Taubheits-Infertilitäts-Syndrom: Bei Normozoospermie oft übersehen

Ein junger Mann stellt sich Ihnen mit unerfülltem Kinderwunsch vor. Im Spermiogramm zeigt sich jedoch eine Normozoospermie. Also liegt das Problem doch eher auf Seite der Frau? Der Mann kann aber zudem schlecht hören. Würden Sie hier an einen genetischen Defekt denken? Nein? Sollten Sie jedoch zukünftig tun, so das Ergebnis einer spannenden Arbeit auf dem diesjährigen DGU-Kongress.

Ein junger Mann stellt sich Ihnen mit unerfülltem Kinderwunsch vor. Im Spermiogramm zeigt sich jedoch eine Normozoospermie. Also liegt das Problem doch eher auf Seiten der Frau? Der Mann kann zudem schlecht hören. Würden Sie hier an einen genetischen Defekt denken? Nein? Sollten Sie jedoch zukünftig tun, so das Ergebnis einer spannenden Arbeit auf dem diesjährigen DGU-Kongress. 

Im Spermiogramm zeigen Männer mit Taubheits-Infertilitäts-Syndrom im Vergleich zum Normalbild keine Abweichungen. Die Spermienzahl ist ebenso normal, wie deren Morphologie und Beweglichkeit. Und dennoch leiden die Betroffenen unter einer Infertilität. Häufig tritt zudem ein Hörverlust / eine Schwerhörigkeit auf.

Das Problem der CATSPER2-Deletion

Der Gendefekt, der beide Symptomlagen erklärt, ist neueren Forschungen nach auf dem Chromosom 15 zu finden. Dort sind zeitgleich das Gen für Stereocillin (STRC) und das Gen für eine Untereinheit des CatSper-Ionenkanals (CATSPER2) deletiert. In der Folge kommt es zu Funktionseinschränkungen in den Sinneszellen des Gehörs, aber ebenso zu einem Fertilitätsverlust in den Spermien, bei denen der dafür notwendige CatSper-Kalziumkanal funktionsunfähig wird. Betroffene Männer sind dann typischerweise hörgemindert bis taub sowie infertil.

Auf ihrem Weg zur Eizelle müssen Spermien die Zone der Cumulus-Zellen sowie die Pellicula überwinden, um ans Ziel zu gelangen. Dazu erhöhen die Spermien ihre Schlagzahl. Ausgelöst wird dies durch Progesteron im Umfeld der Eizelle. Dieses Hormon aktiviert die CatSper-Kalziumkanäle in den Spermien, wodurch Kalziumionen einströmen können. Der Kalziumstrom wiederum führt zu einer schnelleren Rotation des Spermienschwanzes, der schließlich von einem symmetrischen Flagellenschlag in die "hypermotile" Phase übergeht. Bei Männern, denen das CATSPER2-Gen fehlt, funktioniert der Kalziumkanal nicht mehr, sodass kein Kalzium einströmen kann und am Ende der Aktivitätswechsel ausbleibt. Die Spermien dringen nicht mehr bis zur Eizelle vor, es kommt zur Zeugungsunfähigkeit (Infertilität).

Genetischer Test ist therapieentscheidend

Statistiken zeigten zuvor, dass der Anteil von infertilen Männern mit Normozoospermie etwa 30% aller in der Praxis beobachtbaren Infertilitätspatienten umfasst. Wie groß dabei der Anteil derer ist, die unter einem Taubheits-Infertilitäts-Syndrom leiden, bleibt jedoch weiter unbekannt.

Hier könnte allerdings bald ein Funktionstest ("CatSper-Activity-Test") weiterhelfen, der in nur wenigen Minuten ein Ergebnis liefert, ob möglicherweise eine CATSPER2-Deletion vorliegt oder nicht. Je niedriger der CAT-Index dabei ausfällt, desto wahrscheinlicher ist ein solcher Defekt in den untersuchten Spermien. Doch warum ist es in der Praxis so wichtig, über diesen Defekt Bescheid zu wissen?

 Eine Studie zeigte hier unter anderem, dass Männer mit einem Taubheits-Infertilitäts-Syndrom einzig mit einer ICSI ( Intrazytoplasmatische Spermieninjektion) in der assistierten Reproduktion Erfolge erzielen können. Das heißt, es ist für diese Patienten zwingend notwendig, Spermium und Eizelle direkt zusammenzubringen. Alle anderen Verfahren scheiterten daran, dass die Spermien keine kalziumabhängige Motilitätsänderung auslösen konnten.

Fazit

Quelle:
Young S. Deafness-infertility-syndrome: a model to unravel the role of CatSper in human sperm (dys)function. DGU-Kongress 2020