Lebensqualität statt Maximaltherapie: Paradigmenwechsel in der onkologischen Therapie

Neue Daten zeigen, dass Immuntherapien bei Krebspatienten in der terminalen Phase seltener eingesetzt werden. Dennoch bleibt die Balance zwischen Behandlungsmöglichkeiten und Lebensqualität eine Herausforderung für Ärzte und Patienten.

Nebenwirkungen der Immuntherapie: Besondere Vorsicht bei älteren Patienten

„Bei der kombinierten Immuntherapie müssen wir die Nebenwirkungsraten gerade bei den hochbetagten Patienten viel mehr berücksichtigen“, betonte Forschner. Unter der Therapie könne sich jedes Organ entzünden, mitunter könnten lebensbedrohliche Komplikationen und irreversible Toxizitäten auftreten. Dass Patienten zum Ende ihrer Lebensphase noch hochmoderne Immuntherapien oder andere tumorspezifische Therapien erhalten, habe auch mit dem Zulassungsstatus der Mittel zu tun, so Forschner: „Immer wenn etwas neu zugelassen wird, bekommt auch der Patient mit einer wahrscheinlich sehr schlechten Prognose diese Therapieoption angeboten.“ 

Eine im Jahr 2020 veröffentlichte Arbeit hat den Zusammenhang zwischen Lebensende, Therapien und Zulassungsstatus bei Patienten mit Melanom und Lungenkarzinom untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Je mehr Therapien zugelassen waren, desto mehr Therapien wurden auch noch zum Ende der Lebensphase hin begonnen. 

Auch eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie (ADO) deutet darauf hin, dass es eine Tendenz zur Übertherapie am Ende des Lebens gibt. Eingeschlossen waren 193 Patienten aus vier dermatoonkologischen Zentren. Mehr als 60% der Patienten hatten einen ECOG ≥ 2 (Index zur Lebensqualität) und die meisten von ihnen erhielten Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) oder zielgerichtete Therapien (TT). 41 Patienten zeigten nach der letzten Therapie Verbesserungen bei radiologischen Untersuchungen, Laborwerten oder im allgemeinen Gesundheitszustand.

Obwohl der ECOG-Wert in der TT-Kohorte schlechter war als in der ICI-Gruppe, war der Anteil der Patienten, die von der letzten Therapie mit TT profitierten, deutlich höher und die TT-Therapie konnte häufiger ambulant durchgeführt werden. 

Hautkrebsregister ADOReg: ICI werden am Lebensende seltener verordnet

Daten aus dem Hautkrebsregister ADOReg zeigen, dass inzwischen ein Umdenken eingesetzt hat. In einer Studie an 1.067 Melanom-Patienten, die zwischen 2018 und 2022 gestorben waren, wurde untersucht, in welchem Umfang die Patienten zum Lebensende hin Systemtherapien erhalten hatten.  Die Forscher fanden heraus, dass 63% der Patienten zwar noch eine Immuntherapie als Lastline-Therapie erhalten hatten, jedoch der Anteil der Patienten, die innerhalb von 30 Tagen vor ihrem Tod mit einer ICI begonnen hatten (19%), geringer war – verglichen mit einer historischen Kohorte, die Patienten einschloss, die 2016 oder 2017 gestorben waren (39%).

Anscheinend werden ICI in der Endphase des Lebens seltener verschrieben. „Wir haben dazu gelernt. Die Entscheidung, wer am Lebensende noch eine Immuntherapie erhält, wird differenzierter abgewogen“, so Forschner. Im Gegensatz dazu würden TT häufig verabreicht, auch in den letzten 30 Tagen des Lebens. Aufgrund der oralen Verabreichung und der geringen Rate an schweren Toxizitäten scheinen TT aber eine geeignete Behandlungsoption zu sein, auch in der End-of-Life-Situation von Melanompatienten, so Forschner.

Überengagierte Versorgung am Lebensende

Wie das Ärzteblatt berichtet, zeigen internationale Analysen, dass 8 bis 30% aller Krebspatienten innerhalb der letzten 14 Tage vor dem Tod noch eine tumorspezifische Therapie erhalten. Diese Patienten weisen – verglichen mit Patienten unter rein palliativer Behandlung – eine höhere Symptombelastung und eine schlechtere Lebensqualität auf. „Eine wichtige Voraussetzung zur Vermeidung einer überengagierten Versorgung ist der Konsens von Arzt und Patient über das (realistische) Therapieziel“, betonte Forschner. 
In der S3-Leitlinie Palliativmedizin lautet die konsensbasierte Empfehlung: „Bei der Festsetzung von Therapiezielen in der Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung sollen die aktuelle Krankheitssituation, die zur Disposition stehenden Therapieoptionen sowie die Wünsche, Werte und Ziele des Patienten berücksichtigt werden.“

Wie sehen die Ziele der Patienten aus?

Wie offen sind die Gespräche mit den Patienten?

„Shared Decision Making am Lebensende setzt voraus, dass dem Patienten die Prognose und die individuellen Ziele bekannt sind“, sagte Forschner. Doch Ärzte überschätzen die noch zu erwartende Lebenszeit ihrer Patienten um den Faktor fünf, umso mehr, je länger sie sich um den Patienten gekümmert haben. Sie erinnerte auch daran, dass Patienten oft nicht ausreichend Informationen über ihre individuelle Prognose erhielten und aufgrunddessen nur schwer Entscheidungen treffen könnten. 
Ärzte sollten das Therapieziel erläutern und auch die Erwartung der Patienten an die Therapie berücksichtigen: „Patienten neigen dazu, den Therapieerfolg zu überschätzen. Wir sollten sie deshalb fragen, was ihnen mit Blick auf den wahrscheinlichsten Verlauf ihrer Erkrankung am Wichtigsten ist“. 

Quellen:
  1. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), 30.04. bis 03.05.2025, City Cube, Berlin. Sitzung: Im Dialog: Paradigmenwechsel in der Onkologie, 2. Mai.
  2. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35082367/ (auftreten)
  3. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32678688/ (Arbeit)
  4. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34357677/ (Studie)
  5. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40066437/ (Studie)
  6. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/palliativmedizin (S3-Leitlinie)
  7. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25465642/ (Lebensqualität)
  8. https://ascopubs.org/doi/10.1200/JCO.2020.38.15_suppl.e24187 (nicht heilen)
  9. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27492160/ (Prognose)
  10. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22345118/ (sterben)
  11. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25330167/ (ausreichend)