Neue ESC-Leitlinien zu Vorhofflimmern
Die neue ESC-Leitlinie zu VHF: PD Dr. Verena Tscholl erläutert das CARE-Konzept, warum beim Chads-Va-Score das Geschlecht entfällt und weshalb der chirurgische Vorhofohrverschluss nun explizit empfohlen wird.
STEEER-AF-Studie: Gezielte Schulung verbessert Leitlinien-Adhärenz bei Vorhofflimmern
Bei der ärztlichen Adhärenz gegenüber Leitlinien gibt es noch Luft nach oben – das zeigt die STEEER-AF-Studie. In den beteiligten Zentren wurden 1.732 Patienten mit VHF rekrutiert - mit einem Durchschnittsalter von 68,9 Jahren (SD 11,7) und einem CHA2DS2-VASc-Score von 3,2 (SD 1,8). 647 der Patienten waren Frauen (37 %). 843 Patienten (49 %) hatten bei der Aufnahme in die Studie Vorhofflimmern und 760 (44 %) einen Sinusrhythmus.
Die Leitlinien-Adhärenz für die Schlaganfallprävention lag zu Studienbeginn bei 61% und für die Rhythmuskontrolle bei 21%. Die beteiligten Ärzte wurden 16 Wochen lang gezielt geschult. In der Interventionsgruppe zeigte sich zwar keine Verbesserung bei der Schlaganfallprävention, aber eine Verbesserung bei der Rhythmuskontrolle (51 %). Die Schlussfolgerung der Autoren: Die Befolgung der Leitlinien ist vergleichsweise gering, kann aber durch gezielte Schulung verbessert werden. „Wir müssen besser werden, wir müssen unsere Patienten besser behandeln“, sagte Tscholl.
CARE – das „E“ hebt die Nachsorge der Patienten hervor
Zentrale Neuerung der ESC-Leitlinie ist das sogenannte AF-CARE-Konzept. Es folgt auf das ABC-Konzept der bisherigen ESC-Leitlinie aus dem Jahr 2020. AF-CARE betont die zentralen Behandlungsaspekte: Diagnose und Therapie von Komorbiditäten und Risikofaktoren (C), Vermeidung von Thromboembolien (A), Frequenz- und Rhythmuskontrolle (R) sowie Evaluation und kontinuierliche Nachsorge (E). Neu mit aufgenommen ist das „E“. Doch warum ist das wichtig? „Wir müssen unsere Patienten mit Vorhofflimmern reevaluieren. Das bedeutet, dass wir sie immer wieder sehen sollten, sechs Monate nach der Erstdiagnose, dann nach 12 Monaten - mindestens in diesen Abständen“, betonte Tscholl. „Vorhofflimmern ist nicht nur eine Diagnose, die Erkrankung ist progredient.“
Empfehlungen geschlechtsunabhängig vereinheitlicht
Die individualisierte Therapie von Komorbiditäten und Risikofaktoren ist zentraler Bestandteil der neuen Leitlinie. Gegenüber 2020 wurden zahlreiche Aspekte von Klasse-IIa- zu Klasse-I-Empfehlungen heraufgestuft (u. a. Gewichtsreduktion, Alkoholreduktion, gezieltes körperliches Training). Diese ergänzen eine Reihe weiterer Klasse-I-Empfehlungen zur Hypertonie- und Herzinsuffizienz-Behandlung sowie zur Einstellung von Diabetes. Etwas in den Hintergrund gerückt ist die Schlafapnoe.
Dagegen enthält die Leitlinie klare Empfehlungen zu körperlicher Aktivität. So werden zur Vorbeugung von VHF 150 bis 300 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche oder 75 bis 150 Minuten intensive aerobe körperliche Aktivität pro Woche empfohlen. Bei Patienten mit VHF und Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse wird die Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) empfohlen. Der bisherige CHA2DS2-VASc-Score wurde dabei zum CHA2DS2-VA-Score. Das Geschlecht fließt also nicht mehr in den Score mit ein, die Empfehlungen wurden geschlechtsunabhängig vereinheitlicht.
Das lässt kurz aufhorchen: Frauen sind bei der Diagnose VHF älter als Männer und häufiger symptomatisch. Die Symptome sind oft ausgeprägter und sie werden seltener einer Rhythmuskontrolle zugewiesen. Dennoch unterstützen aktuelle Daten die Entscheidung: Eine Studie aus dem Jahr 2024 kommt zu dem Schluss, dass die Herausnahme des Geschlechts aus der klinischen Risikoeinstufung die Entscheidung darüber vereinfachen könnte, welchen Patienten mit VHF eine orale Antikoagulation angeboten werden sollte. Entsprechend wird das Geschlecht in der aktuellen ESC-LL eher als Risikomodulatur eingestuft.
Postoperatives Vorhofflimmern? Bitte antikoagulieren
Wichtig und neu ist, dass Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie und Amyloidose ein erhöhtes thromboembolisches Risiko haben. Diese Patienten sollten unabhängig vom CHA2DS2-VA-Score behandelt werden. Sollten die Patienten abhängig von der Form des VHF – paroxysmal, persistent oder permanent – abladiert werden? „Nein, wenn die Patienten die Diagnose VHF haben, sollten sie abhängig vom CHA2DS2-VA-Score antikoaguliert werden“, stellte Tscholl klar. Neu ist auch die klare Empfehlung, bei postoperativem Vorhofflimmern dauerhaft eine Antikoagulation durchzuführen.
Für Patienten, die sich einer Herzoperation mit bekanntem Vorhofflimmern unterziehen, empfiehlt die ESC-LL aufgrund der Daten aus der LAAOS-III-Studie einen Verschluss des Vorhofohrs während des Eingriffs, um thromboembolische Komplikationen zu verringern. Die Antikoagulation sollte allerdings fortgesetzt werden.
Frühere Rhythmuskontrolle
Bei der Rhythmuskontrolle unterscheidet die LL in vier Vorhofflimmer-Arten: Erstmals diagnostiziertes VHF, paroxysmales VHF, persistierendes VHF und permanentes VHF. Ist der Patient mit erstmaligem VHF hämodynamisch nicht stabil, folgt eine Kardioversion. Ist der Patient hämodynamisch stabil, wird erst mal eine Frequenzkontrolle gemacht und eine Kardioversion angestrebt. „Früher galt ein Cut Off von 48 Stunden, jetzt gilt, dass auch schon nach 24 Stunden eine Kardioversion erfolgen kann“, sagte Tscholl. In den LL wird betont, dass früh kardiovertiert werden sollte.
Die Indikation zur Rhythmuskontrolle wurde bislang überwiegend basierend auf den mit VHF assoziierten Symptomen gestellt. Die Ergebnisse der EAST-AFNET 4-Studie stellen das in Frage. Patienten im ersten Jahr nach der Diagnose, die älter als 75 Jahre waren oder kardiovaskuläre Risikofaktoren aufwiesen, wurden auf eine frühe Rhythmuskontrolle oder auf eine Frequenzkontrolle randomisiert. Im Ergebnis zeigten die Patienten mit früher Rhythmuskontrolle ein besseres Überleben, so dass die Leitlinie erstmals aus prognostischer Sicht eine Rhythmuskontrolle für diese Patienten formuliert hat. Patienten mit einem CHA2DS2-VA-Score von über 2 scheinen von einer Rhythmuskontrolle zu profitieren.
Katheterablation bei paroxysmalen VHF-Patienten
Welche Art der Rhythmuskontrolle sollte man durchführen? Bei paroxysmalen VHF-Patienten ist das immer eine Shared Decision, betonte Tscholl, empfohlen werde die Katheterablation. Viele Studien – etwa Early-AF oder Stop-AF – hätten gezeigt, dass die Katheterablation im Vergleich zur antiarrhythmischen Therapie eine viel bessere Effektivität hat. Hinzu kommt ein sehr gutes Sicherheitsprofil.
Bei Patienten mit persistierendem Vorhofflimmern ist die Evidenzlage eingeschränkter, wobei die strenge Differenzierung zwischen paroxysmalem und persistierendem Vorhofflimmern, wie sie die Leitlinie fortführt, den klinischen Alltag unzureichend abbildet. Unverändert zur Leitlinie aus 2020 besteht aber für paroxysmales wie persistierendes VHF nach erfolgloser medikamentöser antiarrhythmischer Therapie eine Klasse-I-Empfehlung zur Katheterablation.
1. 91. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 23. bis 26. April, Congresscentrum Rosengarten, Mannheim.
https://herzmedizin.de/fuer-aerzte-und-fachpersonal/kongresse/dgk-jahrestagung-2025.html
Sitzung: Neue ESC- und AWMF-Leitlinien Vorhofflimmern, 25. April
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38940494/ (STEEER-AF-Trial)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33999547/ (LAAOS-III-Studie)
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2019422 (EAST-AFNET 4-Studie)