Das Auge: "Spiegel" der körperlichen Gesundheit?

Auf der diesjährigen Pressekonferenz der Stiftung Auge wurden Auswirkungen systemischer Erkrankungen auf das Auge ergründet. Wir werfen einen Blick auf die neuesten Behandlungsoptionen zur endokrinen Orbitopathie.

Gibt es die optimale Behandlung der endokrinen Orbitopathie?

Die endokrine Orbitopathie ist eine autoimmunbedingte entzündliche Erkrankung der Orbita, die mit einer erheblichen Morbidität des Auges einhergehen kann. Das typische Erscheinungsbild besteht aus einem Exophthalmus, einer Lidretraktion und der damit verbundenen Erweiterung der Lidspalte. Der Exophthalmus ist ein wichtiger Teil der Merseburger Trias. Dieser Symptomenkomplex umfasst zudem noch Tachykardie und Struma. Die Messung des Exophthalmus erfolgt mittels Exophthalmometer. Daneben sollten eine Augeninnendruckmessung, eine Perimetrie, eine Begutachtung der Augenmuskeln, eine Bestimmung der Lidspaltenweite und falls möglich eine Papillen-OCT-Diagnostik erfolgen. Eine mit dem Exophthalmus einhergehende Sicca-Symptomatik kann mittels Schirmer-Test oder BUT bestimmt werden.1 

Die Konsequenzen der Oberlidretraktion und des Exophthalmus

Die ein- oder beidseitige Oberlidretraktion zählt zu den häufigsten Anzeichen einer endokrinen Orbitopathie. Sie tritt bei über 90 % der vom Morbus Basedow betroffenen Personen auf. Der Exophthalmus selbst befindet sich an zweiter Stelle hinsichtlich der Häufigkeit seines Auftretens. Er kommt bei 60 % der Patientinnen und Patienten vor. Ein Lagophthalmus (unvollständiger Lidschluss) liegt in 50 % der Fälle vor. Die chronische Exposition der Augen führt zu einer Sicca-Symptomatik. Bei länger bestehendem Befund kann dies ohne die adäquate Behandlung in einer schweren Keratopathie resultieren. Diese bringt weitere Risiken mit sich. So kann es zu einer Vernarbung und damit einhergehend zu einer Trübung der Hornhaut, zu einer Perforation und im schlimmsten Fall zu einer Endophthalmitis kommen.1

Augenmuskelbeteiligung bei endokriner Orbitopathie

40 % der Patientinnen und Patienten leider unter einer Dysfunktion des extraokulären Muskulatur. Diese kann zu einer Diplopie führen. In den meisten Fällen ist der Musculus rectus medialis und der Musculus rectus inferior betroffen, was sich durch das Auftreten einer Hypotropie (Abweichung nach unten) bzw. Esotropie (Abweichung nach innen) bemerkbar machen kann.1

Die aktuell geltende Leitlinie Nr. 28 aus dem Jahr 1998

Der Berufsverband der Augenärzte empfiehlt in der Leitlinie Nr. 28 für die aktive Phase eine Behandlung mittels systemischer Glukokortikoide und retrobulbärer Bestrahlung sowie eine Dekompressionsoperation. Für die inaktive Phase ist die operative Korrektur der Augenmukeln und der Lidfehlstellungen ratsam. Diese Leitlinie wurde zuletzt am 20.12.1998 (© 2023 BVA und DOG alle Rechte vorbehalten) aktualisiert und bedarf einer Anpassung an die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Biologika.2 

Stufenschema bei endokriner Orbitopathie

Prof. Dr. Anja Eckstein sprach sich bereits vor einigen Jahren für folgendes Stufenschema aus, bei dem sich die Therapie der endokrinen Orbitopathie am Schweregrad der Erkrankung orientiert:

Europäische Leitlinie zur Behandlung der endokrinen Orbitopathie

Die europäische Leitlinie empfiehlt die Wahl der Behandlung anhand der Bewertung der klinischen Aktivität sowie des Schweregrads der endokrinen Orbitopathie. Bei leichter endokrine Orbitopathie mit Entzündungsaktivität ist sind Kontrolle der Risikofaktoren, lokale Behandlungsmethoden und Selensupplementation ratsam. Bei Vorliegen von Risikofaktoren wird die Kombination der Radioiodtherapie mit einer niedrig dosierten oralen Prednisonprophylaxe empfohlen. Bei aktiver mittelschwerer bis schwerer als auch bei sehkraftbedrohender endokriner Orbitopathie sollte eine intravenöse Steroidtherapie gegenüber der oralen Gabe bevorzugt werden.  Auch wird die Kombination aus i.v. Methylprednisolon und Mycophenolat-Natrium als Erstbehandlung empfohlen. Das optimale Behandlungsschema hierbei besteht aus einer kumulativen Dosis von 4,5 g i.v. Methylprednisolon alle 12 Wochen. In der Zweitlinienbehandlungen bei mittelschwerem bis schwerem endokrine Orbitopathie mit Entzündungsaktivität stehen folgende Optionen zur Verfügung:

Wo stehen wir aktuell im Bereich zielgerichteter Therapien bei endokriner Orbitopathie?

Am 21.1.2020 wurde von der FDA der monoklonale Antikörper als erstes Arzneimittel zur Behandlung der endokrinen Orbitopathie bei Morbus Basedow zugelassen. Teprotumumab (Tepezza®) ist gegen den IGF-1-Rezeptor gerichtet und besitzt einen Orphan-Drug“-Status. In der Zulassungsstudie konnte bei einigen Patientinnen und Patienten durch die Anwendung von Teprotumumab die Notwendigkeit einer Dekompressionoperation vermieden werden. Bei geringer und auch bei hoher Entzündungsaktivität konnte Teprotumumab den Exophthalmus deutlich reduzieren.5,6 Aus den Fachkreisen der Endokrinologie wurden jedoch Bedenken gegenüber Teprotumumab geäußert. Prof. Helmut Schatz schrieb 2021, dass Teprotumumab in einer prospektiven Studie bei 80 % der behandelten Personen zu Schädigungen des Gehörs führte.7,8 Vielleicht ist das einer der Gründe, aus denen die Zulassung durch die EMA noch nicht erfolgt ist. 

Referenzen:
  1. Szelog J. et al. (2022). Thyroid Eye Disease. Mo Med. 2022 Jul-Aug;119(4):343-350.
  2. https://augeninfo.de/leit/leit28.htm
  3. https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4909943#vp_2
  4. Bartalena L et al.The 2021 European Group on Graves’ orbitopathy (EUGOGO) clinical practice guidelines for the medical management of Graves’ orbitopathy. Eur J Endocrinol (2021).
  5. https://www.arzneimitteltherapie.de/heftarchiv/2020/04/aktuelle-meldungen-der-arzneimittelzulassungs-und-pharmakovigilanzbehoerden.html
  6. https://biermann-medizin.de/morbus-basedow-neue-leitlinie-empfiehlt-doppeltherapie/
  7. https://blog.endokrinologie.net/teprotumumab-basedow-hoerschaeden-4997/
  8. Abstract No. 22 auf dem 90. ATA-Kongress, präsentiert am 3. Oktober 2021.
    In: Nancy A. Melville: Hearing Dysfunction With New Thyroid Eye Drug Is Common, Persistent.