Gute Patientenversorgung aus Sicht des Hausarztes

Patienten-Adhärenz, Regressgefahr und Leitlinienkonflikt DEGAM/ESC: Auf den DGK-Herztagen machte Dr. Steinebach Vorschläge, wie eine gute Zusammenarbeit gelingen kann.

Patienten-Adhärenz und Compliance

„Nur jeder zweite Patient nimmt das, was wir ihm verordnen auch regelmäßig ein“, betonte Steinebach. Die Gründe liegen auf der Hand, denn Polypharmazie und Komplexität tragen nicht dazu bei, dass der Patient sehr compliant ist. Medikationspläne sind aus Sicht Steinebachs „Handlungsaufträge für jeden beteiligten Arzt“. Ab der 10. Tablette aufwärts könne man zu 100% davon ausgehen, dass eine gefährliche Interaktion besteht: „Deshalb müssen wir die Medikation und die Medikationspläne vereinfachen.“

Die Patienten-Adhärenz wird auch durch ein schlechtes Arzt-Patienten-Verhältnis negativ beeinflusst und auch Nebenwirkungen und Behandlungsdauer senken die Bereitschaft zur Einnahme. Positiv auf die Adhärenz wirkt sich eine gute und offene Kommunikation aus. Wichtig ist auch,  sich mit dem Patienten zu verständigen, ob man überhaupt die gleichen Therapieziele hat.

Zur Patienten-Adhärenz formulierte Steinebach folgende Wünsche - an die Kardiologen:

… und an die Hausärzte:

Wie geht man mit der Regressgefahr bei Lipidsenkern um?

Das Wirtschaftlichkeitsgebot (§12 Sozialgesetzbuch V) definiert, dass die Verordnung wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig sein muss. In der Praxis bedeutet das: Jeder verordnende Arzt muss prüfen, ob das Präparat erstattungsfähig ist, denn es haftet wirtschaftlich immer der verordnende Arzt. Glücklicherweise habe der G-BA im Februar 2025 im Hinblick auf die Lipidsenker eine sehr wichtige Entscheidung getroffen: Besteht ein hohes kardiovaskuläres Risiko, können Lipidsenker auch für die Primärprävention verordnet werden. In der Sekundärprävention sind Lipidsenker immer verordnungsfähig.

Steinebach formulierte hier folgende Wünsche - an die Kardiologen:

… und an die Hausärzte gerichtet:

Steinebach erinnerte daran, dass Hausärzte im Schnitt drei bis fünf Minuten Zeit für die Behandlung der Patienten haben und am Tag Hunderte von Arztbriefen erhalten: „Es erleichtert uns enorm die Arbeit, wenn im Brief sofort ersichtlich wird: Wo steht der Patient, welchen Risikoscore hat er erreicht. Dann weiß der Hausarzt sofort: Wir liegen über 10%, eine Kassenverordnung ist möglich.“

Der Leitlinienkonflikt DEGAM/ESC

Die Kardiologen richten sich nach einer Zielwertstrategie beim LDL-C-Wert, einer individuellen Senkung je nach Risikokategorie (niedrig bis extrem hoch). Dagegen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) eine fixe Statindosis, die Zielwerte, so Steinebach, sind dabei nicht bedeutsam, Kombinationspräparate oder aggressive Strategien zur LDL-C-Senkung werden kritisch gesehen. 

„In der Sekundärprävention haben Medikamente einen Stellenwert für die DEGAM, in der Primärprävention fast gar nicht“, so Steinebach. Aus ihrer Sicht gipfelte der Konflikt in der S3-Leitlinie der DEGAM, die 2024 zur kardiovaskulären Prävention veröffentlicht wurde. „Da liegt der Knackpunkt im Detail, die mit Sternchen gekennzeichneten Hinweise werden von den Fachgesellschaften der Kardiologen, Internisten, Lipidologen usw. nicht gezeichnet.“ Man habe damit eine Leitlinie zur kardiovaskulären Prävention, die ganz viele Sternchen enthalte – das sei ein großes Problem. „Ich denke, wir müssen an einen Tisch“, betonte Steinebach.

Fallbeispiel: Wie wirkt sich der Leitlinienkonflikt in der Praxis aus?

Steinebach erläuterte an einem Fallbeispiel, was der Leitlinienkonflikt in der Praxis bedeutet.

Eine 47 Jahre alte Patientin, sportlich und ehemalige Bundesliga-Handballspielerin weist ein LDL-Cholesterin von 180 mg/dl auf, der Blutdruck liegt bei 145/80 mmHg, die Patientin ist Raucherin. Ihre Mutter hatte mit 59 Jahren einen Myokardinfarkt. „Nach der DEGAM würde man jetzt eine Risikobewertung machen. Mit dem Arriba-Score liegt das 10-Jahres-Risiko der Patientin für ein kardiovaskuläres Ereignis bei 8,8%, mit dem Score2 bei 2,7%. Die Empfehlung der DEGAM sieht dazu Lebensstil-Modifikationen für vier bis sechs Monate vor, dann setzt man sich noch mal zusammen“, erklärte Steinebach. Die ESC dagegen sieht diese Patientin bereits in einem moderaten Risikobereich, die Klasse IIa-Empfehlung lautet, ihre Lipidwerte zu senken. Die Patientin weist als Ausgangswert ein LDL-C von 180 auf, ein LDL-C <100 mg/dl ist alleine mit Lebensstil-Modifikationen kaum zu erreichen.

Künftig auch auf die Lipid-Years achten

Wie sieht die Evidenz für die primärpräventive Senkung von Lipiden aus? Steinebach verweist auf eine Metaanalyse (doi:10.1001/jamainternmed.2020.6084) und ein systematisches Review (doi:10.1001/jama.2022.13044), die gezeigt haben,  dass die relative Risikoreduktion bei 30% lag. Auch eine absolute Risikoreduktion und eine Senkung der Gesamtmortalität konnten dokumentiert werden. Allerdings ist die NNT in der Primärprävention hoch und die Beurteilung im Hinblick auf harte Endpunkte ist schwierig – dazu müssten die Studien viel länger laufen. 

In der Cholesterol Roadmap 2022 der World Heart Federation (doi: 10.5334/gh.1154), die das Ziel hat, bis 2030 kardiovaskuläre Todesfälle deutlich zu senken, wurde unter KI-Nutzung Folgendes berechnet: Wie würde es sich auswirken, wenn man frühzeitig beginnt, das LDL-C zu senken? Und welche Dosis braucht es, wenn man früh startet – verglichen mit der benötigten Dosis bei später Lipidsenkung? 

„Die Berechnungen liefern den Hinweis, dass wir Hyperlipidämien als Lebenszeitaufgabe sehen und im Sinne unserer Patienten künftig an die Lipid-Years denken sollten: Wenn beispielsweise eine junge sportliche Frau einen LDL-C-Wert von 185 aufweist, dann hat sie diesen Wert ihr Leben lang und das macht etwas mit ihren Gefäßen. Je früher wir das behandeln, umso größer der Benefit“, erklärte Steinebach.

Hier äußerte Steinebach die folgenden Wünsche an die Kardiologen:

Von den Hausärzten wünscht sie sich, einen Konsens zur lipidsenken Therapie mit allen Fachgesellschaften (insbesondere der DGK) zu finden.

Referenzen
  1. DGK Herztage 2025. 25.-27. Oktober 2025 Congress Center Hamburg (CCH)
    Kardiologie aktuell: Hausarzt und Kardiologe – Wie kann Patientenversorgung sinnvoll funktionieren?