HIV und Suizidrisiko im Jugend- und jungen Erwachsenenalter

Suizid ist eine globale Krise. Die Suizidrate hat sich weltweit in den letzten 45 Jahren um 60% erhöht. Ein signifikanter Anstieg lässt sich in der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit HIV erkennen.

Suizid: Ein soziodemografisches und struktelles Problem?

In den USA trägt eine Reihe sozialer Determinanten, wie der ethnischer Zugehörigkeit und dem Einkommensstatus, dazu bei, Unterschiede in der Suizidalität zu erfassen. Statistisch lebt ein Großteil von Black and People of Color (BPoc) in Armut. In 2019 war die Armutsrate von BPoc (18,8%) doppelt so hoch wie die der weißen Bevölkerung (7,3%)1.

Ein großer Anteil von BPoc lebt in Nachbarschaften mit geringem Einkommen, in denen belastende Lebensereignisse, wie der Tod eines Familienmitglieds oder Bandenkriminalität, häufiger vorkommen. Diese belastenden Lebensereignisse stehen in Verbindung mit Suizidversuchen. Weitere negative Einflüsse wie psychische Erkrankungen und Substanz-Abhängigkeiten werden ebenso mit einem erhöhten Selbstmordrisiko assoziiert.

Datenlage und statistische Methode

Die vorliegende Studie untersucht die gleichzeitig stattfindenden strukturellen, soziodemografischen sowie psychosozialen Einflussfaktoren auf Suizidversuch unter einer Kohorte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mit perinatal erworbener HIV-Infektion leben und die perinatal exponiert, aber nicht infiziert waren.

Die dafür verwendeten Daten leiten sich aus der Mellins CASAH-Studie ab2, eine zwischen 2003 bis 2008 durchgeführte prospektive Kohortenstudie, die Jugendliche und junge Erwachsene im Durchschnittsalter von 12 Jahren aus New York City evaluierte, die mit einer HIV-Infektion und HIV-Stigmatisierung leben.

Das Primärergebnis der Studie ist der Suizidversuch. Die Auswertung erfolgte unter folgender Ausgangsfrage:

Im ersten Schritt wurde die Daten der Gesamtstichprobe erhoben, danach nur die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mit perinatal erworbenen HIV und Stigmatisierung leben (PHIV) und anschließend nur diejenigen, die perinatal exponiert, aber nicht infiziert waren (PHEU).

Die Untersuchungsgruppe setzt sich wie folgt zusammen:

Um den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren und Suizidversuch zu evaluieren, wurden folgende Faktoren berücksichtigt:

  1. Soziodemografisch & strukturell: Geschlecht, Sexualität, "Race", Ethnische Zugehörigkeit, Alter, Schwangerschaft (selbst oder der Partnerin), Verhaftung bzw. Zeit, die im Gefängnis verbracht wurde, Großstadt-bedingter Stress3, belastende Lebensereignisse und HIV-Status.
  2. Psychosozial: Spiritualität, "Social problem-inventory score"4, "Tennessee self-concept score"5 (Bewusstseinskonzept in Hinblick auf Selbst, Familie, Soziales und Schule), jegliche Form von im DISG aufgeführte psychiatrischen Erkrankungen und Substanzgebrauchsstörungen.

Im Rahmen allgemeiner Schätzgleichungen wurde der Wert des Risikoverhältnisses (“odds ratio”; OR) für den Zusammenhang zwischen jedem soziodemografischen, kontextuellen und psychosozialen Faktor und dem ersten Bericht über einen Suizidversuch individuell geschätzt, wobei das Alter bei jeder Erhebungsrunde angepasst wurde.

Ergebnisse und Auswertung

Die Studienergebnisse zeigen, dass Jugendliche und junge Erwachsenen, die mit HIV leben, ein höheres Risiko haben, einen Suizidversuch zu begehen (OR = 1.74). Dazu haben Jugendliche, die sich als heterosexuell identifizieren, ein geringeres Risiko (OR = 0.30) gegenüber Jugendlichen, sich sich als homosexuell oder als Genderminorität identifizieren.

Eine bekannte Schwangerschaft (selbst oder der Partnerin) wird mit einem hohen Risiko für Suizidversuch assoziiert (OR = 1.48), dabei vor allem in der Subgruppe PHIV (OR = 2.28). Jugendliche, die verhaftet bzw. Zeit, im Gefängnis verbracht haben, haben ebenfalls ein deutlich hohes Suizidrisiko (OR = 2.56), hauptsächlich in der Subgruppe PHIV (OR = 3.05). Dazu kommen belastende Lebensereignisse (OR = 1.23), Großstadt-bedingter Stress (OR = 2.07) und HIV-Stigmatisierung (OR = 2.46)

Im Zusammenhang zwischen Suizidversuch und den psychosozialen Faktoren lässt sich erkennen, dass ein hoher Selbstwert und ein gesundes Familienkonzept als Schutzfaktoren für Suizid betrachtet werden können (OR = 0.51; OR = 0.41).  

Darüber hinaus haben Jugendliche mit psychischen Erkrankungen ein signifikant hohes Risiko für Suizidversuch (OR = 3.32), dabei vor allem in der Subgruppe PHEU (OR = 4.60). Ebenso gewichtig, ist das Risikoverhältnis von Jugendlichen mit Substanzabhängigkeit, vor allem in der Subgruppe PHEU (OR = 5.83; im Vergleich zu Gesamt OR = 2.60).

Zusammenfassung:

Schlussfolgerungen:

Dieser Artikel basiert auf dem Vortrag “HIV and suicide risk across adolescence and young adulthood: an examination of sociodemographic, contextual, and psychosocial risk factors for attempted suicide in a longitudinal cohort of youth affected by HIV” von Philip Kreniske  auf der diesjährigen AIDS-Konferenz. esanum hat die 24. Internationale AIDS-Konferenz in Montreal, Kanada, vom 29.07. - 02.08.22  begleitet. Hier geht es zur Konferenz-Berichterstattung.

Referenzen & Anmerkungen:

  1. US Census Bureau, 2019.
  2. Zur Studie unter: https://www.hivcenternyc.org/casah
  3. Mehr Informationen unter: https://vaay.com/pages/stressful-cities-index
  4. Mehr Informationen unter: https://dataverse.unc.edu/CAPS-TSBI - nur in Englisch
  5. Mehr Informationen unter: https://dataverse.unc.edu/dataset/CAPS-TSC - nur in Englisch