Mikrogliazellen regulieren die Kalibergröße retinaler Blutgefäße

Wie versprochen lernen wir heute eine sehr interessante Forschungsarbeit zur Regulierung der Durchblutung der Netzhaut kennen.

Wie versprochen lernen wir heute eine sehr interessante Forschungsarbeit zur Regulierung der Durchblutung der Netzhaut kennen. In der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Hypothesen aufgestellt, um die darunter liegenden Mechanismen aufzudecken. Eine brandneue Idee hat sich ihren Weg gebahnt und könnte die bisherigen wissenschaftlichen Annahmen bald ablösen. Im Zentrum dieser neuen Idee befindet sich die Mikroglia. Bisher hatte man ihr nur Aufgaben im proinflammatorischen Setting zugetraut. Verschiedene wissenschaftliche Studien konnten aufdecken, dass die Mikroglia zu viel mehr im Stande ist, als bisher angenommen. In der vorliegenden experimentellen Studie hat die Forschungsgruppe die Rolle der Mikroglia bei der Regulierung des Durchmessers retinaler Blutgefäße untersucht.

Die Forschenden haben geprüft, ob die retinale Mikroglia eine funktionelle Komponente der neurovaskulären Einheit ist und ob sie den Gefäßdurchmesser über die Signalübertragung – genauer gesagt über den Fraktalkin-Cx3cr1-Signalweg – modulieren kann. Ein weiterer Punkt, den die Forschungsgruppe untersucht hat, war ob eine veränderte Beteiligung der Mikroglia an der inneren Netzhautvaskulatur zu den pathologischen Veränderungen im Frühstadium einer diabetischen Retinopathie beitragen kann. Mehr dazu im heutigen Beitrag. 

Die Struktur der Mikroglia 

Ich möchte ganz kurz anmerken, dass es sich bei der Mikroglia strukturell betrachtet um eine wunderschöne Struktur handelt. Mit ihren vielen langen verzweigten Fortsätzen, die sich in alle Richtungen erstrecken, erinnert sie ein bisschen an ein Bäumchen oder auch an die Milleniumsimulation des Universums. Die morphologische Ähnlichkeit ist kaum zu leugnen (siehe Abbildung 1).1,2

Microglia cell, shaded white in the foreground, with β-amyloid plagues in orange and other cellular structures shaded blue in the background.

Annabelle.PNG

Abbildung 1: oberes Bild1 Mikrogliazelle und unteres Bild2,3 Milleniumsimulation des Universums. Bildquellen1-3

Eine Einheit kontrolliert den Blutfluss im Zentralnervensystem 

Zurück zur experimentellen Studie des heutigen Beitrags. Die Forschungsgruppe dieser Studie hat die Hypothese aufgestellt, dass der verminderte Blutfluss in der Netzhaut im Frühstadium der diabetischen Retinopathie mit einer veränderten Funktion der Mikroglia zusammenhängen könnte. Um dieser Hypothese nachzugehen, hat die Forschungsgruppe zuerst untersucht, auf welche Weise die Mikroglia die Durchblutung der Netzhaut regulieren kann. Dafür hat sie sich erst einmal die lokale Kontrolle des Blutflusses im Zentralnervensystem und in der Netzhaut angeschaut. Entscheidend hierfür ist die Koordination zwischen den Neuronen, den Gliazellen und den Blutgefäßen selbst. Im Zentralnervensystem ist die Glia Teil dieser neurovaskulären Einheit. Im ZNS sind dies die Astrozyten und in der Retina die Müllerzellen. Die ordnungsgemäße Koordination und Funktion der neurovaskulären Einheit entscheidet über Gesundheit und Krankheit in diesen hoch stoffwechselaktiven und für Störfaktoren stark empfindlichen beiden Organen.4

Fraktalkin bestätigt die Rolle der Mikroglia bei der Regulation retinaler Blutgefäße

In einem experimentellen Modell hat die Forschungsgruppe die Wirkung des Chemokins Fraktalkin auf das Gefäßkaliber der Blutgefäße im Gehirn und in einem Netzhautexplantat untersucht. Fraktalkin ist ein Ligand für den Monozytenrezeptor CX3CR1. Nach Fraktalkin-Gabe zeigte sich eine Besonderheit: Es kam zu einer Verengung derjenigen Kapillaren, die in Kontakt mit Mikrogliazellen standen. Gleichzeitig blieb nach genetischer und pharmakologischer Hemmung des Monozytenrezeptors CX3CR1 diese Fraktalkin-induzierte Kapillarverengung aus.4


Abbildung 2: Immunhistochemische Darstellung einer murinen Retina (Cx3cr1GFP/+). Die Mikroglia wurde mit Anti-EGFP (Mikroglia, grün) und die Blutgefäße mit Isolectin B4 (Blutgefäße, rot) markiert. Die Kontaktstellen zwischen Mikroglia und den vaskulären Strukturen sind im vergrößert Bildabschnitt rechts oben erkennbar. Bildquelle4

Die Forschungsgruppe kam zu dem Schluss, dass die vaskuläre Regulierung von dieser mikroglialen CX3CR1-Beteiligung abhängig war. Morphologische Untersuchungen konnten einen Kontakt zwischen der Mikroglia, den neuronalen Synapsen und den retinalen Kapillaren nachweisen (siehe Abbildung 2). Die Forschungsgruppe konnte mit ihrer experimentellen Studie zeigen, dass die Mikroglia die Durchblutung der Netzhaut regulieren kann. In einer weiteren Versuchsreihe hat die Forschungsgruppe im Rattenmodell untersucht, welchen Einfluss die mikrogliale Regulation auf eine Streptozotocin-induzierte diabetische Retinopathie hat.4 Mehr dazu nächstes Mal. 

Referenzen:
1. National Institute on Aging. Microglia, the brain’s trash collector cells, may play larger role in brain health, may reveal clues to disease treatments.November 19, 2020
2. Croton D. J. et al. (2005). The many lives of active galactic nuclei: cooling flows, black holes and the luminosities and colours of galaxies. [Submitted on 2 Aug 2005 (v1), last revised 14 Jun 2006 (this version, v4)].
3. https://wwwmpa.mpa-garching.mpg.de/galform/virgo/millennium/seqF_063a_half.jpg
4. Mills S. A. et al. (2021). Fractalkine-induced microglial vasoregulation occurs within the retina and is altered early in diabetic retinopathy, Proceedings of the National Academy of Sciences (2021).