Depersonalisation: viel zu häufig unerkannt

Man kennt es von sich selbst: an manchen Tagen steht man einfach neben sich, man ist übermüdet und führt alle Bewegungen wie fremdgesteuert aus. Dieser Zustand hält sich normalerweise nur für kurze Zeit, was ist aber, wenn es plötzlich für immer so bleibt?

"Es ist als wäre ein Schalter umgelegt worden", hört man Patienten klagen. Sie fühlen sich plötzlich wie ausgewechselt, kommen sich fremd im eigenen Körper vor und nehmen ihre Umgebung nur wie gekünstelt wahr.

Depersonalisation (DP) ist eine Diagnose, die nur selten gestellt wird, aber bei weitem nicht so selten ist (mustergültig erforscht von PD Dr. Matthias Michal von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Mainz). Ein Einblick in die Versicherungsakten von 1,5 Millionen deutschen Versicherten offenbarte, dass DP innerhalb eines Jahres nur bei 0,07 Prozent der Versicherten diagnostiziert wurde. Tatsächlich liegt die Inzidenzrate jedoch bei ca. einem Prozent. Das bedeutet, dass bei 100 Betroffenen 99 falsche Diagnosen getroffen werden.

Viele Fachärzte wissen nicht, dass es sich bei der Depersonalisation um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt, daher wird sie oft fälschlicherweise nur als Begleitsymptom einer anderen Primärkrankheit aufgefasst. Für den Patienten ist es nicht nur resignierend mit ihren Empfindungen nicht ernst genommen zu werden, die falsche Therapie kann auch fatale Folgen haben. Vielen Patienten wird eine Schizophrenie diagnostiziert, die Behandlung unter dem Neuroleptikum Risperdal verstärkt durch seine dämpfende Wirkung jedoch nur die Teilnahmslosigkeit der Betroffenen. Und auch wenn Antidepressiva zumindest auch bei ihnen einen stimmungsaufhellenden Effekt erzielen, lassen auch sie die Grundproblematik der DP unbehandelt.

Umgekehrt fällt es den Patienten auch schwer sich ihrem Arzt mitzuteilen. Oft tritt die DP zusammen mit einer Panikattacke auf, weswegen viele Patienten ihren Zustand zunächst darauf zurückführen. Außerdem müssen sie erst einmal die richtigen Worte finden. Die Beschreibungen gehen von "sich ausgehöhlt und emotionslos fühlen", über "sich selbst nicht im Spiegel erkennen" zu können bis hin zu dem Eindruck, dass ein Schleier einen von der Umwelt trenne oder dass man alles nur noch zweidimensional sehen würde. Mitunter erfolgt die Erstvorstellung daher beim Augenarzt.

Menschen, die in ihrer Kindheit einen Mangel an Sicherheit oder aber auch eine übermäßige Kontrolle durch das Elternhaus erfahren haben, entwickeln ein höheres Risiko an DP zu erkranken. Der Konsum von Cannabis und anderen Drogen wirkt ebenfalls begünstigend. Letztlich verbirgt sich hinter dieser Erscheinung jedoch eine Schutzreaktion des Körpers, weswegen sie auch im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen auftritt. Die Betroffenen erleben die Ereignisse distanziert, Empfindungen und auch die Gedächtnisleistung werden gehemmt, um den Körper vor zusätzlichem psychischem Schaden zu schützen. Meistens tritt DP allerdings noch vor Erreichen des 25. Lebensjahres auf.

Bisher hat sich noch kein Therapieverfahren behauptet. Hilfreich ist jedoch die bewusste Konzentration auf z.B. die eigene Atmung, um sich selbst eventuell auch wieder näher zu kommen. Da die Symptomstärke variiert, empfiehlt Michal das Anlegen eines Symptomtagebuches, sodass Arzt und Patient gemeinsam Triggerpunkte aufdecken können. Den Symptomen liegt meist eine tieferliegende Angst zu Grunde; der Erfolg von Psychotherapien lässt sich bisher allerdings kaum abschätzen, denn Studien liegen bisher noch nicht vor.

Man sollte diese Krankheit zumindest im Hinterkopf behalten und einmal genauer zuhören, wenn ein Patient davon spricht, etwas neben sich zu stehen.