Optimierung der Risiko-Nutzen-Balance in der Myelomtherapie

Wie patientenindividuelle Faktoren und Präferenzen in der Rezidivtherapie des Multiplen Myeloms berücksichtigt werden können, zeigte Dr. Stephan Fuhrmann auf der DGHO-Jahrestagung in Köln.

Optimales Benefit-Risk-Management von Myelomtherapie

Das Multiple Myelom ist keine seltene Erkrankung: 2022 erkrankten 6.514 Menschen (2.730 Frauen und 3.790 Männer) neu daran. Die relative 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 57%. In der Regel gibt es keine dauerhafte Heilung, es ist aber ein langer, symptomarmer Verlauf unter Therapie möglich. „Wir haben inzwischen dankenswerterweise viele Optionen und wir können damit jedem Patienten ein gutes Therapieangebot machen“, sagte Fuhrmann. Zwei Drittel der Patienten sind 70 Jahre alt und älter, Patienten ab 65 Jahren haben im Schnitt mindestens drei Nebenerkrankungen.

„Die Begleiterkrankungen spielen eine Rolle für die Entwicklung, den Verlauf und die Entstehung von Krebserkrankungen, sie beeinflussen die Behandlungsmöglichkeiten, den Verlauf und das Nebenwirkungsrisiko. Alter und Patienten-Heterogenität müssen bei der Therapieentscheidung einbezogen werden“, betonte Fuhrmann. Durch die Evolution in der Behandlung in der Erstlinie werden Patienten beim ersten Rezidiv älter. Sie repräsentieren eine heterogene Population mit Variabilität bezüglich:

  • Art und Ansprechen auf die Erstlinien-Behandlung 
  • Komorbiditäten
  •  Krankheitslast
  •  Sensitivität für Toxizitäten
  •  Medikationen
  • Funktionaler Status/Frailty

Für ein optimales Risiko-Nutzen-Verhältnis ist deshalb ein individualisierter Ansatz notwendig. Auch die S3-LL hebt die Wichtigkeit von Komorbiditäten hervor. Die Unterscheidung zwischen Myelom-bedingten Komorbididäten und Myelom-unabhängigen Komorbiditäten ist im Hinblick auf die Intensität und Art der auszuwählenden Myelomtherapie von Bedeutung. Die Leitlinie hebt hervor, dass bei Patienten mit MM zum Diagnosezeitpunkt und vor Therapiebeginn  Komorbiditäten möglichst lückenlos erfasst werden sollten. Auch der funktionelle Status/Frailty Assessment sollte erhoben werden. Infrage dazu kommen: IMWG-FI, Myeloma Comorbidity Index (R-MCI), Mayo Frailty Score (IFM), British Myeloma Research Alliance Risk (MRP).

Je nach Komorbiditäten und funktionellem Status muss überlegt werden,

  • welche  Therapie-Konsequenzen das hat, 
  • ob eine Dosisreduktion infrage kommt, 
  • Dosisintervalle verlängert werden sollten, 
  • eine Kombinationstherapie reduziert werden sollte. 

Die Ergebnisse der IFM2017-03-Studie zeigen, dass ältere und gebrechliche Patienten von einer Dosisreduktion profitieren können und dass so das Risiko von Nebenwirkungen deutlich verringert werden kann – ohne Einschränkungen der Effektivität der Therapie.

Re-Treatment: Aus Sicht der Behandlungs-Effizienz ein suboptimaler Weg

Anti-CD38-Antikörper, Lenalidomid und Proteasomen-Inhibitoren sind Standard in der Erstlinie und beeinflussen die Auswahl der Rezidivtherapie. Im ersten Rezidiv sind die meisten Patienten mit Lenalidomid und DC38 vorbehandelt. Die aktualisierten EHA/EMN 2025 Leitlinien zeigen die grundsätzlich verfügbaren Therapieoptionen für das erste Rezidiv auf. Es sei nachvollziehbar, in der Rezidivsituation daran zu denken, welche Therapie im Vorfeld gut funktioniert hat: „Ein Re-Treatment ist grundsätzlich möglich, aber wir haben damit immer einen Wirksamkeitsverlust“, so Fuhrmann. Bei Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem Krankheitsstatus führt die erneute Behandlung häufig zu suboptimalen Behandlungsergebnissen. Sinnvoller ist es, die Substanzklassen zu wechseln.

Nicht einfach ist die Situation, wenn die Patienten die Standardmedikation über lange Zeit bekommen haben. „Mit den BCMA-gerichteten Myelomtherapien haben wir eine neue Möglichkeit“, so Fuhrmann. Die BMCA-gerichteten/immuntherapeutischen Therapien ermöglichen einen Substanzklassenwechsel im Rezidiv. Die CAR-T-Zell-Therapie sei ein „bisschen die Königin der Myelomtherapie“. Zur Verfügung stehen die bispezifischen T-Zell-Engager (BITE) und das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, eine Art „smarte Chemo“. Spezifische Vor-und Nachteile im Überblick:

Belantamab-Mafodotin (Belamaf) CAR-T-Zell-Therapie Bispezifische Antikörper
Verfügbarkeit  Wenig/keine Wartezeit nötig Zellherstellung bis zu 8 Wochen (Bridging-Therapie), Risiko des Herstellungserfolgs Wenig/keine Wartezeit nötig
Verabreichung Ambulant (keine stationäre Eindosierung nötig) Stationär in spezialisierten Zentren/Kliniken Initial meist stationär in spezialisierten Zentren/Kliniken; später amb. Gabe
Monitoring Reguläre Besuche beim Augenarzt 14-Tage tägl. Vorstellung plus Monitoring von CRS/Neurotox.; Patient mind. 4 Wochen in Kliniknähe Patienten mind. 48 Stunden nach Step-up-Dosierung in der Nähe des med. Zentrums
Prämedikation /  Begleitmedikation Tränenersatzmittel u.a. IVIG (Off-Label), Tocilizumab/Anakinra bei Bedarf u.a.  IVIG (Off-Label), Tocilizumab/Anakinra bei Bedarf
Dosierung Per Protokoll q3/4w Patientenindividuelle Anpassung Einmalgabe z.B. Teclistamab Step-up-Dosierung; wöchentlich, dann 2-wöchentlich. Infusion

Keratopathie unter Belamaf: Durch entsprechendes Management gut zu behandeln

Die Keratopathie unter Belamaf entsteht dadurch, dass in den Stammzellen der Hornhaut dieses Medikament eingelagert wird. Die Zellen regenerieren sich vom Außenrand zur Mitte hin. Stammzellen bilden dabei Keratozyten, die sich über die Hornhaut bewegen, um schließlich abgelöst zu werden. Dabei entfernen sie auf ihrem Weg Schmutzpartikel. Dieser Prozess ist grundsätzlich nicht aufzuhalten, aber er kann durch entsprechendes Management so gestaltet werden, dass es für die Patienten sehr erträglich ist. Nur ein kleiner Teil der Patienten erlebt tatsächlich erhebliche Sichteinschränkungen.

Die Mehrheit der Patienten (65 bis 66 %) weist keine visuellen Beeinträchtigungen auf. Zwischen der ersten Verabreichung und dem Auftreten dieser Einschränkungen vergeht in der Regel eine beträchtliche Zeitspanne. Nach der Einschränkung kommt es dann innerhalb von 3 bis 4 Wochen zu einer Verbesserung (im Rahmen der Zellregeneration) und zur Rückbildung. Das muss man mit dem Patienten besprechen. Die meisten Patienten mussten weder Lesen noch Autofahren einschränken. 97% der Patienten konnten wieder lesen wie zu Studienbeginn, 92% konnten wieder Autofahren wie zu Studienbeginn. Die Einschränkungen bestanden im Median von 10% bis 12% der Behandlungszeit. Durch die Anwendung von Tränenersatzmitteln und eine gute Kooperation mit den Augenärzten lassen sich mögliche Einschränkungen gut behandeln bzw. Diesen vorbeugen.

Referenzen
  1. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO), 24.-27. Oktober 2025, Messe Köln.
    https://www.jahrestagung-haematologie-onkologie.com/
    GlaxoSmithKline Industrie-Symposium: Multiples Myelom: Ambulante Therapieoptionen im frühen Rezidiv, 25. Oktober 2025.