Klappenerkrankungen aus verschiedenen Perspektiven

Neue ESC/EACTS Leitlinie Klappenerkrankungen: Ein niedergelassener Kardiologe, ein bildgebender Kardiologe, ein interventioneller Kardiologe und ein Herzchirurg geben ihre Einschätzung.

Die neueste Version der europäischen Leitlinie zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen (ESC/EACTS Joint Guidelines Valvular heart disease) wartet mit  28 neuen und 50 überarbeiteten Empfehlungen auf. Bei den DGK Herztagen in Hamburg gaben der niedergelassene Kardiologe Dr. Karl La Rosée aus Bonn, Prof. Dr. Fabian Knebel, Chefarzt der Kardiologie am Sana Klinikum Lichtenberg und Experte für Bildgebung, PD Dr. Matti Adam, interventioneller Kardiologe und Oberarzt am Universitätsklinikum Köln, und Prof. Dr. Michael Borger, Direktor der Herzchirurgie am Herzzentrum Leipzig und einer der Co-Vorsitzenden des gemeinsamen ESC/EACTS-Leitlinienkomitees, ihre Einschätzungen ab.

Die wesentlichen Neuerungen der Leitlinie Klappenerkrankungen sind:

La Roseé stellte klar, dass er als niedergelassener Kardiologe seine Aufgabe in erster Linie in der Primärdiagnose und klinischen Graduierung des Vitiums sieht. Liege dann eine Indikation zur Intervention oder Operation an einem Herzklappen-Zentrum vor, werde er  „ohne Festlegung auf ein konkretes therapeutisches Konzept“ dorthin überweisen. Denn die Festlegung eines solchen Konzepts sei Aufgabe des HeartTeams, wie auch die LL hervorhebt.

Bei der Klappenprothesen-Nachsorge stelle sich die Frage, ob das Follow-up wirklich jährlich erfolgen müsse. Rosée wies darauf hin, dass ACC und AHA längere Intervalle empfehlen.

Genauere echokardiographische Graduierung empfohlen

Knebel begrüßte, dass die Leitlinie zur transthorakalen Echokardiographie (TTE) drei wichtige Aspekte aufgreift: Die TTE ist die First-Line-Diagnostik, für die Durchführung werden gut ausgebildete und gut trainierte Untersucher gebraucht und entscheidend seien quantitative Imaging-Analysen. „Nimmt man diese drei Kriterien zusammen, wären wir schon einen ganz großen Schritt weiter in der klaren Zuordnung von Klappenvitien", betonte Knebel. Er begrüßte auch, dass die LL eine genauere echokardiographische Graduierung der Mitralklappeninsuffizienz (MI) fordert: Es reiche nicht aus, nur zwischen „mittelgradig“ oder „hochgradig“ zu unterscheiden: „Es muss auch dokumentiert werden, welcher Mechanismus dazu führt, dass die Klappe undicht wird.“ 

Unterschieden wird die primäre (degenerative) MI mit verschiedenen Pathologien von der sekundären MI. Bei der sekundären MI wiederum unterscheidet man die ventrikuläre MI von der atrialen MI. „Diese Entität ist in vielen Köpfen noch gar nicht angekommen und sie ist deutlich häufiger als man das gemeinhin annimmt“, erklärte Knebel. Er erinnerte daran, dass  Patienten mit atrialer MI ein deutlich schlechteres Überleben aufweisen als Patienten mit primärer Mitralklappeninsuffizienz.

Altersverschiebung der TAVI auf 70: Braucht ein Patient dann mehrfache TAVI?

„Extrem ausgewogen“ findet Adam die neue Leitlinie, die viel Bewegung zulasse und Diskussionsspielraum eröffne. „Sehr gut“ sei, dass das Leitlinienkonzept das HeartTeam noch mehr in den Vordergrund rückt und den Patienten in den Mittelpunkt stelle. Adam erinnerte daran, dass bei der Aortenklappenstenose alle Patienten, die jünger als 70 Jahre sind, operiert werden sollten, alle Patienten, die 70 Jahre alt oder älter sind, sollten Richtung TAVI gebracht werden. 

Dennoch ließen die Vorgaben individuelle Entscheidungen zu: „Man kann nicht einfach sagen: Der Patient ist 71 Jahre alt, der bekommt eine TAVI. Das wird nun im HeartTeam diskutiert“, erklärte Adam. Ebenfalls im HeartTeam diskutiert werden müsse der TriScore bei Patienten mit Trikuspidalklappeninsuffizienz. Denn: Patienten mit einem hohen TriScore kann eine OP erspart werden, ihre Prognose ist sehr schlecht. „Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Einen Patienten mit niedrigem TriScore können wir operieren.“

Borger berichtete, dass die Verschiebung der Altersgrenze bei TAVI von 75 auf 70 Jahre intensiv diskutiert worden sei. Gerade auch die Frage, ob im Hinblick auf die längere Lebenserwartung dann beispielsweise drei Mal eine TAVI durchgeführt werden müsse. „Meine Antwort auf diese Frage ist: Zeigt mir bitte die Evidenz, dass 10-Jahres-Ergebnisse für chirurgische Verfahren besser sind als die TAVI-Ergebnisse. Diese Evidenz gibt es nicht. Die Lebenserwartung ist sehr schwer einzuschätzen, es bleibt uns nichts anderes übrig, als das Patientenalter als fixen Parameter zu nutzen.“

Referenzen
  1. DGK Herztage 2025. 25.-27. Oktober 2025 Congress Center Hamburg (CCH)
    Update ESC Leitlinie 2025 – Klappenerkrankungen aus verschiedenen Perspektiven.