Freigabe der Notfallkontrazeptiva: Politisch Top – Medizinisch Flop?

Das Medienecho – sowohl in der Fach- als auch in der Laienpresse - war riesig, als am 15. März 2015 die Notfallkontrazeptiva EllaOne® (Ulipristalacetat) und PiDaNa® (Levonorgestrel) aus der Rezeptpflicht entlassen wurden. Während die Laienpresse vorwiegend betonte, dass es für die Frauen ein großer Fortschritt sei, ohne Hürden die „Pille danach“ zu erhalten, warnte die Fachpresse auch vor Gefahren durch die Freigabe.
Jetzt sind zwei Jahre vergangen und es entsteht der Eindruck, als würde sich niemand mehr für dieses Thema interessieren. Dabei sind die Fakten überaus interessant und diskussionswürdig.

Verkaufszahlen der Notfallkontrazeptiva

Im Jahr 2014 wurden 483.800 Packungen von Notfallkontrazeptiva verkauft. Im Jahr 2015 stieg der Absatz um 39% auf 674.500 und im Jahr 2016 nochmals um 12% auf 758.000 abgegebene Einheiten (Abb. 1).

Hiervon wurden 88% ohne Rezeptvorlage erworben. Dies bedeutet, dass im Jahr 2016 insgesamt ca. 667.000 Frauen in der konkreten Situation keine ärztliche Beratung in Anspruch nahmen und somit auch nicht zu weiterer Kontrazeption, Krebsvorsorge, Verhütung sexuell übertragbarer Erkrankungen usw. informiert werden konnten.

Nun wird sicherlich ein Teil der Frauen trotzdem regelmäßig den Gynäkologen aufsuchen – aber Daten hierzu existieren nicht.

Besonders bedenklich erscheint die Abgabe der Notfallkontrazeptiva bei den unter 20ährigen, die nach Beratung durch den Arzt Anspruch auf ein GKV-Rezept haben. Hier sanken die Absatzzahlen von 90.300 im Jahr 2014 um 50% auf 44.600 im Jahr 2015 und um weitere 50% auf 22.400 im Jahr 2016 (Abb. 2). Da nicht davon auszugehen ist, dass die Einnahme der Pille danach gerade durch die jungen Mädchen entgegen dem allgemeinen Trend abgenommen hat, erscheinen diese Zahlen alarmierend. Jugendliche und junge Erwachsene haben meist noch einen besonders hohen Aufklärungsbedarf. Die Chance hierzu wird vertan. Es wird sich zeigen, wie sich in den künftigen Jahren die sexuelle Gesundheit und Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei dieser Gruppe verändern wird.


Ein weiterer Aspekt ist interessant: Die gesetzlichen Krankenkassen profitieren von der Freigabe der Notfallkontrazeptiva finanziell enorm, nachdem seit 2014 insgesamt 67.900 Packungen weniger auf Kassenrezept verkauft wurden.

Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland

Durch den Einsatz von Notfallkontrazeptiva soll die Zahl unerwünschter Schwangerschaften reduziert werden. Interessant ist daher, ob durch den starken Anstieg der Verkaufszahlen der Pille danach die Rate an Schwangerschaftsabbrüchen gesenkt werden konnte.

Die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen für 2016 insgesamt 98.721 Schwangerschaftsabbrüche. Das ist ein unbedeutender Rückgang von 0.5% im Vergleich zum Vorjahr. Bezieht man die Anzahl der Abruptiones auf 10.000 Frauen im reproduktiven Alter, so zeigt sich jedoch schon seit 2014 keine nennenswerte Veränderung bei der Zahl der Abbrüche (Abb. 3).

Fazit

Die Verkaufszahlen von Notfallkontrazeptiva sind von Januar 2015 bis Januar 2017 um 71% gestiegen. Hierdurch konnte keine Reduktion der Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche erreicht werden. Das politische Ziel, durch Freigabe der Notfallkontrazeptiva das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu stärken und durch ungehinderten Zugang zu diesen Medikamenten ungewollte Schwangerschaften in höherem Maße zu verhindern, muss daher als gescheitert angesehen werden. Die Krankenkassen sparen enorm – es werden weniger GKV-Rezepte ausgestellt und es entfallen auch Arzthonorare in hohem Ausmaß. Die Frauen jedoch haben keinen Vorteil. Es ist nicht anzunehmen, dass der erhöhte Einsatz von Notfallkontrazeptiva medizinisch begründet werden kann. Viele Frauen nehmen also mutmaßlich Medikamente ein, die nicht indiziert sind. Außerdem wird die Zukunft zeigen, inwieweit der Verzicht auf ärztliche Beratung sich in Zukunft auf die Frauengesundheit auswirken wird.

Diskutieren Sie mit!

Wie beurteilen Sie die Situation? Sollte der Berufsverband eine Aufklärungskampagne starten? Sollten wir Frauenärzte das Thema in der Praxis auch außerhalb von Notsituationen mit den Frauen diskutieren? Oder sagen Sie, der Zug ist abgefahren und weiteres Engagement ist überflüssig? Welche Aspekte sind Ihnen wichtig?

Ich freue mich auf Ihre Diskussionsbeiträge.