Gesundheitssysteme: Woanders ist es immer besser – oder doch nicht?

Welches Gesundheitssystem ist das beste der Welt? Dr. Sarah Birkhoelzer stellt fünf Länder und deren Vorteile sowie Nachteile vor.

Das beste Gesundheitssystem der Welt: Lässt sich das objektiv bewerten?

"Warum spreche ich über Gesundheitssysteme?" Diese Frage stellte Dr. Sarah Birkhoelzer, Radcliffe Department of Medicine, University of Oxford, zu Beginn ihrer Präsentation mit dem Titel "The line where the sky meets the sea – Das beste Gesundheitssystem der Welt" auf dem DGIM 2023 in den Raum. Zum Teil geht der Gedanke auf persönliche Gründe zurück. Birkhoelzer studierte von 2006 bis 2013 Medizin in Mainz, arbeitete von 2013 bis 2022 als Ärztin in Weiterbildung im englischen Portsmouth, seit 2022 im Rahmen eines klinischen Forschungsstipendium an der Universität Oxford und nahm im November 2022 an einem Ärzteaustausch im US-amerikanischen Virginia teil – Gelegenheit genug also, einen Einblick in verschiedene Gesundheitssysteme zu erhalten. 

Doch an welchen Kriterien kann bestimmt werden, was ein gutes Gesundheitssystem ausmacht? Zum einen sei die Patientenperspektive zu berücksichtigen: Das Arzt-Patienten-Verhältnis, die Anzahl an Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner, Kosten für das Gesundheitswesen oder Wartezeiten für elektive Operationen werden hierbei als entscheidende Faktoren genannt. Das gleiche gelte für die Lebenserwartung im jeweiligen Land, Möglichkeiten zur Prävention, soziale (Un-)Gleichheiten oder Gesundheitsausgaben pro Bruttoinlandprodukt. Zum anderen steht hier die ärztliche Perspektive. "Es ist wichtig, was für Arbeitsbedingungen wir haben", so Birkhoelzer. Dazu zählen Faktoren wie eine gute Bezahlung, Familienfreundlichkeit des Berufs, Urlaubstage sowie Möglichkeiten zur Lehre und Weiterbildung.

Gesundheitsindex: Deutsches Gesundheitssystem landet auf Platz 17

Aus solchen Faktoren ergäbe sich grundsätzlich eine Möglichkeit, Gesundheitssysteme objektiv zu bewerten: den Gesundheitsindex, durch den die Gesamtqualität von Gesundheitssystemen statistisch analysiert wird. Dieser berücksichtigt laut Birkhoelzer folgende Aspekte:

Darüber hinaus werden als weitere Faktoren Zugang zu sauberem Wasser, Hygiene und Prävention berücksichtigt. Wird der Blick also allein auf den Gesundheitsindex gerichtet, so findet sich Deutschland auf Platz 17 – hinter Ländern wie Dänemark (Platz 3), Australien (Platz 6) oder Großbritannien (Platz 10), aber vor den USA auf Platz 30. 

Gesundheitssysteme im Vergleich

Was sind nun besondere Vor- und Nachteile, die verschiedene Gesundheitssysteme auszeichnen? Dr. Birkhoelzer stellt die USA, Großbritannien, Deutschland, Dänemark und Australien genauer vor.

USA: Work hard. Party harder.

Auf der Habenseite: "Amerikanische Ärzte verdienen sehr, sehr, sehr viel Geld", so Birkhoelzer. Diesem Aspekt stünden aber auch viele Schattenseiten gegenüber. Ärztinnen und Ärzte in den USA arbeiten im Vergleich mit anderen Nationen am meisten, haben die niedrigste Zahl an Urlaubstagen, sodass eine Work-Life-Balance kaum gegeben ist. Zusätzliches Manko: Hier besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, verklagt zu werden. Bis zur Selbstständigkeit als Ärztin oder Arzt dauere es in den USA sechs Jahre. Ein weiteres Defizit in den USA stellt das Thema Gesundheitsversicherung dar. Die Kosten hierfür seien mit umgerechnet 5.900£ pro Person im Jahr sehr hoch und 28 Millionen Amerikaner haben keine Gesundheitsversicherung – gerade junge Leute hätten oftmals kein Geld, um sich zu versichern.

Großbritannien: Keep calm and carry on. 

Auf dem Weg zur Ärztin oder zum Arzt im UK warte im Vergleich mit anderen Ländern die längste Ausbildungszeit mit hoher Supervision. Arbeitet man als Mediziner in Großbritannien, müsse man im internationalen Vergleich mit dem niedrigsten Gehalt rechnen – dafür könne man sich aber auch über die meisten Urlaubstage freuen. Ein weiteres Plus: Evidenzbasierte Medizin spiele hier eine sehr große Rolle. Negativ hingegen zu bewerten seien lange Behandlungsfristen. Auch bei schwerwiegenden Erkrankungen könne es zu einer Wartezeit von zwei Wochen bis zur Behandlung kommen. Zudem, merkt die Referentin an, betrachten viele Engländer ihr Gesundheitssystem als das beste – da die Ausbildungszeit zum Facharzt in Deutschland deutlich kürzer ist, sei es nicht unbedingt einfach, hier Fuß zu fassen. "Egal aus welchem Land der Welt man kommt: Man fängt immer eine Stufe niedriger an, als man in seinem Heimatland ist."

Deutschland: Luxuriös und Hierarchisch 

Die ärztliche Arbeit in Deutschland habe einen großen Vorteil zu bieten: In keinem anderen Land könne man mit einem besseren Mutterschutz und mehr Elternzeit rechnen. Außerdem könne das deutsche Gesundheitswesen eine Vielzahl niedergelassener Spezialisten und eine breit aufgebaute Notfallversorgung aufweisen. Dafür gäbe es in Deutschland sehr strenge, festgelegte Hierarchien, die nur schwer zu überwinden sind. Außerdem gäbe es hier große regionale Unterschiede, was die Versorgung von Patienten angeht. 

Dänemark: All-inclusive

Als Beispiel für die Gesundheitsversorgung in skandinavischen Ländern nennt Dr. Birkhoelzer Dänemark. Das Land punktet mit der höchsten Lebenserwartung in Europa. Im Prinzip handle es sich um eine Kopie des britischen Gesundheitssystems – nur eben in besser. Die Gesundheit aller Menschen liege hier in staatlicher Hand, Ärzte hätten einen zentralen Zugriff auf Patientendaten. Allerdings sei in Dänemark mit Steuerabgaben von ca. 50 % zu rechnen. 

Australien: Easy going.

In Australien hätten Ärztinnen und Ärzte einen hohen sozialen Status, so Birkhoelzer – Dementsprechend könne hier auch mit einem hohen Gehalt für Mediziner gerechnet werden. Zudem spiele in "Down under" auch Work-Life-Balance eine große Rolle. Negativ zu bewerten: Es gebe große gesundheitliche Disparitäten zwischen den Städten und der medizinischen Versorgung australischer Ureinwohner.

In welchem Gesundheitssystem arbeiten? Eine persönliche Entscheidung

Warum also der Titel der Session? “See that line where the sky meets the sea, it calls me. And no one knows how far it goes”, zitiert Dr. Birkhoelzer Disney’s Vaiana. Auf den ersten Blick sehen andere Gesundheitssysteme und deren Arbeitsbedingungen immer besser aus als in dem Land, in dem man selbst berufstätig ist – ob das dann aber tatsächlich der Realität entspricht, ist eine ganz andere Frage. Letzten Endes müsse man selbst entscheiden, welche Kriterien im Arztberuf als persönlich wichtig erachtet werden.

Weitere Highlights vom DGIM 2023 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.

Quelle:

Dr. Sarah Birkhoelzer: The line where the sky meets the sea – Das beste Gesundheitssystem der Welt; in: Weiterbildung – Chancen und Probleme. 120. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. 22.04. 2023 13:00