Nah-Toderlebnisse bestätigen Auferstehung und Leben nach dem Tod:

PRAXIS KLINIK FORSCHUNG

TW Neurologie Psychiatrie 9, 132?140, 1995

M. Schröter?Kunhardt, Weinsberg

Erfahrungen Sterbender während des klinischen Todes

In der gesamten Menschheitsgeschichte berichten Menschen, die schon einmal dem Tode nahe waren, von sogenannten „ near?death?experiences " (NDEs). Diese ähneln sich erstaunlich in ihren Grundelementen, auch wenn deren Ausgestaltung individuell und kulturell unterschiedlich ist. In der Überzeugung, daß es ein Leben nach dem Tod gibt, haben die Erlebenden nach dem NDE oft keine Angst mehr vor dem Tod und führen ein religiöseres Leben. Die neurophysiologischen Korrelate des NDEs, wie z.B. die Freisetzung körpereigener Halluzinogene und die Beteiligung des temporo?limbisehen Systems, weisen auf ein zerebrales Programmfür diese religiöse Grunderfahrung hin.

n eine private NaSchlüsselwörter „Near?death?experiences", NahTodeserfahrung, Halluzinogene, temporolimbisches System

Near?Death?Experiences

During the whole history of mankind near?death?experiences are reported from people who haue been near death. Besides an individual and cultural different shapiftg, the NDEs astonishinglv consist of similar elements. Convinced that there is life after death, the NDErs afterwards of ten Loose their fear of death and lead a more religious life. The neurophysiologic correlates of the NDE e.g. the precisely regulated release of endogene hallucinogenic substances and the participation of the temporolimbic System point to a cerebral program for this religious experience.

Die Begleitung Sterbender ist inzwischen zu einem anerkannten Tätigkeitszweig geworden. Aber auch im Rahmen der Sterbebegleitung wird die für den Sterbenden oft wichtigste Frage nur selten angesprochen: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Die sogenannten NahTodeserfahrungen (near?death experiences, NDEs) haben jedoch gezeigt, daß gerade das Ansprechen dieses Tabus einen wichtigen (therapeutischen) Teil der Sterbebegleitung darstellt, dessen Verdrängung alle anderen Bemühungen Stückwerk sein läßt. Doch worum handelt es sich bei den NDEs?

Nah?Todeserfahrungen sind veränderte Wachbewußtseinszustände in unmittelbarer ? tatsächlicher oder nur erwarteter ?Todesnähe. Auslöser sind z.B. Unfälle, lebensbedrohliche Erkrankungen, Geburten, Operationen oder Suizidversuche. Dabei haben die verschiedenen Auslöser keinen Einfluß auf den NDE?Inhalt. Je größer jedoch die Todesnähe, desto häufiger und vollständiger scheinen NDEs zu sein. Ein Teil der NDEr ist dann auch während des NDEs klinisch tot, d.h. ohne Herzschlag und Atmung. Einige NDEs sollen sich auch nach Aufgabe der Reanimation (z.B. im Leichenschauhaus) ereignet haben. Das ist jedoch nur möglich, weil der genaue Zeitpunkt des biologischen Todes medizinisch nicht feststellbar ist und (selten) der klinische mit dem biologischen Tod verwechselt wird. Kein NDEr war jedoch biologisch (d.h. irreversibel) tot.

NDEs in allen Kulturen verbreitet

Folgende Elemente treten in eher abnehmender Häufigkeit und oft in dieser Reihenfolge in allen Kulturen aller Zeiten auf:

· Stimmungsaufhellung mit Gefüh?len von Leichtigkeit, Wohlbefinden, Heiterkeit, Friede, Glück u.a.,

· außerkörperliches Erlebnis (OBE), bei dem der NDEr sich plötzlich auf seinen eigenen Körper herabschauend erlebt, wobei sein rationales Bewußtsein weiterarbeitet und zuweilen sogar Tests unternimmt, um diese neue Existenzform zu überprüfen. Dabei werden (auch von Blinden) verifizierbare optische Wahrnehmungen, auch außerhalb des jeweiligen Raumes, gemacht. Beim scheinbaren Verlassen des Körpers kommt es zu abrupter Schmerzfreiheit. Die oft sehr schnelle Rückkehr in den Körper führt zum plötzlichen Wiedereinsetzen der Schmerzen,

· Eintritt in eine zumeist dunkle, tunnelartige Übergangszone,

· Wahrnehmung eines zumeist weißgoldenen, unendliche Liebe ausstrahlenden Lichtes, das bei dem Erlebenden oft Gefühle höchster Seligkeit und manch mal mystische Allwissenheits/Alleinheitserfahrungen auslöst,

· Wahrnehmung einer paradiesischen oder höllischen Landschaft,

· Begegnung mit verstorbenen Verwandten, religiösen Figuren oder Lichtwesen. Zwischen diesen und dem NDEr kommt es oft zu einer gedanklichen Kommunikation, in der letzterer häufig zur Rückkehr aufgefordert wird. Zwischen diesen Stadien kann es außerdem noch zu folgenden NDE?Elementen kommen:

· Hören von Tönen und wunderschöner Musik,

· Präkognitionen, in denen Teile der eigenen oder der globalen Zukunft gesehen werden können,

· Ablauf eines Lebensfilms, in dem der Sterbende viele bekannte und unbekannte z.T. verifizierbare Einzelheiten seines Lebens als Beobachter wiederererlebt. In Form der Lebensrevision kommt es dabei manchmal über das Miterleben der jeweiligen Gefühle aller Beteiligten zu einer kultur? und religionsspezifischen ethischen Bewertung aller eigenen Gedanken, Worte und Taten.

Auch negative NDEs möglich

Bei den in etwa 1?20% auftretenden negativen NDEs erlebt der NDEr zuweilen auch ein OBE oder eine Tunnelpassage. Dann kommt es jedoch unter unangenehmen Gefühlen wie Angst und Panik zum Eintritt in eine höllische Umgebung mit dämonischen Kräften oder Wesen. Gelegentlich kann ein NDE auch nacheinander aus negativen und positiven Sequenzen bestehen, oder aber ein positives NDE wird als bedrohlich empfunden. Manche Menschen haben mehrere positive und negative NDEs erlebt.

Ähnliche Erfahrungen wurden seit Beginn der Menschheitsgeschichte in den verschiedensten Kulturen gemacht, sei es in Babylon (festgehalten im 5000 Jahre alten Gilgamesch?Epos), im frühen katholischen Mittelalter (mit der ersten 1500 Jahre alten Fallsammlung) oder im chinesischen und japanischen Amidha?Buddhismus, aus dem die zweitälteste Fallsammlung stammt. Die historischen Nah?Todeserfahrungen zeigen wie die modernen NDEs eine religions?, kultur? und mentalitätsspezifische Ausgestaltung und Interpretation gemeinsamer Grundelemente. Zu letzteren zählen fast immer OBE, jenseitige Landschaft, Kontakt mit Verstorbenen und die plötzliche Rückkehr in den Körper. Mystisch?ekstatische Lichterfahrungen scheinen jedoch nur in den Hochreligionen wie dem Christentum und dem Buddhismus vorzukommen, in denen auch die Lebensbewertung nach einer höheren Ethik erfolgt.

Insgesamt ist das Auftreten von NahTodeserfahrungen nicht an soziologische, demographische oder psychologisch?weltanschauliche Voraussetzungen gebunden. Nur Menschen, die gegen den nahenden Tod kämpfen und so innere Erfahrungen abwehren, Scheinen NDEs nicht wahrzunehmen bzw. zu erinnern, oder erleben möglicherweise wirklich kein NDE.

NDE?Häufigkeit

NDEs treten insgesamt bei bis zu einem Drittel aller Menschen auf, die schon einmal wiederbelebt wurden bzw. dem Tod sehr nahe waren. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen kulturvergleichende Studien über Inhalt und Häufigkeit sog. Sterbebetterscheinungen, einer NDE?Variante, bei der 20?67% der zumeist wachen Sterbenden kurz vor ihrem Tod plötzlich verstorbene Menschen und/ oder `Jenseits'?Landschaften erblickten und parallel einen Stimmungsaufschwung erlebten. Dafür spricht auch die Tatsache, daß einzelne (paranormale) NDE?Elemente schon bei bis zu 50% der Gesunden, z.T. im normalen Wachbewußtsein, vorkommen. So liegt die Häufigkeit spontaner, nicht todesnaher OBEs bei knapp 28% der Bevölkerung. Auch präkognitive Träume sind nicht selten.

Betroffene fürchten Diskriminierung

Verschiedene Indizien sprechen eher noch für eine Unterschätzung der Häufigkeit von NDEs. So berichten viele NDEr ihren Ärzten und Angehörigen nicht von ihren Erfahrungen, weil sie eine Diskriminierung als Halluzinierende befürchten. Auch wird in europäischen Kliniken praktisch überhaupt nicht nach solchen Erfahrungen gefragt. Aufgrund kurzer Bewußtseinsverluste vor und nach dem NDE, aufgrund ihres Traumcharakters, ihrer teilweise auch negativen Inhalte und einer mit einer Amnesie einhergehenden Temporallappenbeteiligung ist außerdem eine deutliche Vergessens/Verdrängungs?Quote zu erwarten. Schließlich ist die Wahrnehmung/Erinnerung von NDEs bei alten Menschen, bei kurzen NDEs und besonders unter dem Einfluß von Psychopharmaka und Anästhetika beeinträchtigt. Umgekehrt wird zum Beispiel die Wahrnehmung von OBE?Einzelheiten durch ein OBE?Training oder eine gute Introspektionsfähigkeit verbessert.

Massive Persönlichkeitsveränderungen

NDEs und auch singuläre OBEs führen zu massiven Persönlichkeitsveränderungen. Bei vielen NDErn kommt es zu einer Umwälzung bisher gültiger Werte und Ansichten, so daß innere und äußere Konflikte oft unvermeidbar sind. Scheidungen, Berufswechsel und psychosoziale Störungen können die Folge sein. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Kulturschock?Phänomen. Auch Alpträume, Depressionen und psychotisch anmutende Störungen werden zuweilen nach einem NDE beobachtet.

Die positiven Veränderungen überwiegen jedoch. So hat man in verschiedenen kontrollierten Studien eine statistisch signifikante Abnahme der Angst vor dem Tod (als Ende) festgestellt, die sich eindeutig auf das NDE und nicht nur auf die Todesnähe zurückführen ließ. Damit war fast immer? auch bei OBErn? die absolute Gewißheit verbunden, daß es ein Leben nach dem Tod gibt. Eine mögliche Folge: (Pathologische) Trauerreaktionen auf den Tod von Angehörigen nehmen deutlich ab, da man von deren Weiterleben zu wissen glaubt.

Zunahme innerer Religiosität

Diese beiden Veränderungen deuten den Kern aller NDE?Folgen an: Über die Aufhebung der Verdrängung des Todes kommt es zu einer mehr oder weniger deutlichen Zunahme einer inneren Religiosität. Letztere besteht neben dem Wissen von der Existenz göttlicher und dämonischer Mächte vorwiegend aus der Priorität religiös/ethischer Werte der jeweiligen Religion und Kultur in diesem (und in jenem) Leben. Während man sich z.B. im Amidha?Buddhismus nach einem NDE vermehrt den buddhistischen Praktiken zuwandte, engagieren sich bis zu einem Drittel der modernen NDEr wieder in der Kirche.

Zu den in der Regel nur dezent ausgeprägten Wert? und Lebensveränderungen zählen bei den zumeist christlichen modernen NDErn eine größere Liebe zu allen und allem, größere Verbundenheit und mehr Mitgefühl mit anderen Menschen sowie eine Höherbewertung menschlicher Beziehungen, verbunden mit der Abkehr von äußerlich?materialistischen Werten. Eine Hinwendung zu sozial?karitativen Tätigkeiten, eine höhere Wertschätzung von Sinnfragen, aber auch der eigenen Person und der Kürze und Kostbarkeit der Lebenszeit werden beschrieben. Damit geht ein erhöhtes Verantwortungsgefühl, eine Suche nach (Selbst?)Erkenntnis und Wissen und zuweilen eine Ästhetisierung von Natur? und Musikempfinden einher. Des weiteren nehmen intuitive, präkognitive und außerkörperliche Erfahrungen zu. Gelegentlich kommt es auch zur Heilung psychischer Störungen, zuweilen gar zur völligen Kehrwendung von Verbrechern. NDEs haben sich auch als ein gutes Suizidprophylaktikum erwiesen.

chricht schicken.msk1956Manche NDEr entwickeln gar ein „Auserwähltheits?Bewußtsein" und werden zu Verkündern ihrer subjektiven Erfahrung und deren persönlicher Deutung. Dabei werden leider nicht selten esoterische Spekulationen und Wahnideen wie z.B. Reinkarnationsphantasien oder UFO?Phänomene mit einer undifferenzierten NDE?Deutung vermischt und dann auf dem esoterischen Markt für teures Geld verkauft. Die konkrete, Disziplin erfordernde Umsetzung der NDE?Ethik dagegen gelingt so nicht.

Sind NDEs ein „Gottesbeweis"?

Wenn das , jenseitige" Licht für Gilgamesch zum Sonnengott, für den Amidha?Buddhisten zum göttlichen Boddhisatva, für den Christen zum Gott der Liebe und des Lichtes und selbst für den ungläubigen Wissenschaftler oder Rationalisten ein Grund zum Glauben an göttliche Kräfte wird ? könnten die NDEs dann eine Art „Gottesbeweis" sein? Wenn das Gehirn aller NDEr aller Zeiten das NDE als Beweis für ein Leben nach dem Tod erlebt, ist es das tatsächlich? Und wenn alle NDEs zu Persönlichkeitsveränderungen im Sinne einer Verstärkung der religiös?ethischen Seite des Menschen führen ? ist das nicht ein Hinweis auf die biologisch?genetische Basis der menschlichen Religiosität?

• NDEs sind kein Ausdruck einer psychischen Störung des NDErs. Seelisch Kranke machen solche Erfahrungen nicht häufiger oder seltener als Gesunde. NDEr/OBEr sind eher noch seelisch gesünder als die Mitglieder verschiedener Kontrollgruppen.

• NDEs sind nicht Folge des Vorwissens über NDEs. So haben selbst uninformierte Kinder, sogar schon im vorsprachlichen Alter, NDEs aus den typischen Grundelementen. Dabei ist die kindliche Todesvorstellung eine andere als die von Erwachsenen! Auch entspricht bei letzteren das NDE oft nicht den eigenen (areligiösen) Erwartungen. Tatsächlich ergaben verschiedene Untersuchungen, daß die meisten NDEr nicht vorinformiert waren. Selbst bei Vorwissen über NDEs bestand oft keine Korrelation zwischen diesem und NDE?Form/Inhalt.

Kein Wiedererleben der Geburt

Beim NDE handelt es sich nicht um das Wiedererleben der Geburt. Von den Gefühlsqualitäten her ist das NDE geradezu das Gegenteil der Geburtserfahrung. Tatsächlich müßten schwierige Geburten (z.B. via Kaiserschnitt) völlig andere bzw. negative NDEs zur Folge haben, was jedoch nicht der Fall ist.

• NDEs/OBEs sind nicht durch subliminale Wahrnehmungen erklärbar. Bei letzterer kommt es (intraoperativ oder im Koma) aus dem Körper heraus zu akustischen Wahrnehmungen emotional wichtiger (zumeist bedrohlicher) Inhalte, wobei das Gefühl der Hilflosigkeit und der fraglichen Realität des Erlebten seelisch/körperliche Störungen induzieren kann. Auch Schmerzen werden wieder wahrgenommen. Im Gegensatz dazu ist das NDE(?OBE) durch überwiegend optische außerkörperliche Wahrneh mungen wichtiger und unwichtiger Inhalte bei z.T. erhaltener Rationalität und großer Realitätsgewißheit mit seelisch positiven Auswirkungen gekennzeichnet. Außerdem besteht während des ganzen Erlebnisses Schmerzfreiheit. Schließlich gibt es NDEs ohne jegliche Geräuschkulisse und damit ohne die Möglichkeit zu subliminaler akustischer Wahrnehmung.

• NDEs sind auch keine bloßen Synästhesien. Bei der Synästhesie werden zumeist Töne und Worte in Farben und Bilder umgesetzt. Letztere sind jedoch immer individuell unterschiedlich und ergeben keinesfalls ein (korrektes) Bild des Auslösers, wie das beim NDE der Fall sein müßte. Auch gibt es NDEs ohne jede synästhetisch zu verwendende Geräuschkulisse. Schließlich werden subliminale akustische Wahrnehmungen immer nur akustisch erinnert, nicht aber synästhetisch verarbeitet.

Keine Depersonalisation oder Derealisation

Psychologische Theorien sind oft falsch und können nichts über die Realität des NDE aussagen. So ist beim NDE das Ich?Gefühl gesteigert und alle Wahrnehmungen wirken sehr real, so daß es sich um keine Depersonalisation oder Derealisation handelt. Erstere kommt im Gegensatz zum NDE auch bei Kindern und alten Menschen nicht vor. Das NDE psychoanalytisch als Regression in den Zustand vor der Ego?Differenzierung zu erklären, ist ebenfalls falsch, da es von einem relativ intakten Ich bei Rationalität und erhaltener oder gar gesteigerter ethischer Reife erlebt wird.

Mi• NDEs sind auch keine bloße (unbewußte) Wunscherfüllung. Zwar werden im NDE oft (unbewußte) Gedanken und Vorstellungen zu Bildern. Andererseits bestehen NDEs unabhängig vom Glauben des NDErs aus universellen Grundelementen. Auch prädisponieren Religiosität oder der Wunsch nach Unsterb lichkeit nicht zu einem NDE/OBE. Des weiteren konnten die verifizierbaren OBE?Wahrnehmungen z.B. der eigenen Reanimation von bloßen Vorstellungen über deren Verlauf abgegrenzt werden, so wie überhaupt einige NDE?Bilder nur als außersinnliche Wahrnehmung (ASW) zu erklären sind. Eine Wunscherfüllung wäre auch eine Flucht vor der Wirklichkeit, während sich der NDEr im OBE gerade der gefürchteten Situation stellt. Tatsächlich ist vielmehr das Fehlen eines NDEs als ?Abwehr/Flucht zu bezeichnen ? was sich auch darin zeigt, daß OBEs am häufigsten durch Angst beendet werden! Schließlich führt eine Flucht auch nie zu positiven Persönlichkeitsveränderungen.

• NDEs sind nicht Folge einer besseren Imaginationsfähigkeit des NDErs. Zwar geht das NDE mit einer erhöhten Zuwendung zu inneren Bildern einher, die nur anfangs den eigenen (unbewußten) Wünschen entsprechen. Andererseits fand man bei NDErn und OBErn keine bessere Imaginationsfähigkeit als bei der Normalbevölkerung. Auch sind Imaginationen immer individuell unterschiedlich, während NDEs aus gemeinsamen Grundelementen bestehen. Außerdem fördert das Auftauchen innerer Bilder auch die außersinnliche Wahrnehmung.

ch• Die Behauptung, daß Teile des NDEs Realitätswahrnehmungen und keine Halluzinationen sind, ist richtig. Das gilt auf jeden Fall für den Lebensfilm, der nachweislich viele richtige Einzelheiten aus dem Leben des NDErs enthält. Das gilt ebenso für verifizierbare ASW im NDE, auch wenn sich diese noch häufig mit eigenen inneren Bildern vermischen. Tatsächlich ist das OBE auch experimentell ASW?induktiv. Au?ßerdem entspricht das NDE mit seiner hohen wegen der Todesnähe bedrohlichen ? affektiven Spannung den klassischen PSI-Induktionsbedingungen.

Keine gewöhnlichen Halluzinationen

Auch die anderen Grundelemente des NDE unterscheiden sich von gewöhnlichen Halluzinationen: Während letztere immer individuell unterschiedlich sind, bestehen alle NDEs aller Kulturen aus den gleichen Grundelementen. (Klüversche) Halluzinations?Grundmuster sind abstrakt, während die NDE?Bilder nahezu alle gegenständlich sind. Auch führt krankheitsbedingtes Halluzinieren nicht zu einer größeren Häufigkeit von NDEs. Das OBE selbst ist keine (he)autoskopische Halluzination. Schließlich sind Halluzinationen zumeist Ausdruck und Ursache von psychischen Störungen, während NDEs oft seelisch heilsam wirken.

ae• NDEs sind also auch nicht nur (Wach?)Träume. Trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen Wachtraum und NDE wie Gefühlsintensität, Ich?Bewußtsein, Handlungsfreiheit und Sinnesmodalitäten wie im Wachleben, szenischem Erleben in großer Lebendigkeit, Hypermnesie, Steuerbarkeit durch (unbewußte) Gedanken, gelegentliches Auftreten von OBEs sowie Schweben/Fliegen als bevorzugte Fortbewegungsart gibt es auch deutliche Unterschiede: (Wach?)Träume ereignen sich im REM?Schlaf, NDE(OBE)s dagegen nicht. (Wach?) Träume bestehen immer aus individuell unterschiedlichen Traumszenen, NDEs dagegen unabhängig von der Weltanschauung des NDErs aus gemeinsamen Grundelementen. OBEs und ASW sind beim NDE wesentlich häufiger.

Das klassische NDE scheint somit am Ende eines Kontinuums zu liegen, an dessen Anfang Phänomene wie Derealisations? und Depersonalisationserscheinungen, Halluzinationen und Träume stehen und das über eine zunehmende Luzidität, oneiroide Wachträume (im Koma) und geträumte OBEs bis zu?universellen archetypischen Bildern, ASW und verifizierbarer Außerkörperlichkeit reicht. Göttliche und dämonische Bilder könnten dann sowohl tiefliegendste Kräfte oder Atome der menschlichen Psyche als auch außersinnlich wahrgenommene göttliche oder dämonische Kräfte sein.

Religiöse NDE?Bilder mit biologischer Basis

Auf jeden Fall spricht die Unabhängigkeit der archetypischen NDE?Grundelemente von den verschiedenen NDE?Auslösern und ihre experimentelle Induzierbarkeit durch halluzinogene Substanzen wie LSD, Haschisch, Meskalin etc. dafür, daß die religiösen NDE?BiIder im Gehirn biologisch angelegt sind. Wahrscheinlich spielen körpereigene Halluzinogene bei den überwiegend optischen NDEs eine entscheidende Rolle, während Endorphine/Enkephaline vermutlich nur Begleitfaktoren sind, da sie keine Bilder induzieren. Zu den erst vor kurzem entdeckten körpereigenen Halluzinogenen zählt zum Beispiel das Haschisch?Derivat Anandamid.

Tatsächlich sind Halluzinogen?induzierte von echten religiösen Erfahrungen, selbst in den Auswirkungen, kaum zu unterscheiden. Erstere bestehen dann auch wie NDEs aus zwei Grundtypen, die Himmel und Hölle repräsentieren. Dementsprechend werden Halluzinogene in vielen Kulturen zur Induktion religiöser Erfahrungen und zur Therapie von Krankheiten eingesetzt. Die bei therapieresistenten psychischen Störungen noch erfolgreiche psychedelische Therapie mit Halluzinogenen kann ebenfalls tiefreligiöse Erfahrungen induzieren. Daß Frauen dabei kleinere Halluzinogen?Mengen benötigen, erklärt möglicherweise auch das etwas häufigere Vorkommen von NDEs bei Frauen.

Andere typische Halluzinogen?Effekte wie formale Denkstörungen, Dysmorphopsien, Beeinflussungserlebnisse, das Auftreten von sexuellen Inhalten, Geräuschen und Gerüchen sowie die Instabilität und Individualität der Bilder fehlen jedoch beim NDE. Somit muß es sich um eine äußerst selektive, programmierte Halluzinogen?Freisetzung handeln, was ein deutlicher Hinweis auf die biologische Basis religiöser Erfahrungen ist!

Liebe ist auch kein „Wahn",

Die Tatsache, daß (endogene und exogene) Halluzinogene unter bestimmten psychischen d.h. religiösen Bedingungen NDE?ähnliche (paranormale) Erfahrungen produzieren können, spricht jedoch nur für eine neurophysiologische Basis dieser Erlebnisse. Eine solche Basis hat z.B. auch die Liebe zu einem Menschen, ohne daß es sich dabei um einen Wahn handelt und ohne daß man die Liebe ? wie die Parapsychologen die ASW ? krampfhaft beweisen müßte. Jeder weiß (aus Erfahrung), daß es sie gibt, auch wenn sie sich dem Dogma der Reproduzierbarkeit entzieht!

l Schröter-Kunhardt Ihr Text darf beliebig lang sein.Rundgang | Über Ihr Text darf beliebig laHypoxie und Hyperkapnie spielen zwar bei realer Todesnähe, nicht aber bei bloßer Todeserwartung eine Rolle. Auch gibt es Menschen, die i.R. ihres klinischen Todes einen normalen oder gar erhöhten O²?Gehalt und eine Hypokapnie aufwiesen und dabei dennoch ein NDE erlebten. Außerdem bewirkt eine künstliche Hypoxie deutliche Störungen der geistigen Leistungen, während NDEs Höchstleistungen des Gehirns sind. Andererseits konnten mit künstlich induzierter Hypoxie oder Hyperkapnie NDE?Elemente induziert werden. Dies ist aber nur ein erneuter Hinweis auf die biologisch?genetische Anlage religiöser Erfahrungen!

Beteiligung des temporo-limbischen Systems

Viele Indizien deuten auf eine besondere Beteiligung des temporo?limbischen Systems hin. So soll der beim NDE vermutlich beteiligte Neurotransmitter Serotonin eine Aktivaäon des temporolimbischen Systems bewirken. Antiepileptisch wirkende Sedativa/Hypnotika, von denen man weiß, daß sie hemmend auf das limbische System wirken, beeinträchtigen umgekehrt häufig die NDE?Genese. Auch konnte die Elektrostimulation bestimmter (temporaler) Gehirnareale u.a. Lebensfilm?Bruchstücke oder OBEs auslösen. Im Rahmen von epileptischen Anfällen wiederum ? besonders bei möglichen Temporallappenepilepsien (PTLE) ? wurden OBEs, paranormale (NDE?)Phänomene, Glückseligkeitszustände, All?Einheitsgefühle oder religiöse Bekehrungen beobachtet. Dabei kommt es auch zu einer Hyperoder Amnesie und zu einer besonderen Lebendigkeit der szenischen Bilder. Auch die NDE?Vorstufen Autoskopie und Depersonalisation korrelieren mit Abnormitäten der temporo?parietalen Region. Hier scheinen auch Horrorerfahrungen experimentell auslösbar zu sein.

Zwar sind NDEs sicher keine (temporalen) Epilepsien, da sie sich von diesen in vielem unterscheiden. So zeigen z.B. OBEs im EEG keine epileptoiden Potentiale. Mit ihren gelegentlich NDEähnlichen Symptomen liefern Epilepsien jedoch Hinweise auf die Lokalisation der Hirnareale, die beim NDE im Rahmen eines dissoziierten Arousal ? bei paralleler Hemmung anderer Areale bzw. Hirnleistungen?aktiviert sind. Dabei muß von einer besonderen Beteiligung der rechten Hemisphäre ausgegangen werden, da diese im Gegensatz zur mehr sprachlich?abstrakt?analytischen linken Hirnhälfte einen hochentwickelten Sinn für Bilder, Musikalität, synthe tische und intuitive Leistungen hat. Aber auch der frontale Großhirn?Bereich mit seiner Fähigkeit zum Schlußfolgern, Bewerten und Verknüpfen von Erfahrungen muß bei der komplexen Nah?Todeserfahrung beteiligt sein.

Aussagekraft aller neurophysiologischen Befunde sehr begrenzt

Die Aussagekraft aller neurophysiologischen (NDE?)Befunde ist jedoch grundsätzlich sehr beschränkt. Es handelt sich dabei ja nur um Korrelate, und nicht unbedingt um Ursachen jeder geistigen Erfahrung! Auch kann man nicht eine Wahrnehmung (z.B. die eines hellen Lichtes oder die eines Verstorbenen) einfach auf eine andere, neurophysiologische Wahrnehmung reduzieren, da beide eben nur Wahrnehmungen sind.

PRAXISTIPS

Nachfragen!

Fragen Sie alle Patienten, die einmal bewußtlos und/oder in Todesnähe waren, ob sie dabei irgendetwas erlebt haben. Erlebnisse in diesen Zuständen haben oft eine ganz besondere Bedeutung bzw. deutliche Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen.

Keine Halluzinationen

Bezeichnen Sie Berichte von Erlebnissen in Todesnähe nicht vorschnell als Halluzination. Es handelt sich i.d.R. eben nicht um psychopathologische Phänomene, sondern um Höchstleistungen des Gehirns, die zumindest gelegentlich auch außersinnliche Wahrnehmungen beinhalten.

Vorsichtig besprechen!

NDE?Erlebnisse sollten vorsichtig und ausführlich besprochen werden, zumal daraus resultierende Weltbildveränderungen auch die sozialen Beziehungen des Erlebenden massiv erschüttern bzw. verändern können.

Thema „Sterben" miteinbeziehen!

Der Einbezug des Themas „Sterben und Tod" bereichert jede Psychotherapie. So hat der Glaube an ein Leben nach dem Tod erstaunlich positive psychologische Folgen und somit auch eine wichtige therapeutische Funktion.

LITERATUR

1 L. Appleby: Near?death experience: Analogous to other stress induced psychological phenomena. Brit. Med. J. Vol 298, 976?977 (1989)

2 P Dinzelbacher: An der Schwelle zum Jenseits: Sterbevisionen im interkulturellen Vergleich. Freiburg i.Br., Herder 1989

3 H. Gieseke, R.v.Ouekelberge: Near?Death Experiences und ihre biographischen Nachwirkungen. Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 31, 258273(1989)

4 B. Greyson, N.Bush: Distressing Near?Death Experiences. Psychiatry 55, 95?110 (1992)

5 Journal ofNear?Death Studies: Human Sciences. Press Inc., New York, N.Y. 10013?1578

6 E. Mattlesen: Das persönliche Uberleben des Todes. (Berlin, De Gruyter 1987

7 M. Morse, P Perry: Zum Licht: Was wir von Kindern lernen können, die dem Tod nahe waren. Frankfurt a.M., Zweitausendeins?Verlag 1992

8 VM. Neppe: Temporal Lobe Symptomatology in Subjective Paranormal Experiements. J. of the Am. Soc. for Psych. Res., Vol 77(1), 129 (1983)

9 K. Osis, E.Haraldsson: Der Tod ? ein neuer Anfang. Freiburg i.Br., Bauer Verlag, 1978

10 K. Ring: Den Tod erfahren ? das Leben gewinnen. Bergisch?Gladbach, Lübbe Verlag 1990

11 G. Roberts, J.Owen: The Near?Death Experience Brit. J. of Psychiatty 153, 607?617 (1988)

12 M. Sabom: Erinnerung an den Tod: Eine medizinische Untersuchung. Berlin, GoldmannVerlag 1986

13 M. Schröter?Kunhardt: Das Jenseits in uns. Psychologie heute 6 64?69 (1993)

14 Carol Zaleski: Nah?Todeserlebnisse und Jenseitsvisionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M., Insel Verlag 1993

Korrespondenzadresse (neu):

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