HIV-Reservoirs – Ergebnisse der Spurensuche

So wirksam moderne HIV-Therapien sind – die Viren aus dem Körper entfernen und ihn so heilen, können sie noch nicht. Große Hoffnungen ruhen auf Behandlungsformen, die als Angriffspunkte die Reservoirs nutzen, in denen die HI-Viren überdauern.

Wenn HIV wieder ansteckend wird

Je nach verwendetem Test liegt die HIV-Nachweisgrenze bei unter 20 bis 50 Viruskopien pro Milliliter Blut. Bei einer Viruslast von weniger als 200 Viruskopien pro Milliliter Blut gelten Patienten laut Deutscher Aidshilfe als sexuell nicht mehr infektiös. Dann gilt die Formel U=U, also "undetectable equals untransmittable" oder auf Deutsch: nicht nachweisbar = nicht ansteckend. Das gilt für Blut, Sperma und auch Muttermilch – nicht jedoch für die so genannten Reservoirs.

Auch unterhalb der so genannten Nachweisgrenze befinden sich noch HI-Viren in den Körpern der Menschen, die sich mit HIV infiziert haben. Das zeigen zum einen die hochsensitiven Test-Verfahren. Das wird aber auch dann deutlich, wenn die ART-Medikamente abgesetzt werden oder ihre Wirksamkeit verlieren, zum Beispiel wegen einer Medikamenten-Resistenz. Dann nämlich vermehren sich die HI-Viren wieder: ihre Zahl steigt, sie werden wieder nachweisbar, die Menschen mit HIV können an den Folgen ihrer Infektion erkranken und die Viren weitergeben.

HI-Viren ziehen sich in Reservoirs zurück

Die Fachwelt geht davon aus, dass HI-Viren nicht mehr nachweisbar sind, weil sie sich unter dem Druck der ART in so genannte Reservoirs, also in bestimmte Zellen und Gewebe, zurückziehen. Bei der Internationalen Aids Konferenz IAS 2022 im kanadischen Montreal diskutierte die Fachwelt Anfang August intensiv über solche Reservoirs, in denen sich das Virus auch bei einer wirksamen Therapie weiterhin findet. Rund um den Globus fragen sich Fachleute, welche Zellen und Gewebe den HI-Viren als Reservoir dienen. Hinzu kommen Forschungsfragen, die auf das Eliminieren der Viren zielen. Moderne Nachweismethoden und neue Forschungsansätze lassen auf neue Erkenntnisse zur HIV-Therapie hoffen.

HIV im Gehirn gefunden

Als eines von mehreren Reservoirs für HIV gilt das Zentrale Nervensystem (ZNS). Allerdings ist nicht bekannt, welche Bedeutung das ZNS als Reservoir genau hat. Inwiefern schädigt HIV das ZNS, wenn die Viren dort schlummern? Bietet das ZNS womöglich ein replikationskompetentes Reservoir? Eine Forschungsgruppe um den australischen Virologen Michael Roche aus Melbourne hat sich diese und ähnliche Fragen gestellt. Auf der Suche nach Antworten haben sie Gehirne von verstorbenen Menschen mit HIV untersucht. Die Autopsien der Organspenden mithilfe von PCR-Tests und einer In-Situ-Hybridisierung (DNAscope) zeigten: im Hirngewebe lässt sich sowohl defekte als auch intakte provirale HIV-DNA nachweisen. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die Menschen zu Lebzeiten eine effektive ART erhielten oder nicht. Die Menge und Qualität der gefundenen Virus-DNA war überraschend ähnlich. "Wir konnten erstmals nachweisen, dass HIV im ZNS replikationsfähig bleibt, auch wenn die Virämie erfolgreich supprimiert wird", heißt es im Abstract. Was das genau bedeutet, muss allerdings noch untersucht werden, so Roche.

HIV-Genom bei Kindern: Häufiger defekt durch ART

Einen anderen Ansatz in der Reservoir-Forschung verfolgt das Team um die kanadische Daten-Spezialistin Caroline Dufour aus Montreal. Sie und ihr Team haben Daten von Kindern in Thailand ausgewertet, die sich vertikal, also über ihre Mütter, mit HIV infiziert haben. Dafür haben sie im Blut der Kinder nach dem HIV-Genom gesucht. Denn das bleibt in latent infizierten Zellen bei Kindern oft lange Zeit intakt, auch wenn die Kinder eine wirksame ART erhalten. Dufour konnte deutliche Unterschiede zeigen, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt und für welche Dauer die Kinder die ART erhielten. Je früher die ART einsetzte und je länger sie wirkte, umso weniger intaktes Genom fand sich: waren 48% der gefundenen Genome vor einer ART noch intakt, reduzierte sich ihr Anteil drastisch auf elf, sechs und ein Prozent nach zwei, drei oder mehr als drei Jahren ART. Daraus schließen die Forschenden, dass die ART auch in den Reservoirs Wirkung zeigt.

Neue mikrobiogische Tools sollen den Zusammenhang zwischen Reservoirs und Virus-Replikation klären

Erleichtert wird die Suche nach dem HIV-Genom in den unterschiedlichen Reservoirs durch neue Analyse-Werkzeuge, so genannte Assays. Melissa Smith aus Louisville im US-Bundestaat Kentucky schilderte, dass die Forschung zu den HIV-Reservoirs meist nur solche HIV-Genome untersuchen kann, die sich in den Zellen der bisherigen Assays darstellen lassen. Deshalb hat die Biochemikerin und Molekulargenetikerin ein neues "single molecule"-Assay entwickelt. Mit dem HIV-SMRTcap lassen sich gleichzeitig das provirale Genom und dessen Integrationsorte – das so genannte HIV-Integron – für alle wichtigen HIV-Subtypen in Zellen und Geweben erkennen. Das ist wichtig, um zu untersuchen, an welchen Stellen aus intaktem und damit reproduktionsfähigem Genom ein defektes wird.

Wirken sich mRNA-Impfungen gegen COVID-19 auf HIV in den Reservoirs aus?

Das Virus-Protein Nef spielt eine wichtige Rolle in der Replikation der HI-Viren. Der New Yorker Immunologe R. Brad Jones berichtete von der Hypothese, dass die SARS-CoV-2 mRNA-Impfung die Transkription von HIV-Proviren aktivieren könnte. Deshalb verglichen er und sein Team die Nef-Aktivitäten in den relevanten CD8- und T-Zellen von Menschen mit HIV vor und nach einer entsprechenden Impfung. Im Ergebnis war tatsächlich messbar, dass die Impfung offenbar einen Rückgang der HIV-RNA bewirkte. Allerdings galt das nicht für die intakte oder gesamte HIV-DNA. Daraus schließen Jones und sein Team, dass nur ein geringer Teil von Pro-Viren für die Transkription verantwortlich ist. Welcher Teil das ist und wie er beeinflusst werden kann, soll weitere Forschung zeigen.

Heilung von HIV?

Welch bedeutende Rolle die Forschung zu den Reservoirs hat, zeigt auch die Auszeichnung, die die Internationale Aids-Gesellschaft (IAS) bei der Konferenz AIDS 2022 vornahm. Die IAS zeichnete nämlich unter anderem Marion Pardons aus, die im belgischen Gent am HIV Cure Research Center forscht. Pardons berichtete in Montreal über neue Wege, die Latenz von HIV zu untersuchen, ohne eine generelle Reaktion von T-Zellen hervorzurufen. Zentral dabei: so genannte Latency Reversing Agents, kurz LRA. Zwei von Pardons beschriebene LRA könnten sowohl in vitro als auch in vivo kombiniert werden und so einen Schritt in Richtung Heilung von HIV bedeuten.
 

Weitere Beiträge finden Sie auf unserer Kongress-Seite zur AIDS 2022.

Über Neuigkeiten zu HIV und anderen Infektionskrankheiten sprachen auch die Referenten beim STI-Kongress 2022. Hier finden Sie die Berichterstattung zum STI-Kongress 2022.

 

Quellen: