Neue Versorgungsstrukturen für innovative Therapieansätze in der Onkologie

Der steigende Standard in der Hochleistungsmedizin fordert Onkologie und Hämatologie heraus, erstklassige und dennoch wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten.

Innovative Therapien erfordern neue Versorgungsstrukturen

Die Themen Innovationen im Bereich der Therapien sowie der interdisziplinäre Dialog standen im Mittelpunkt der DGHO-Jahrestagung, wie Kongresspräsident Prof. Dr. med. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin und des Centrums für Integrierte Onkologie an der Universitätsklinik Köln, auf der offiziellen Pressekonferenz hervorhob. Prof. Dr. med. Tim Brümmendorf, der als Direktor der Klinik für Onkologie, Hämatologie und Stammzelltransplantation an der Universitätsklinik Aachen ebenfalls die Kongresspräsidentschaft innehatte, verwies zusätzlich auf entscheidende Durchbrüche in der bei fortgeschrittenen soliden Malignomen.

Komplexe Diagnostik als Basis

Präzise Therapiestrategien basieren auf einer verbesserten Diagnostik. Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinischen Onkologie sowie Direktor der Abteilung für Hämatologie und Internistische am Universitätsklinikum Jena, unterstrich die Bedeutung von Genomsequenzierungen, Multiomics-Verfahren, hochsensitiven Nachweisen zirkulierender Tumor-DNS und KI-gestützter Analysemethoden. Diese Technologien schaffen die Grundlage für bessere Behandlungsansätze sowohl bei der initialen Diagnosestellung als auch während der Verlaufskontrolle.

Individuelle Therapien als Standard-Verfahren

Die Immuntherapie einschließlich zellulärer Verfahren hat bedeutende Fortschritte erzielt. gehören mittlerweile zum etablierten klinischen Standard und haben die Überlebenschancen zahlreicher Betroffener mit akuter lymphatischer Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphomen und Multiplem Myelom substanziell verbessert. Parallel etablieren sich bispezifische Antikörper und neuartige Antikörperkonjugate als relevante immuntherapeutische Optionen in der Onkologie.

Der wissenschaftliche Fokus richtet sich verstärkt auf den Einsatz dieser Therapieformen in früheren Behandlungsphasen. Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Ewald Wöll, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie und Ärztlicher Direktor sowie Ärztlicher Leiter Innere Medizin des Krankenhauses St. Vincenz in Zams, erläutert, dass die erweiterte Immuntherapie maßgeblich neue Behandlungsstrategien formt und Perspektiven für solide Malignome wie Lungen-, und gastrointestinale Karzinome eröffnet.

Dabei komme der Optimierung des Nebenwirkungsmanagements entscheidende Bedeutung zu, um die Lebensqualität der Behandelten zu gewährleisten. Bei hereditären Erkrankungen stehen die inzwischen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zugelassenen Gentherapien für Patienten mit schwerer Hämophilie und Hämoglobinopathien im Mittelpunkt intensiver Diskussionen, insbesondere im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie und hinsichtlich der Selektion geeigneter Behandlungskandidaten.

Strukturelle Herausforderungen der Krankenhausreform

Die gezielte Krebsimmuntherapie mittels CAR-T-Zellen oder Gentherapie bei angeborenen hämatologischen Erkrankungen haben sich in den vergangenen Jahren also von experimentellen zu etablierten Behandlungsformen entwickelt. Dennoch wurden diese Hochleistungsverfahren bislang nicht in die Planungen zur Krankenhausreform integriert. Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus kritisiert das Fehlen einer adäquaten Abbildung dieser hochkomplexen Leistungen im Versorgungssystem. Die Hämatologie und Onkologie erlebe einen enormen Innovationsschub, der strukturell nicht abgebildet werde.

Unter anderem forderte er, dass die Leistungsgruppe zur zwingend um die Gentherapie erweitert werden müsse, um der medizinischen Realität gerecht zu werden und diese therapeutischen Fortschritte flächendeckend verfügbar zu machen.

Prof. Wöll ging noch einen Schritt weiter: „Die optimale Behandlung fortgeschrittener Tumoren erfordert eine ganz neue Versorgungslogik.“ Beispielsweise zahlreiche solide Malignome weisen zum Diagnosezeitpunkt bereits eine systemische Ausbreitung auf. In diesen Risikosituationen wird zunehmend primär eine systemische Therapie initiiert. Aus Wölls Sicht erwächst daraus für die Fachgesellschaften die Aufgabe, Versorgungspfade, Qualitätsstandards und Steuerungssysteme aktiv mitzugestalten.

Neben den wissenschaftlichen Fortschritten rücken somit zunehmend die strukturellen Herausforderungen in den Vordergrund.

Wohnortnahe Versorgung als Qualitätsstandard

Dabei sollte die wohnortnahe Betreuung onkologischer Patienten den Kern moderner Versorgungskonzepte bilden, insbesondere bei chronischen Krankheitsverläufen, komplexen Behandlungsregimen und älteren oder multimorbiden Patientengruppen. Dr. med. Stefan Greuter, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie, unterstrich, dass räumliche Nähe kein Komfortmerkmal darstelle, sondern ein Qualitätskriterium sei: „Exzellenz muss dort stattfinden, wo die Menschen leben.“

Zentrale Instrumente hierfür sind die Verankerung und Vernetzung von Tumorboards, eine funktionale elektronische Patientenakte sowie der Ausbau telemedizinischer Schnittstellen. Versorgung könnte sich damit zu einem Verbundsystem aus spezialisierten Zentren, qualifizierten Praxen und digitalen Brücken zwischen den Versorgungsebenen entwickeln.

Die wachsende Anzahl onkologischer Patienten mit chronischen Krankheitsverläufen macht dementsprechend eine strukturelle Neuausrichtung erforderlich und eröffnet gleichzeitig Chancen für innovative Versorgungsmodelle. Prof. Dr. med. Michael Hallek plädiert dafür, dass Patienten von einem internistischen Hämatologen und Onkologen in ihrer Nähe betreut werden, der als onkologischer fungiert und die Rolle eines Lotsen übernimmt. Letztendlich sollten die Strukturen im stationären, intersektoralen und im ambulanten Bereich auf den Prüfstand gestellt werden.