Herzinsuffizienz im Alter: Anpassung von Therapie und Versorgung im Krankheitsverlauf
Herzpatienten brauchen mehr als nur akute Hilfe: Studien belegen, wie wichtig regelmäßige Kontrollen, realistische Therapieziele und palliativmedizinische Unterstützung sind.
Zwischen Leitlinien und Lebensqualität: Herausforderungen in der kardiologischen Langzeitbetreuung
Ärztliche Einschätzungen zum Krankheitsverlauf können durchaus fehlerhaft sein, wie die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2024 zeigen. Dabei wurden 2.509 Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) neun bis zwölf Monate nach einem Herzinfarkt untersucht. Unter anderem wurde auch das Wissen der Patienten über die Zielwerte erhoben. Etwa 90% der Patienten fühlten sich gut über die Sekundärprävention informiert, aber nur 37,9% kannten den richtigen Zielwert für den Blutdruck und nur 8,2% für das LDL-Cholesterin. Sowohl Ärzte als auch die Patienten unterschätzten das Risiko künftiger Herzinfarkte, welches anhand des TIMI-Risikoscores für die Sekundärprävention ermittelt wurde.
Anlässe für Besprechung der Therapieziele
Wiederholte Krankenhauseinweisungen innerhalb der letzten sechs Monate sind der Hauptanlass für ein Gespräch über Therapieziele, gefolgt von:
- der Verschlechterung der HI-Symptomatik,
- der Verschlechterung hämodynamischer Parameter,
- der Frailty-Problematik,
- ICD-Diskussionen,
- und der Neudiagnose relevanter Komorbiditäten.
Patienten mit einer strukturellen Herzerkrankung sollten mindestens zweimal im Jahr kardiologisch betreut werden. Allein auf eine Wiedervorstellung bei Verschlechterung der Symptome zu warten, reicht nicht aus.
Die Besprechung von Änderungen des vereinbarten Therapieziels zeigt eine eindeutige Reihenfolge: Ganz oben steht mit 83% die Entscheidung zu kardiologischen Interventionen. Das gilt für Hausärzte und Kardiologen gleichermaßen. Die Entscheidung zu chirurgischen Eingriffen wird häufiger mit dem Kardiologen besprochen. Mögliche intensivmedizinische Behandlungen und Klinikeinweisungen sind hingegen eher Thema in der hausärztlichen Praxis.
Adhärenz lässt mit zunehmendem Alter nach
Es wurde daran erinnert, dass Polypharmazie mit zunehmendem Alter zunimmt und damit auch die Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen steigt. 20 bis 30% der UAW entstehen durch Arzneimittelinteraktionen. Im Hinblick auf die Verträglichkeit von Medikamenten sollte man sich nicht nur an den Ergebnissen doppelblinder RCTs orientieren. Denn: „Ein Großteil der Patienten, die wir versorgen, werden in diesen RCTs nicht abgebildet“, so Goss.
Die Intensivierung der Therapie und die Anzahl unterschiedlicher Therapien lassen das Risiko für unerwünschte Wirkungen deutlich ansteigen. Daten aus dem SwedeHF-Register zeigen, dass die Angst vor schlechter Verträglichkeit oder unerwünschten Wirkungen, die starke Belastung durch Komorbiditäten und die Notwendigkeit multipler Therapien bei älteren Patienten in der Regel zu einer geringeren Befolgung der leitliniengerechten medikamentösen Therapie (GDMT) führt.
„In der Studie sind 40% der Patienten mit Betablockern und RAAS-Inhibitoren unterhalb ihrer empfohlenen Dosis, nur wenige – unter 30% – erreichen überhaupt die Zieldosis.“ Große registergestützte Studien bestätigen, dass das Alter eines der größten Hindernisse für die Optimierung der Behandlung ist.
Die Therapieziele unterscheiden sich deshalb je nach Phase:
- Frühphase: Fokus auf Symptomkontrolle und Krankheitsverlauf
- Fortgeschrittene Phase: Vermeidung von zunehmender Rehospitalisierungen und Verschlechterung der Lebensqualität
- Endphase: Wechsel zu palliativmedizinischen Aspekten, Fokus auf Lebensqualität anstelle einer kurativen Therapie
Medikamenteneinnahme in der Palliativsituation
In der Palliativsituation können Medikamente reduziert oder abgesetzt werden. Goss gab hier folgende Empfehlungen:
Betablocker:
- Kann reduziert oder abgesetzt werden wenn Bradykardie, Hypotonie oder Fatigue im Vordergrund stehen; keine relevante Tachyarrhythmie als Indikation besteht
- Erhalt bei Tachykardie
ACE-Hemmer/Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) und Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI):
- De-prescribing ist möglich, wenn arterielle Hypotonie, Nierenfunktionsverschlechterung, Hyperkaliämie oder Therapieziel nicht mehr auf Lebensverlängerung ausgerichtet ist.
- Für ARNI keine klare Empfehlung; Nutzen und Risiko individuell abwägen
Mineralkortikoidrezeptor-Antagonisten (z.B. Eplerenon):
- Können abgesetzt werden wenn Hyperkaliämie oder schwere Niereninsuffizienz vorliegt oder bei unklarer Prognose
SGLT2-Hemmer (z.B. Dapagliflozin):
- Noch keine klare Evidenz für terminale HF; bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz (GFR <30) in der Regel nicht wirksam
Diuretika (v.a. Schleifendiuretika):
- Wichtig für die Symptomkontrolle (Dyspnoe, Ödeme); Anpassung je nach Symptomatik, auch subkutane oder intermittierende i.v.-Applikation möglich.
Die sektorenübergreifende Anpassung der Therapieziele im Verlauf der Erkrankung ist aus Sicht von Goss relevant für Hausärzte, Kardiologen und die ambulante Versorgung (Pflege). Goss empfiehlt ein regelmäßiges „Staging“ der Herzinsuffizienz:
- Therapiezieländerungen in Kommunikation mit Patienten und Angehörigen (schriftlich Medikamentenplan, BMP)
- Kritische Symptom-orientierte Überprüfung jeder GDMT-Medikamentengruppe (Polypharmazie, Interaktionen, De-Prescribing, Up-Titrierung)
- Kontrolle der Umsetzung – Adhärenz
- Optimierung des Informationstransfers zwischen Hausarzt, Kardiologen und Pflegepersonal (Telemedizin, ePA)
- Therapieziele sollten kurzfristig angepasst werden, insbesondere in der Spätphase
- SAPV und hausärztliche Betreuung sind essentiell, aber nicht überall ausreichend verfügbar
Zudem sollte die kardiologische Betreuung fester Bestandteil der Palliativmedizin sein.
- 91. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 23. bis 26. April, Congresscentrum Rosengarten, Mannheim. Symposium: DGK Jahrestagung: Therapieziele und Therapiezieländerung bei chronischer Herzinsuffizienz.
- Puymirat E, Polonski L, Cottin Y, et al. Predictors of 1-year outcome after myocardial infarction in patients with stable coronary artery disease: the "ACCA-EAPCI Risk" study. Eur Heart J Acute Cardiovasc Care. 2024 Apr 29; [Online ahead of print]. doi:10.1093/ehjacc/aeae031. PMID: 38768234.
- Khan MS, Sreenivasan J, Lateef N, et al. Trends in Cause-Specific Readmission Rates After Acute Myocardial Infarction in the United States. JAMA Cardiol. 2022 Jun 1;7(6):611–614. doi:10.1001/jamacardio.2022.0821. PMID: 35541287.