Internet-und Computerspielsucht im Kindes-und Jugendalter

Internet- und Computerspielsucht im Kindes- und Jugendalter war Thema eines Symposiums auf der 115. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in München.

Gaming Disorder: Im ICD-11 als Suchterkrankung aufgenommen

Internet- und Computerspielsucht im Kindes- und Jugendalter war Thema eines Symposiums auf der 115. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in München. Das Internet ist omnipräsent im täglichen Leben, so Dr. Klaus Wölfing, psychologischer Leiter der "Ambulanz für Spielsucht" an der Klinik und Polyklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uni Mainz. Er behandelt dort seit 2008 Computer- und Internetsüchtige.

Wie verbreitet ist Computerspielsucht in Europa unter Jugendlichen (14 bis 17 Jahre)? Daten aus 2015 (Müller KW et al. Europ Child and Adolescent Psychatriy, 2015) zeigen, dass im europäischen Durchschnitt 12,2% gefährdet und 1,2% abhängig sind. In Deutschland sind 8,7% dieser Altersgruppe gefährdet und 0,9% abhängig. Vor allem männliche junge Erwachsene zeigen in Bezug auf Online-Spielwelten ein unkontrollierbares, entgleitendes psychopathologisch auffälliges Nutzungsverhalten, das häufig als Internetsucht bezeichnet wird. 

Internet Gaming Disorder – die wichtigsten Merkmale

2013 wurde in den USA die Störung "Internet Gaming Disorder“ in das DSM-5 als Forschungsdiagnose aufgenommen.  Im Januar 2018 gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt, dass im ICD-11 "Gaming Disorder" als Suchterkrankung in den Katalog psychischer Störungen aufgenommen wird. Definiert ist die Gaming Disorder so:

Die anhaltende und wiederkehrende Nutzung des Internets, um sich mit Spielen (meistens mit anderen Spielern) zu beschäftigen, die zu klinisch signifikanten Beeinträchtigungen oder Leiden führt, wobei bezogen auf 12 Monate mindestens fünf der folgenden Merkmale vorliegen müssen:

Gemeinsamkeiten zwischen Verhaltenssucht und substanzgebundener Sucht

Computerspiel- und Internetsüchtige können von verschiedenen Verhaltensroutinen abhängig sein. Dazu zählen u.a. die Präsenz in Chatforen oder Social Networks, die Suche nach pornographischem Material oder jeglicher Art von Informationen, Online-Kaufverhalten und vor allem die exzessive Nutzung von (Online-) Computerspielen. Auf klinischer Ebene entwickeln sich für die von Internetsucht betroffene Person im Verlauf der Zunahme des Verhaltens spürbare negative Veränderungen im psychosozialen Funktionsniveau. Unter Internetsucht fallen Online-Glücksspiele, häufiger Aufenthalt in sozialen Netzwerken, Online-Kaufsucht, Online Computerspiele und der häufige Konsum von Online-Pornographie.

Zwischen Verhaltenssüchten – wie der Computerspielsucht – und substanzgebundenen Süchten gibt es viele Unterschiede. Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten. So wird z.B. die Beschäftigung mit der Droge (Tabak, Alkohol, Heroin oder Internet oder Glücksspiele) beherrschend für den gesamten Tagesablauf. Alles richtet sich danach aus. Zum Beispiel verpassen Jugendliche mit Internet-oder Spielesucht einen Großteil ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung. Wird die Schule oder die Ausbildung abgebrochen, dann hat das Konsequenzen für das gesamte Leben.

Exzessives Computerspielen kann Suchtgedächtnis hervorrufen

Die Ursachen sind vielschichtig und unterschiedlich, doch es gibt auch Gemeinsamkeiten. Experten gehen davon aus, dass es einen gemeinsamen neurophysiologischen Hintergrund gibt. Eine ganze Reihe neuer Ergebnisse aus der Hirnforschung zeigen, dass sich diese Süchte stark im Störungsbild ähneln. Suchterkrankungen, so Wölfling, sind Veränderungen des Belohnungssystems, die mit einer gestörten Gefühlsregulation einher gehen. Auf die klassische Konditionierung (drogen-assoziierte Reize) folgt die operante Konditionierung (verhaltensverstärkendes dopaminerges Belohnungssystem). Das Gedächtnis wiederum reagiert auf belohnungsanzeigende Reize. Das Suchtgedächtnis entsteht durch die Erinnerung an die positive Emotion.

Welchen Einfluss hat ein intensiver Medienkonsum auf die Gehirnentwicklung im Jugendalter? Dass exzessives Computerspielen ein spezifisches Suchtgedächtnis hervorrufen kann zeigt eine Studie von Wölfling et al. (Thalemann, Wölfling & Grüsser. Behav Neuroscie, 2007). Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es zwei Pole: "Spielen macht klug" versus "Der Computer macht uns dumm" – Thesen wie sie z.B. der Hirnforscher Manfred Spitzer vertritt, der auch den Begriff der "digitalen Demenz" geprägt hat.

Ist es berechtigt, Internetsucht als psychische Krankheit anzuerkennen? Aus Sicht von Dr. Wölfling ist es das. Wer braucht eine digitale Auszeit? Wölfling berichtet von einem 17-jährigen, der nur noch am Computer sitze, im März die Schule abgebrochen habe, das Haus nicht mehr verlasse (nur noch zu den wichtigsten Arztterminen) und mittlerweile 150 kg wiege. Schaut man sich das Problembewusstsein von Jugendlichen an, die ein solches Verhalten zeigen, ist eine Tendenz zur Bagatellisierung häufig. Wölfling berichtet auch von Handgelenksverletzungen aufgrund der Dauernutzung von Joysticks. Für die Betroffenen scheinen diese Verletzungen aber nur dahingehend relevant (und behandlungsbedürftig) zu sein, dass sie durch diese nicht so viel spielen könnten "wie ich müsste, um richtig gut zu werden" - so eine Aussage.

Kontrollverlust und Suchtverlangen können auch wieder verlernt werden

Wölfling macht aber auch deutlich, dass typische Symptome der Störung wie Kontrollverlust, unwiderstehliches Suchtverlangen oder emotionsregulative Aspekte entsprechend eines biopsychosozialen Persönlichkeitsmodells auch wieder verlernt werden können. An diesem Punkt setzen kognitiv-behavioral ausgerichtete Psychotherapiemethoden an, die in der internationalen Literatur als vielversprechende Methode zur Behandlung der Internetsucht angesehen werden.

Die Ambulanz für Spielsucht in Mainz bietet:

Referenzen:
115. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft Kinder-und Jugendmedizin Kongresszentrum München 2019