esanum: Prof. Schwarting, auf der Pressekonferenz zum Deutschen Rheumatologiekongress wird das Thema Fatigue bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen erneut in den Fokus gerückt. Warum ist das Thema gerade jetzt so relevant?
Prof. Schwarting: Fatigue ist ein Symptom, das bei nahezu jedem Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen auftritt. Während Fatigue im Kontext von Tumorerkrankungen oder neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose bekannt ist, hat die Covid-19-Pandemie das Thema wieder ins Rampenlicht gerückt. Long-Covid hat die eingreifenden Folgen von Fatigue verdeutlicht und dazu geführt, dass die Fatigue-Forschung intensiver betrieben wird. In der Rheumatologie war Fatigue bekannt, aber erst jetzt, durch die intensive Forschung und die hohe Relevanz von Long-Covid, hat sie an Bedeutung gewonnen.
esanum: Welche Mechanismen stehen derzeit im Mittelpunkt der Fatigue-Forschung?
Prof. Schwarting: Die Forschung fokussiert sich darauf, Fatigue objektivierbar zu machen und die damit verbundenen Mechanismen besser zu verstehen. Erste Ansätze vermuten, dass Autoantikörper gegen adrenerge und muskarinische Rezeptoren mit Fatigue in Verbindung stehen könnten. Diese Antikörper könnten eine Rolle in der Sympathikus- und Parasympathikusregulation spielen. Auf der Therapieebene gab es vielversprechende, aber letztlich nicht bestätigte Studien zu Immunsuppressiva wie Rituximab, einem CD20-Antikörper. Diese wurden zuerst in Nord-Norwegen zur Behandlung von chronischem Fatigue-Syndrom eingesetzt, allerdings mit gemischten Ergebnissen.
esanum: Gibt es Beweise für eine korrekte Behandlung von Fatigue durch Immunsuppressiva, und welche anderen Ansätze gibt es?
Prof. Schwarting: Ausgangspunkt für den Einsatz von immunsuppressiven Therapien bei der Fatigue war die Beobachtung, dass Patienten im Rahmen einer intensiven immunsuppressiven Tumorbehandlung ihre vorher bestehende chronische Fatigue verloren haben. Leider sind die Ergebnisse von Studien mit Immunsuppressiva jedoch uneinheitlich. Während einige Studien, z.B. mit Cyclophosphamid, zeigten, dass ein Teil der Patienten auch längerfristig profitiert, handelt es sich um starke Medikamente, die nur bei bestimmten Patienten in Betracht gezogen werden sollten. Eine andere plausible Hypothese befasst sich mit Antikörpern gegen NMDA-Rezeptoren im Hippocampus, die mit kognitiven Störungen zusammenhängen können. Diese Forschung spricht für die Neuroinflammationstheorie, die aktuell in vielen Studien untersucht wird. Aber nicht alle Patienten sind bereit, sich auf invasive Diagnosen wie die Analyse von Liquor Proben einzulassen.
esanum: Gibt es auch neue Erkenntnisse hinsichtlich der Energiestoffwechsel-Theorie bei Fatigue?
Prof. Schwarting: Ja, neue Studien deuten darauf hin, dass der Energiestoffwechsel, beispielsweise durch Beeinträchtigungen der Pyruvatkinase 2, einem Enzym zur Bereitstellung von Energiemolekülen in der Zelle, eine Rolle bei Fatigue spielen könnte. Diese Enzym-Störungen können erklären, warum Betroffene bei körperlicher Anstrengung schnell ermüden, was als Post-Exercise Malaise bekannt ist. Fatigue geht über normale Müdigkeit hinaus; es ist, als ob der Stecker gezogen wurde. Die stark eingeschränkte Energie ist auch ohne extreme körperliche Aktivität vorhanden.
esanum: Welche Rolle spielen geschlechtsspezifische Unterschiede bei Fatigue?
Prof. Schwarting: Geschlechtsspezifische Unterschiede sind im Zusammenhang mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ein spannendes, aber noch wenig erforschtes Gebiet. Auf unserem Kongress wird Gendermedizin eine Rolle spielen, da in vielen Bereichen der Rheumatologie und klinischen Immunologie geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entstehung und dem therapeutischen Ansprechen festgestellt wurden. Diese Unterschiede könnten auch für die Fatigue-Symptomatik relevant sein, aber die Forschung steht hier noch am Anfang.
esanum: Was können Rheumatologen derzeit tun, um Fatigue bei ihren Patienten besser zu behandeln?
Prof. Schwarting: Obwohl wir noch keine geschlechtsspezifischen Daten zur Optimierung der Fatigue-Behandlung haben, können wir einige praktische Ansätze verfolgen. Zum Beispiel hat sich aerobes Ausdauertraining oder auch sanftes Pacing als hilfreich erwiesen, obwohl hierbei immer das Risiko einer Überforderung und Post-Exercise Malaise besteht. Eine intensive Therapie mit Biologika, wie sie bei aktiver Lupuserkrankung eingesetzt wird, zeigt im Studienvergleich auch eine Verbesserung der Fatigue. Rheumatologen sollten Fatigue ernst nehmen und als Teil der Krankheitsaktivität bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen betrachten.
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