Migration bringt Urologie neue "alte" Herausforderungen

Weltweit zunehmende Konflikte und auch der Klimawandel führen zu immer größeren Migrationsbewegungen. Allein 2017 waren rund 250 Millionen Menschen nicht mehr im Land ihrer Geburt. Auch Europa spürt diese Entwicklungen, wobei dort überwiegend afrikanische Flüchtlinge registriert werden. Mit diesen finden auch längst vergessene urologische Erkrankungen ihren Weg zu uns.

Weltweit zunehmende Konflikte und auch der Klimawandel führen zu immer größeren Migrationsbewegungen. Allein 2017 waren rund 250 Millionen Menschen nicht mehr im Land ihrer Geburt. Auch Europa spürt diese Entwicklungen, wobei dort überwiegend afrikanische Flüchtlinge registriert werden. Mit diesen finden auch längst vergessene urologische Erkrankungen ihren Weg zu uns. Zeit sich darauf vorzubereiten bleibt nicht mehr, die Menschen sind ja bereits hier, wie eine aktuelle Arbeit im Journal European Urology aufzeigt.

Panik sollte nun ebensowenig ausbrechen, denn die Gefahr der Ansteckung mit bei uns seltenen oder selten gewordenen urologisch relevanten Infektionen ist für die Schutzsuchenden in der Regel größer als für die Allgemeinbevölkerung eines Ziellandes.

Dennoch gibt es in Europa und so auch in Deutschland zwei Probleme, die ein prinzipielles Risiko darstellen könnten: Zum einen ist die hiesige Bevölkerung mit den neuen, meist tropischen Erregern nicht vertraut, besitzt demnach keine natürliche Immunität. Zum anderen sind medizinisch tätige Fachkräfte, wie ÄrztInnen und Pflegekräfte, nicht (mehr) im Erkennen solcher Infektionen und der damit im Zusammenhang stehenden Risiken geschult.

Wenn tropische Erreger endemisch werden

Der Klimawandel führt zudem dazu, dass die Chance für tropische Erreger steigt, in Europa einen geeigneten Vektor oder ein Substrat für die dauerhafte "Besiedlung" zu finden. Ein Beispiel, welches in der aktuellen Arbeit von Mantica und KollegInnen dazu angeführt wird, ereignete sich 2013 auf der Insel Korsika. Dort breitete sich zu jener Zeit in einem Gewässer eine aus Afrika stammende Schistosoma-Spezies aus, die wohl Hunderte Menschen hätte infizieren können. Seinen Weg nach Korsika fand der Erreger offenbar ursprünglich mit den Flüchtlingsströmen.

Schistosoma, als Erreger der Bilharziose, benötigt für seinen Entwicklungszyklus eine Süßwasserschnecke der Gattung Bulinus. Auf Korsika fand der Erreger eine solche sowie dieser eng verwandte Schneckenarten und konnte sich somit sehr gut vor Ort etablieren. Ähnliche Süßwasserschnecken finden sich zudem in Portugal und Spanien, sodass prinzipiell in Südeuropa eine zukünftige Möglichkeit auf ein endemisches Reservoir für Schistosoma spec. besteht.

Das Problem der richtigen Diagnose

In Ländern des tropischen Afrika, in den die Bilharziose seit Menschengedenken zuhause ist, werden ÄrztInnen die charakteristische Symptomlage sofort richtig einschätzen und geeignete Maßnahmen ergreifen können. In Europa jedoch ist die Krankheit weit weniger häufig und daher meist wenig bekannt.

Zudem gehört das Wissen über tropische urologisch relevante Krankheiten und Infektionen hierzulande nicht unbedingt zum Lehrinhalt der Fachdisziplin. Das sollte sich jedoch schnellstmöglich ändern, denn bei uns würden die klassischen Anfangssysmptome der Bilharziose häufig wohl eher für eine HWI oder für ein Neoplasma gehalten werden. Dadurch verzögert sich die Zeit bis zur Diagnosestellung "Bilharziose" und damit auch bis zu einem adäquaten Therapiebeginn.

Die Situation ist tatsächlich dramatisch: In einer kleinen Umfrage unter 200 UrologInnen zeigte sich aus Sicht der AutorInnen ein "erschreckendes" Bild. In dem kleinen Multiple-Choice-Test hatten ÄrztInnen aus Südafrika Fragen zu urologisch relevanten Tropenkrankheiten zusammengestellt, die in Afrika als Wissenstest für StudentInnen und angehende ÄrztInnen gedacht waren. Die teilnehmenden europäischen ÄrztInnen hatten in mehr als 80% der Fälle nur unzureichendes Wissen über die Krankheiten im Test. Jeder neunte Kollege war dabei ein niedergelassener Urologe / eine niedergelassene Urologin. KollegInnen, die bereits Erfahrungen in Afrika oder einem anderen tropischen Land gemacht hatten, schnitten hingegen auch besser ab beim Test.

Fazit für die Praxis

Es zeigte sich, dass europäische UrologInnen nur unzureichend auf die Diagnose und Behandlung tropischer Erkrankungen mit urologischer Symptomatik vorbereitet sind. Die Migrationsbewegungen in der Welt führen jedoch über Kurz oder Lang dazu, dass solche Erkankungsfälle auch europaweit häufiger in den Praxen auftreten werden, ohne dabei das Problem künstlich überhöhen zu wollen. Fallzahlen wie in afrikanischen Staaten sind sicher nicht zu erwarten.

Dennoch schlagen die AutorInnen der Arbeit aus der European Urology vor, mehr Webinare und Weiterbildungsangebote anzubieten, um jedem Kollegen / jeder Kollegin in der Urologie zumindest einen Wissensstand zu ermöglichen, der das Erkennen einer solchen tropischen Infektion im Einzelfall ermöglicht.

Originalarbeit: Mantica G et al., European Urology 2019; 76: 140-141