Auf lange Sicht: Visusbedrohung bei fortschreitendem Alter

Wie wichtig das Sehen für den humanen Organismus ist, spiegelt sich in der Anatomie des zentralen Nervensystems wieder. 40% der afferenten Nervenfasern stammen von den Augen. Zu den visusbedrohenden Erkrankungen werden das Glaukom, die diabetische Retinopathie und die Altersbedingte Makuladegeneration gezählt.

Wie wichtig das Sehen für den humanen Organismus ist, spiegelt sich in der Anatomie des zentralen Nervensystems wieder, denn 40% der afferenten Nervenfasern stammen von den Augen. Zu den visusbedrohenden Erkrankungen werden das Glaukom, die diabetische Retinopathie und die Altersbedingte Makuladegeneration gezählt. 1,2

Altersbedingte Makuladegeneration

Die Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine progressive Erkrankung der älteren Bevölkerungsgruppe und geht mit einer zunehmenden zentralen Visusminderung einher. Sie ist verantwortlich für rund 50% der Erblindungsfälle in Deutschland.3

Das DALYs (s. Abb. 1) stellt ein Berechnungsmodell dar, anhand dessen die Relevanz der AMD im Vergleich zu anderen Volkskrankheiten dargestellt wird. Der Score errechnet sich durch Multiplikation des Lebensalters mit dem Grad der körperlichen Einschränkung. Epidemiologischen Schätzungen zufolge wird die AMD bis 2030 konstant an krankheitsbelastender Bedeutung für die Bevölkerung gewinnen.3


Abbildung 1: Projektionen für "Disability Adjusted  Life Years (DALYs)" in Europa.2

Epidemiologie der AMD

Allein in Deutschland sind im Jahr 2012 rund 1.608.000 Menschen an der AMD erkrankt. Schätzungen zufolge wird sich diese Zahl 2030 bis auf 2.131.000 Menschen weiter erhöhen.3 In Amerika sind rund 10 Millionen Menschen an der altersbedingten Makuladegeneration erkrankt. Die Anzahl der AMD-Patienten ist damit doppelt so hoch wie die Anzahl der Alzheimer-Patienten.4,5

Verlust der Lesefähigkeit

Die AMD-Prävalenz steigt stetig mit dem Alter an. Nur selten sind junge Patienten betroffen (2% der 40-Jährigen). Hellhäutige Patienten weiblichen Geschlechts sind besonders gefährdet. Die trockene AMD ist eine chronisch-progressive Erkrankung die unbehandelt zur Erblindung des zentralen Gesichtsfeldes führen kann. Die Patienten verlieren dadurch die Fähigkeiten zu Lesen und Gesichter zu erkennen.

Stadien der AMD

In den frühen Stadien der AMD akkumulieren sich unlösliche extrazelluläre Aggregate, Drusen, in der Retina. (Bird, 2010). Das Spätstadium der trockenen AMD ist gekennzeichnet durch konfluente oder verstreute Degnerationsareale des Retinalen Pigmentepithels (RPE). Ohne das sie versorgende RPE gehen auch die Photorezeptoren zugrunde. Wegen ihrer Morphologie wird sie auch als geographische Atrophie bezeichnet. 10-15% der AMD-Patienten erleiden eine exsudative AMD. Sie ist die aggressivere Krankheitsform. Häufig entwickelt sich die feuchte Form der AMD auf dem Boden der trockenen AMD-Erkrankung.

Pathomechanismus der AMD

Die phagozytäre Funktion des Retinalen Pigmentepithels nimmt im Alter ab. Das Resultat sind Lipofuszin-Ablagerungen in den RPE-Zellen. Im Bereich der Bruch-Membran, genauer gesagt in dessen extrazellulären Matrix, kommt es zur Drusenbildung. Dies und eine diffuse Membranverdickung führen zu einer Unterversorgung des RPEs. Das Resultat ist eine Hypoxie mit Ausschüttung von VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) durch die RPE-Zellen. Durch die oxidierten Bruch-Membranbestandteile werden antigenpräsentierende und phagozytär aktive Zellen (Makrophagen und dendritische Zellen) angelockt.

Choroidale Neovaskularisation

Die exsudative AMD wird durch das Vorhandensein von choroidalen Neovaskularisationen (CNV) von der trockenen AMD unterschieden. Die Neovaskularisationen erreichen nach Durchbruch durch die Bruch-Membran die retinalen Netzhautschichten. Durch Leckage aus den abnormen Blutgefäßen kann eine Flüssigkeitsansammlung resultieren. Der betroffene Patient bemerkt dies als Metamorphopsie. Aus Einblutung und Vernarbungsprozess kann ein rapider Sehverlust resultieren.6 Moderne Diagnose- und Therapieverfahren (intravitreale Injektionen, Nahrungsergänzungsmittel) haben in den letzten Jahren den Patienten Hoffnung gegeben, da der Erkrankungsprozess verlangsamt werden kann. Auf die verschiedenen Therapiemodalitäten werden wir in den weiteren Blog-Beiträgen genauer eingehen.

Heilung in Sicht?

Eine aktuelle Studie untersucht den Einsatz eines biologisch gestalteten Komposit-Implantats (California Project to Cure Blindness-Retinal Pigment Epithelium 1). Dieses besteht zu einem Teil aus einer polarisierten monomolekularen RPE-Schicht, die von humanen embryonalen Stammzellen abstammt. Diese Schicht liegt einer synthetischen Parylenschicht auf, welche der Bruch-Membran nachempfunden ist.

Bei 4 der 5 Studienpatienten konnte das Implantat erfolgreich eingesetzt werden. Mittels OCT (optische Kohärenztomographie)-Diagnostik konnte der korrekte Einsatz des Implantats geprüft und eine Integration der neuen Photorezeptoren bestätigt werden. Bei den 4 erfolgreich implantierten Studienteilnehmern zeigte im Verlauf keine weitere Visusminderung. Bei einem dieser Patienten zeigte sich sogar ein Buchstabengewinn von 17 Buchstaben. Bei zwei Studienaugen konnte eine verbesserte Fixation beobachtet werden.

Eine sehr interessante und innovative Studie. Es stellt sich die Frage, ob sie den Grundstein für eine Heilung legen kann? Wir warten gespannt den Langzeitergebnissen entgegen.

Referenzen:
1.Ambati J. et al. (2012). Mechanisms of age-related macular degeneration. Neuron. 75 (1): 26-39.
2.http://www.dog.org/wp-content/uploads/2013/03/DOG_Weissbuch_2012_fin.pdf
3. Finger, R. P. et al. (2011). Incidence of blindness and severe visual impairment in Germany: projections for 2030. Invest Ophthalmol Vis Sci, 2011. 52(7): p. 4381-9.
4. Friedman D. S. et al. (2004). Prevalence of age-related macular degeneration in the United States. Arch Ophthalmol. 2004;122:564–572. 
5. Brookmeyer R. et al.(2007). Forecasting the global burden of Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement. 2007;3:186–191. 
6. Färber L. et al. (2010). Medizinische Spitzenforschung in Deutschland. Schattauer. 41-42.
7. Kashani A. H. et al. (2018). A bioengineered retinal pigment epithelial monolayer for advanced, dry age-related macular degeneration. Sci  Transl Med. 10(435).