es nachgewiesenermaßen sinnvoll, Patienten auf eine nachfolgend schlechte Nachricht einzustimmen – und sei es nur in dem Augenblick davor. Die Wucht ist weniger hart und die Information wird leichter aufgenommen. Also nicht direkt anfangen mit "Sie haben leider Krebs", sondern eher sanft einleiten, z.B. "Aufgrund Ihrer Beschwerden haben wir ja verschiedene Untersuchungen gemacht und tatsächlich etwas gefunden, was da so nicht hingehört...."
  6. Sprechen Sie in direkten und verständlichen Worten. Begriffe wie Raumforderung, Verschattung oder Läsion haben selbstverständlich nichts im Patientengespräch verloren – ebenso lateinische Fremdworte, medizinische Abkürzungen oder statistische Werte. Reden Sie langsam in ruhigen, klaren Sätzen. Seien Sie dabei stets aufrichtig und echt! Und halten Sie Augenkontakt!
  7. Seien Sie konkret. Machen Sie deutlich, dass der Befund ernst ist. Termini wie Tumor, Geschwür, Knoten, Schwellung, Wucherung oder Geschwulst klingen weniger bedrohlich und können leicht zu Missverständnissen führen.

Geben Sie erste Informationen über die Krebsart, den Ausbreitungsgrad sowie die  Therapieoptionen, aber überfordern Sie den Patienten nicht mit Details.

  1. Geben Sie dem Patienten etwas Zeit. Lassen Sie die Diagnose durch einen Moment des bewussten Schweigens erst mal sacken. Aus Zeitmangel, Unsicherheit oder Aktionismus neigen viele Ärzte dazu, nonstop zu reden und die Patienten mit allzu vielen Auskünften zu überfrachten – was in diesem Moment vom Erkrankten kaum wirklich wahrgenommen wird und auch nicht hilfreich ist.
  2. Nehmen Sie die Reaktion des Patienten an – und auf. Ob Panik, Ärger, Schluchzen, Starre oder Verleugnung – versuchen Sie, jegliche Verhaltensweisen oder Impulse eine Weile auszuhalten, das heißt erst mal: Verzweiflung zulassen, ausweinen lassen, zuhören, nachfragen, da sein. Auch das Reichen eines Taschentuches oder einfach die Feststellung "Das ist jetzt sicher erst mal ein Schock für Sie" zeigt Anteilnahme und Akzeptanz. Vermeiden Sie aber Plattitüden wie "Kopf hoch", "ich weiß wie Sie sich fühlen" oder "machen Sie sich keine Sorgen"
  3. Nicht die Hoffnung rauben! Viele Patienten assoziieren mit "Karzinom" automatisch Tod und Qual und wissen gar nicht, wie viel die moderne Medizin hier schon leisten kann. Diese althergebrachten inneren Bilder und Ängste können in solch einem Austausch gut korrigiert werden. Aber auch bei niedrigeren Überlebenschancen gibt es immer auch Informationen, die – ganz ohne Schönfärberei – Mut machen, z.B. wenn das Malignom noch nicht gestreut hat, wenn ggf. eine bestimmte Therapie ansprechen könnte, wenn der palliative Patient nicht leiden muss etc.  
  4. Eigene Fragen anregen. Geben Sie dem Patienten bei Bedarf weitergehende Informationen und stehen Sie für seine Fragen bereit. Versuchen Sie nicht, jegliche Themen in diesem einen Termin unterzubringen. Schlagen Sie stattdessen aktiv ein Folgegespräch einige Tage später vor. Und denken Sie dran: Alles Gesagte muss wahr sein, aber nicht alles Wahre muss auch gesagt werden.
  5. Machen Sie keine Prognosen. Versuchen Sie klar zu vermitteln, ob das Ziel der Behandlung eine Heilung, eine Verlängerung der Lebenszeit oder die Linderung von Beschwerden ist. Vermeiden Sie von sich aus Angaben zur voraussichtlichen Überlebenszeit. Will ein Schwerkranker unbedingt wissen, wie lange er denn noch habe, sollten Sie ihm – bei aller Vorsicht und Unverbindlichkeit – die durchschnittlichen Erfahrungswerte aber nicht vorenthalten. Manch ein Patient möchte seine verbleibende Zeit bewusst nutzen und auch Abschied nehmen können.

Sollte die Heilungsrate des vorliegenden Tumors allerdings besonders gut sein, darf und soll das natürlich auch dem Patienten mitgeteilt werden.

  1. Bitten Sie um eine Zusammenfassung in eigenen Worten. Viele Missverständnisse oder Fehlinformationen können vermieden werden, wenn der Patient das Gehörte am Ende des Gesprächs in wenigen Stichworten noch mal repetieren soll.
  2. Akzeptieren Sie, dass Trauerarbeit nicht linear verläuft.  Wundern Sie sich nicht, wenn der Patient, der zunächst so gefasst war, beim nächsten Termin verzweifelt mit dem Schicksal hadert oder nach einer Phase der Akzeptanz die Schwere seiner Krankheit wieder verleugnet und/ oder in eine Depression abrutscht. Stehen Sie ihm zur Seite und bieten Sie bei Bedarf psychoonkologische Unterstützung durch Dritte an.
  3. Lassen Sie den Patienten nicht im Stich. Egal, ob Sie die weitere Behandlung übernehmen oder es nur den einmaligen Kontakt gibt – geben Sie dem Patienten während dieses entscheidenden Aufklärungsgesprächs die so wichtige Gewissheit, dass er nicht verlassen und verloren ist. Dass man sich kümmert und, dass man – selbst wenn die Prognose infaust ist – einiges Hilfreiches für ihn tun kann.

"Da kann man nichts mehr machen", sollte als Aussage daher gänzlich tabu sein.

Quellen: Delivering bad news to patients. Monden K et al. Proceedings (Baylor University Medical Center). 2016;29(1):101-102.

Patienten mit Krebs: Information und emotionale Unterstützung. Schlömer-Doll, U. et al. Dtsch Arztebl 2000; 97(46): A-3076 / B-2612 / C-2420

Disclosing a Diagnosis of Cancer: Where and How Does It Occur? Figg W et al. Journal of Clinical Oncology. 2010;28(22):3630-3635.

SPIKES-A six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer.

Baile W et al. Oncologist. 2000;5(4):302-11.