Selbstschädigendes Verhalten als gesellschaftliches Problem

Wann spricht man vom suizidalen selbstverletzenden Verhalten und wann sind Betroffene ernsthaft suizidgefährdet? Prof. Dr. med. Barbara Schneider geht tiefer auf die Problematik ein.

Nicht-Suizidales Selbstverletzendes Verhalten (NSSV) ist nicht gleichbedeutend mit Suizidalität

Das Nicht-Suizidale Selbstverletzende Verhalten (NSSV) ist definiert "als freiwillige, direkte Zerstörung oder Veränderung des Körpergewebes ohne suizidale Absicht, die sozial nicht akzeptiert, direkt und repetitiv ist."1,2 Beispiele hierfür sind Ritzen oder Schneiden der Haut, Verbrennen, Kratzen, Schlagen oder Stoßen. Die meisten von NSSV betroffenen Personen haben mehrere Methoden angewandt. Bei den verwendeten NSSI-Methoden scheint es einen Geschlechtsunterschied zu geben: Frauen schneiden bzw. ritzen sich häufiger, während Männer eher zu Schlägen oder Verbrennungen neigen.3

Nicht-Suizidales Selbstverletzendes Verhalten (NSSV) ist ein großes Problem in Deutschland

Schneider spricht die Größe des Problems des Nicht-Suizidalen Selbstverletzenden Verhaltens (NSSV) an. In Deutschland verletzen sich 17,2% der Jugendlichen regelmäßig selbst. Fast 30% der Jugendlichen haben sich mindestens ein mal selbst verletzt. Bei den jungen Erwachsenen sind es immerhin noch 13,4% mit Nicht-Suizidalem Selbstverletzendem Verhalten. Mit zunehmendem Alter sinkt der prozentuale Anteil der Menschen mit NSSV weiter ab. Rund 5,5% aller Erwachsenen sind vom NSSV betroffen. Schaut man sich den Anteil der von NSSV betroffenen Personen an, die sich in stationärer Behandlung befanden, so ist dieser erschreckend hoch: Die Hälfte der stationären Patient:innen hat sich innerhalb eines Jahres mindestens ein mal selbst verletzt.1,4

Gründe des Nicht-Suizidalen Selbstverletzenden Verhaltens (NSSV)

Schneider stellt in ihrem Vortrag dem Auditorium eine ganze Reihe verschiedener Gründe für NSSV dar. Hierzu zählen grob die drei voneinander abzugrenzenden Gruppen "Reaktionen auf Not", "positives Erlebnis" und "Selbstdefinition". Die erste Gruppe "Reaktionen auf Not" beinhaltet die Affektregulation, den sozialen Einfluss, die Bestrafung, den Umgang mit Dissoziation und die Abwendung von Suizid. In die Gruppe "positives Erlebnis" können das Sensation Seeking, das Experimentieren, das Gefühl der Kontrolle des eigenen Handelns, die Genugtuung und der Schutz in Form eines Rückzuges eingeordnet werden. Bei der Gruppe "Selbstdefinition" spielen das Erkunden von Grenzen, die Bestätigung, das Zugehörigkeitsgefühl, die Antwort auf Sexualität und das NSSV als Ausdruck einer speziellen Sprache eine Rolle.1

Referenzen: 

1. Schneider, Barbara, Prof. Dr. med., M. Sc., MHBA, Ursachen suizidalen und selbstschädigenden Verhaltens, Verbesserung suizidpräventiver Maßnahmen im Rahmen einer Depression, Berlin Brain Summit, 31.05.2022, 16:30 Uhr, CityCube Berlin.
2. AWMF 2016.
3. Klonsky E.D. et al. (2014). Nonsuicidal self-injury: what we know, and what we need to know. Can J Psychiatry. 2014;59(11):565-568.
4. Swannell S.V. et al. (2014). Prevalence of nonsuicidal self-injury in nonclinical samples: systematic review, meta-analysis and meta-regression. Suicide Life Threat Behav. 2014 Jun;44(3):273-303.