Weniger Krebsdiagnosen durch COVID-19?

Ein Jahr Pandemie und kein Ende in Sicht? Längst treten zur eigentlichen Gesundheitsgefahr durch SARS-CoV-2 eine Vielzahl von Begleiterscheinungen, z.B. psychische Belastungen und daraus resultierende Stresserkrankungen sowie Gewalterfahrungen. Verunsicherte PatientInnen, Probleme bei der Impforganisation, verschobene Routineuntersuchungen und aufschiebbare Operationen - längst zweifeln auch Gesundheitsfachleute nicht mehr daran, dass diese Entwicklungen uns zukünftig noch weiter belasten werden. Doch welche Auswirkungen sind bereits heute erkennbar und auch in der urologischen Versorgung zu finden?

Ein Jahr Pandemie und kein Ende in Sicht? Längst treten zur eigentlichen Gesundheitsgefahr durch SARS-CoV-2 eine Vielzahl von Begleiterscheinungen, z.B. psychische Belastungen und daraus resultierende Stresserkrankungen sowie Gewalterfahrungen. Verunsicherte PatientInnen, Probleme bei der Impforganisation, verschobene Routineuntersuchungen und aufschiebbare Operationen - längst zweifeln auch Gesundheitsfachleute nicht mehr daran, dass diese Entwicklungen uns zukünftig noch weiter belasten werden. Doch welche Auswirkungen sind bereits heute erkennbar und auch in der urologischen Versorgung zu finden? 

In einer neuen kleinen Serie möchten wir uns einmal mit der verfügbaren Literatur zum Thema befassen. Zugegeben, noch findet sich relativ wenig darüber, inwieweit es zu langfristigen Einschränkungen in der urologischen Routineversorgung aufgrund der Coronavirus-Pandemie gekommen ist. Dennoch ist es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis wir hier mehr empirische Daten sehen werden. Darüber gilt es dann auch zu sprechen.

Einige Fachdisziplinen hatten 2020 weniger Krebsdiagnosen

Den Anfang soll eine retrospektive Analyse machen, welche den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Zahl der Krebsdiagnosen in Deutschland untersuchte. Insgesamt flossen die Daten und Krebsdiagnosen von mehr als 102.000 PatientInnen im Alter > 18 Jahren ein. In allen Fällen handelte es sich um PatientInnen mit einer Neudiagnose einer Tumorerkrankung, die entweder zwischen Januar 2019 und Mai 2019 bzw. zwischen Januar 2020 und Mai 2020 festgestellt worden war. Eingeschlossen wurden solche Krebsfälle die in der Allgemeinarztpraxis, beim HNO, in der Dermatologie, in der Gynäkologie oder in der Urologie erstdiagnostiziert wurden.

Ein Trend, der sich nach Auswertung der Daten ergab: Die Zahl der Krebsdiagnosen sank im März bis Mai 2020 im Vergleich zu 2019 signifikant ab. Auf die Vergleichsmonate (März bis Mai) in der Pandemie bezogen, bedeutete dies z.B. einen 12-%igen Abfall der Krebsdiagnosen im März 2020 verglichen zum März 2019. Für den April waren es -27,6%, im Mai -23,4%.

Besonders augenscheinlich nahm die Zahl der Krebsneudiagnosen in der ersten Pandemie-Welle während des Monats April 2020 ab: Dermatologie -44,4%, Gynäkologie -32,0% sowie HNO -28,2%. In der Urologie waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch -18,1% weniger Krebsneudiagnosen. Alter und Geschlecht schienen bei diesem Trend keine Rolle zu spielen.

Welche Gründe könnte es für den Rückgang der Neudiagnosen geben?

Was also kann dazu geführt haben, dass weniger Menschen zur Diagnose kamen? Zum einen ist davon auszugehen, dass verschiedene Fachgesellschaften die Routinevorsorge in zahlreichen Bereichen hintangestellt hatten. Dadurch sollten wichtige Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-PatientInnen geschaffen werden oder das "unnötige" Erscheinen von PatientInnen in den Praxen verhindert werden, ganz im Sinne der Infektionsvermeidung.

Auf der anderen Seite hatten viele PatientInnen, gerade solche mit Vorerkrankungen und Komorbiditäten, Angst, sich beim Praxisbesuch oder auch nur auf dem Weg dorthin, anzustecken. Interessant ist darüber hinaus, dass besonders diejenigen Fachdisziplinen stärker betroffen sind, in denen es zu Überschneidungen mit COVID-19-Symptomen kommen kann.

Zu denken ist hierbei an Husten und Heiserkeit in der HNO-Praxis oder auch an Brustschmerzen in der Gynäkologie. PatientInnen mit solchen unklaren Symptomen waren oftmals verunsichert, zudem es Anweisungen seitens der Gesundheitsbehörden gab, bei COVID-19-ähnlichen Symptomen zuhause zu bleiben und den Arzt telefonisch zu kontaktieren. Testangebote gab es Anfang 2020 ebenfalls noch viel zu wenige, sodass PatientInnen tatsächlich daheim blieben und Vorsorgeuntersuchungen besser in die Zukunft verschoben haben.

Was bedeutet das für die weitere Praxis?

Die Auswirkungen verpasster oder verspäteter Vorsorgeuntersuchungen und damit möglicher Krebsdiagnosen sind von Tumorart zu Tumorart sehr unterschiedlich. Für einige Entitäten bedeutet dies, dass ein Aufschub möglicherweise tolerierbar ist. In anderen Fällen droht womöglich ein schlechteres Outcome bei verzögerter Diagnose und Therapie. Dazu werden wir uns jedoch in den kommenden Wochen weitere Arbeiten aus der Uroonkologie ansehen.

Interessant wären desweiteren Krebs-Daten aus den Monaten nach dem ersten Lockdown 2020. Entspannte sich die Lage in den Praxen? Normalisierte sich die Zahl der Neudiagnosen bei Krebserkrankungen, sodass es bis zum Jahresende 2020 eigentlich keinen wirklich messbaren Einschnitt in der Frühdiagnostik gab? 

Originalarbeit: Jacob L et al., Impact of the COVID-19 Pandemic on Cancer Diagnoses in General and Specialized Practices in Germany. Cancers 2021; 13: 408. https://doi.org/10.3390/cancers13030408