Dualer Wirkmechanismus von Botulinumtoxin effektiv bei spastischem Syndrom nach Schlaganfall

In bis zu 40% der Fälle kommt es als Folge eines Schlaganfalls zum Auftreten von spastischen Bewegungsstörungen - das spiegelt sich in der aktuellen Versorgungssituation allerdings nicht wieder. Die Aufnahme der Therapie des spastischen Syndroms mittels Botulinumtoxin in die Leitlinien ist Experten zufolge längst überfällig.

Versorgungsproblematik bei spastischem Syndrom

In Deutschland besteht weiterhin ein Versorgungsproblem bei spastischem Syndrom. Schramm begann seinen Vortrag damit, das Auditorium auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Der Schlaganfall ist einer der häufigsten Ursachen für eine Behinderung in Deutschland. Bei rund 65.000 der betroffenen Personen lag ein wiederholter Schlaganfall vor. Zu diesen gesellen sich jährlich etwa 200.000 neue Schlaganfallpatienten hinzu. Pro Jahr sind das 100.000 neue Patienten mit einem spastischen Syndrom nach Schlaganfall. Diese Zahlen werden sich epidemiologischen Schätzungen zufolge bis 2050 verdoppeln.2,3

Epidemiologische Kennzahlen in der Neurologie

In seinem Vortrag informierte Schramm das Auditorium über wichtige epidemiologische Kennzahlen in der Neurologie. Der Schlaganfall mit Spastik ist die am häufigsten vorkommende neurologische Erkrankung in der Praxis:

Schramm betonte in seinem Vortrag, dass trotz der hohen Prävalenz des Schlaganfalls mit Spastik im klinischen Alltag andere, seltener vorkommende Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit bekommen würden. Schramm betitelte die aktuelle Versorgungslage des Schlaganfalls mit Spastik als skandalös.2

Die Folgen der Spastizität nach Apoplex

Schramm stellte dem Auditorium die Folgen der Spastizität vor. Hier zählten folgende Punkte: 

Das Wahrnehmungsproblem des spastischen im klinischen Alltag

In seinem Vortrag betonte Schramm, dass es aktuell im klinischen Alltag ein Wahrnehmungsproblem des spastischen Syndroms nach Schlaganfall gäben würde. Beim Wernicke-Mann-Gangbild würden Schramm zufolge viele Ärzte an den Schlaganfall denken, obwohl das spastische Syndrom für die Symptomatik ausschlaggebend sei. Diese Ganganomalie ist charakterisiert durch das halbkreisförmige und seitliche Ausscheren des Beins bei Vorwärtsbewegung. Der Patient ist nicht in der Lage, eine Flexion des betroffenen Beins auszuführen. Es liegt eine Armspastik und eine Streckspastik des Beins als Folge der zerebralen Läsion vor. Schramm zufolge würde dieses Wahrnehmungsproblem dazu führen, dass das spastische Syndrom als ,,Gott gegeben“ angesehen werden würde. Das spastische Syndrom sollte in den Fokus der Ärzte gelangen. Schramm betonte, dass es essentiell sei, dass den Ärzten klar werde, dass es sich hierbei um eine potentiell behandelbare Erkrankung handeln würde.2

Aktuelle Probleme in der medikamentösen Therapie der Spastizität

Zur Therapie der Spastizität werden Schramm zufolge folgende Medikamente eingesetzt: Der GABA-B-Agonist Baclofen, der Alpha-2-Agonist Tizanidin, das zentral wirksame Muskelrelaxanz Tolperison und das myotrope Muskelrelaxanz Dantrolen. Die Behandlung des spastischen Syndroms nach Apoplex mit diesen Therapeutika brächte jedoch einige Probleme mit sich. GABA würde Schramme zufolge zu einer Reduktion der Plastizität in der Schlaganfall-REHA führen. Eine Tonusreduktion durch Muskelrelaxanzien könnte mit einer Gehverschlechterung einhergehen. Die generalisierte Wirkung einiger Medikamente könnte in einer Sedierung resultieren. Schramme berichtete, dass er nach dem Einsatz von Botulinumtoxin und dem Absetzen von Baclofen eine Verbesserung der Lebensqualität der Patienten beobachten könnte. Nach Schlaganfall leide ein Teil der Patienten unter Depression, kognitiver Störung, Antriebslosigkeit und Müdigkeit. Die medikamentöse Versorgung der Patienten mit Baclofen könnte die Symptomatik verstärken. Zu den Nebenwirkungen von Baclofen zählen Sedation, Schläfrigkeit, Depression und Müdigkeit.2,5

Dualer Mechanismus von Botulinumtoxin bei spastischem Syndrom nach Schlaganfall

Schramm informierte die Zuhörerschaft in seinem Vortrag über den Typ A Wirkmechanismus von Botulinumtoxin. Botulinumtoxin besitzt Schramm zufolge einen smarten, dualen Mechanismus: Zum einen kommt es zu einer Blockierung der neuromuskulären Übertragung. Zum anderen wirkt es auch auf die Muskelspindeln. Hier kommt es zu einer Inhibition des afferenten Reflexbogens. Schramm betonte, dass Botulinumtoxin damit nicht nur auf den efferenten, sondern auch den afferenten Schenkel des Reflexbogens wirken würde. Das Wirkungsprofil von Botulinumtoxin beschrieb Schramm wie folge: Nach Injektion dauert es einige Tage bis zum Wirkeintritt, die Wirkung hält jedoch für einige Monate an. Sobald der Patient subjektiv ein Nachlassen der Wirkung wahrnimmt, sollte Schramm zufolge eine erneute Injektion erfolgen.2

Primäre Behandlungsziele bei Spastizität nach Apoplex

Schramm stellte wissenschaftliche Daten zur Behandlung des spastischen Syndroms mit Botulinumtoxin vor. Verglichen wurde die Behandlung mittels Botulinumtoxin mit einem Placebo. Botulinumtoxin konnte in der Woche 1,4 und 12  nach Injektion den Muskeltonus bei Armspastik signifikant reduzieren. Schramm betonte, dass es bei der Behandlung von Patienten mit Spastizität nach Apoplex wichtig sei primäre Behandlungsziele auszumachen. In Beobachtungsstudien konnten mittels Botulinumtoxin 80 % der primären Behandlungsziele erreicht werden.4

Zu den primären Behandlungsziele bei Spastizität nach Apoplex gehören u.a.:

Schramm ging zum Schluss seines Vortrages auf die Patientenzufriedenheit ein. Zum Wirksamkeitspeak waren rund 70 % der Patienten mit der Therapie der Spastizität nach Apoplex durch Botulinumtoxin-Injektionen zufrieden.2

Fazit für die Praxis

Mehr News zu neurologischen Erkrankungen finden Sie in unserer Berichterstattung zum DGN-Kongress 2022.

Referenzen:

1. Röbges, Michael, Prof. Dr. med., Rehabilitation – Was ist modern und was evidenzbasiert, Nach der Revolution der akuten Schlaganfall-Behandlung -  Wo bleibt der Quantensprung in der Versorgung der chronischen Phase?, CityCube Berlin + digital, Neurowoche 2.11.2022, 8:30-10:00 Uhr.

2. Schramm, Axel, Dr. med., SMART Konzept – Botulinumtoxin zur Therapie des spastisches Syndroms, Nach der Revolution der akuten Schlaganfall-Behandlung - Wo bleibt der Quantensprung in der Versorgung der chronischen Phase?, CityCube Berlin + digital, Neurowoche 2.11.2022, 8:30-10:00 Uhr.

3. Wissel et al. Neurology. 2018; 80; S13.

4. Zorowitz et al. Neurology. 2013; 80; S45.

5. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Baclofen_1302#Wirkmechanismus