Optogenetik erleuchtet die Dunkelheit

Ende Mai hat uns die Publikation eines wissenschaftlichen Artikels in der renommierten Fachzeitschrift Nature zutiefst beeindruckt. Mittels Optogenetik konnte ein an einem Auge blinder 58-jähriger Mann mit fortgeschrittener Retinitis pigmentosa an diesem Auge nach der Behandlung Lichtschein wahrnehmen. An dem besseren Auge war Lux der beste Visus.

Ende Mai hat uns die Publikation eines wissenschaftlichen Artikels in der renommierten Fachzeitschrift Nature zutiefst beeindruckt.  Mittels Optogenetik konnte ein an einem Auge blinder 58-jähriger Mann mit fortgeschrittener Retinitis pigmentosa an diesem Auge nach der Behandlung Lichtschein wahrnehmen. An dem besseren Auge war Lux der beste Visus.

Die optogenetische Wiederherstellung der Sehkraft stellt einen Mutations-unabhängigen Therapieversuch dar, der für Patient:innen mit Retinitis pigmentosa im Endstadium mit Visusverlust in Frage kommt. Die open-label 1/2a Phase der PIONEER-Studie (ClinicalTrials.gov identifier: NCT03326336) hat die Sicherheit und Wirksamkeit dieser experimentellen Behandlungstechnik bei Personen mit einer nichtsyndromalen Retinitis pigmentosa im fortgeschrittenen Stadium untersucht. Injiziert wurde hier ein bestimmter optogenetischer Vektor (GS030-Drug Product (GS030-DP)). Die Lichtstimulation fand durch eine lichtstimulierende Brille (GS030-Medical Device (GS030-MD)) statt. Zuvor war diese Methodik im nonhumanen Primatenmodell erprobt worden. Was wie Science-Fiction klingt, könnte zukünftig blinde Menschen sehend machen. Mehr dazu im heutigen Beitrag.1-9

Was genau versteht man unter Optogenetik?

Bei der Optogenetik werden Zellen mittels Licht modifiziert. So kann Einfluss auf neuronale Netzwerke genommen werden. Der Begriff Optogenetik rührt daher, dass lichtabhängige Ionenkanäle gezielt durch Licht ein- oder ausgeschaltet werden können. Die genetische Information für diese lichtabhängigen Ionenkanäle ist zuvor gentherapeutisch in die Zielzellen eingebracht worden. Entdeckt wurden diese lichtabhängigen Ionenkanäle, die auch als Kanalrhodopsine bezeichnet werden, in Grünalgen vor fast 20 Jahren. Sie bestehen aus dem Photorezeptor Rhodopsin und einem Ionenkanal und sind kationenselektiv. Das bedeutet, dass Licht zu einer Depolarisation und dadurch zu einer Aktivierung der Neuronen führt.10 Eine Modifikation dieser Kanalrhodopsine führte dazu, dass eine Hyperpolarisation und damit eine Hemmung der Neuronen möglich ist.11 Als optogenetischer Vektor kam in der PIONEER-Studie ein modifiziertes Adenovirus zum Einsatz. Dieser optogenetischer Vektor kodiert für das lichtabhängige Kanalrhodopsinprotein ChrimsonR, welches an das rot fluoreszierende Protein tdTomato fusioniert ist. Mittels intravitrealer Injektion gelangte dieser Vektor zu seinem Zielort, den fovealen Ganglienzellen. Das Absorptionsmaximum von ChrimsonR-tdTomato liegt bei 590 nm.1

Die Diagnostik nach der ersten Injektion

Bei dem 58-jährigen Patienten wurde die Retinitis pigmentosa 40 Jahre zuvor diagnostiziert. Das blinde Auge erhielt eine Injektion mit 5.0 × 1010 Vektorgenomen des optogenetischen Vektors. Vor der ersten Injektion sowie danach erfolgten ophthalmologische Untersuchungen und retinale Aufnahmen mittels optischer Kohärenztomographie, Fundusfarbfotos und Autofluoreszenzaufnahmen. Die Nachuntersuchung erfolgte über den Zeitraum von 84 Wochen. Die Beurteilung einer intraokulären Inflammation erfolgte anhand der SUN-Klassifikation (Standardization of Uveitis Nomenclature Working Group). Es zeigten sich keinerlei Anzeichen einer intraokulären Entzündungsreaktion nach Injektion.1,12,13

Tabelle Ophtha.PNG

Tabelle 1: Dargestellt ist die Gradeinteilung der Vorderkammerzellen nach der SUN-Klassifikation12,13 

In der vorliegenden, erst kürzlich publizierten Studie konnte das Auge, das zuvor erblindet war, innerhalb des postoperativen 84-wöchigen Untersuchungszeitraums das Augenlicht zurückerlangen. Der Patient nahm nun Licht am behandelten Auge war. Die lichtstimulierende Brille wurde vor der Injektion des optogenetischen Vektors 3-fach am Patienten getestet. Vor der Gentherapie konnte der Patient kein Licht am betroffenen Auge wahrnehmen. 4 ½ Monate nach Injektion wurde ein Training mit der lichtstimulierenden Brille begonnen. Dieser späte Zeitpunkt beruhte auf folgender Beobachtung: Im nonhumanen Primatenmodell wurde die Expression von ChrimsonR-tdTomato innerhalb der fovealen Ganglienzellen erst 2 bis 6 Monate nach Injektion in Gang gesetzt.1,8 Im 7. Monat nach dem Start des visuellen Trainings berichtete der Patient eine Verbesserung seiner Sehkraft während er die lichtstimulierende Brille verwendete bemerkt zu haben.1

Diese Forschungsergebnisse geben uns Hoffnung, dass mittels Optogenetik eines Tages das Sehen auch für bereits erblindete Menschen wieder möglich werden könnte. Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg. 

Referenzen:
1. Sahel J.A. et al. (2021). Partial recovery of visual function in a blind patient after optogenetic therapy, Nature Medicine.
2. Bi A. et al. (2006). Ectopic expression of a microbial-type rhodopsin restores visual responses in mice with photoreceptor degeneration. Neuron 50, 23–33.
3. Busskamp V. et al. (2010). Genetic reactivation of cone photoreceptors restores visual responses in retinitis pigmentosa. Science 329, 413–417. Lagali P. S. et al. (2008). Light-activated channels targeted to ON bipolar cells restore visual function in retinal degeneration. Nat. Neurosci. 11, 667–675.
4. Roska B. et al. (2018). Restoring vision. Nature 557, 359–367. 
5. Sahel J.A. et al. (2019). Depicting brighter possibilities for treating blindness. Sci. Transl. Med. 11, eaax2324.
6. Sahel J. A. et al. (2013). Gene therapy for blindness. Annu. Rev. Neurosci. 36, 467–488.
7. Scholl H. P. N. et al. (2016). Emerging therapies for inherited retinal degeneration. Sci. Transl. Med. 8, 368rv6.
8. Gauvain G. et al. (2021). Optogenetic therapy: high spatiotemporal resolution and pattern discrimination compatible with vision restoration in non-human primates. Commun. Biol. 4, 125.
9. Picaud S. et al. (2019). The primate model for understanding and restoring vision. Proc. Natl Acad. Sci. USA 116, 26280–26287.
10. Nagel G. et al.: Channelrhodopsin-1: a light-gated proton channel in green algae. Science 2002; 296: 2395–8 CrossRef MEDLINE
11. Wietek J. et al. (2014). Conversion of channelrhodopsin into a light-gated chloride channel. Science 2014; 344: 409–12 CrossRef MEDLINE.
12. Jabs D. A. et al. (2005). Standardization of Uveitis Nomenclature (SUN) Working Group. Standardization of uveitis nomenclature for reporting clinical data. Results of the First International Workshop. Am. J. Ophthalmol. 140, 509–516. 
13. Trusko B. et al. (2013). The Standardization of Uveitis Nomenclature (SUN) Project. Development of a clinical evidence base utilizing informatics tools and techniques. Methods Inf. Med. 52, 259–265.