- Thimm, Andreas (Recklinghausen). Vortrag: Kann es ATTR-Amyloidose sein? Sitzung: Alnylam: RNA-Interferenz – Angekommen in der Neurologie? Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) 2025, Berlin, 12.11.2025.
Systemische Amyloidosen sind Erkrankungen, bei denen unlösliche Protein-Fibrillen (Amyloid) extrazellulär im Gewebe abgelagert werden. Eine seltene Form ist die Transthyretin-Amyloidose (ATTR), bei der Transthyretin selbst als Amyloidfibrille ins gelangt.
Man unterscheidet zwei Subtypen: Die häufigere Wildtyp-Form (ATTRwt) betrifft meist ältere und äußert sich primär in einer Kardiomyopathie. Sie entsteht ohne genetische Mutation. Seltener ist die hereditäre Variante ATTRv, die auf einer Mutation im Transthyretin-Gen beruht. Diese Form kann ebenfalls das Herz betreffen, ist aber typischerweise durch eine rasch fortschreitende sensomotorische Polyneuropathie gekennzeichnet.
Pathophysiologisch liegt der ATTRv-Amyloidose eine Destabilisierung des Transthyretin-Tetramers zugrunde. Das in der Leber gebildete Transportprotein zerfällt in instabile Monomere, die zu fehlgefalteten Fibrillen aggregieren. Diese lagern sich bevorzugt in Myokard und ab – mit entsprechender Organmanifestation.
Die ATTRv-Amyloidose wird autosomal-dominant vererbt und kann sich zwischen dem 20. und 80. Lebensjahr manifestieren. Für Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf 100 bis 200 geschätzt – ein klassisches „Zebra“ unter den Differenzialdiagnosen.
Bei rasch progredienter, symmetrischer sensomotorischer Polyneuropathie sollten folgende Konstellationen („Red Flags“) den Verdacht auf ATTRv wecken:
Wichtig: Auch ohne Red Flags sollte ATTRv differenzialdiagnostisch mitgedacht werden – insbesondere bei unklaren oder atypischen Verläufen. Besonders relevant ist dies bei Patienten mit vermeintlich chronisch inflammatorischer demyelinisierender (CIDP), die nicht auf eine Immuntherapie anspricht – laut Thimm die häufigste Fehldiagnose bei ATTRv.
Die Diagnose lässt sich zuverlässig durch eine molekulargenetische Untersuchung des Transthyretin-Gens stellen. Biopsien gelten hingegen als wenig sensitiv, da sich Amyloid oft diskontinuierlich und eher proximal ablagert. Ein negativer Befund schließt die Erkrankung daher nicht aus.
Unbehandelt verläuft die ATTRv-Amyloidose meist innerhalb von 7 bis 12 Jahren tödlich. Bis in die 1990er-Jahre galt die Lebertransplantation als einzige Therapieoption. Seither hat sich das Spektrum deutlich erweitert.
Mit Tafamidis wurde 2011 erstmals ein Tetramerstabilisator zugelassen, der den Krankheitsverlauf im Frühstadium verlangsamen kann. Inzwischen stehen mehrere krankheitsmodifizierende zur Verfügung, die auf small interfering RNA (siRNA) oder Antisense-Oligonukleotiden (ASO) basieren:
Alle RNA-basierten Substanzen (RNA-Silencer) greifen früher in die Amyloidogenese ein als Tafamidis, indem sie die Transthyretin-mRNA abbauen und so die Proteinproduktion in der Leber unterdrücken.
Wie sich die Therapie in der Praxis bewährt, zeigte der Referent anhand von Studiendaten zu Vutrisiran, dem jüngsten siRNA-basierten Wirkstoff zur Behandlung der ATTRv-Amyloidose. Präsentiert wurden Ergebnisse aus der zulassungsrelevanten HELIOS-A-Studie (18 Monate), der Verlängerungsphase (RTE) mit bis zu 42 Monaten Nachbeobachtung sowie einer gepoolten Sicherheitsanalyse.
In HELIOS-A zeigte sich:
In der RTE-Phase erhielten alle Patienten Vutrisiran – 25 mg s.c. alle 3 Monate oder 50 mg alle 6 Monate:
Die gepoolte Sicherheitsanalyse (über 700 Patienten, ca. 1.500 Patientenjahre) bestätigte ein günstiges Profil für Vutrisiran. Die Rate schwerwiegender Nebenwirkungen – einschließlich , hepatischer, renaler und Ereignisse – war unter Vutrisiran niedriger als in den Placebo-Gruppen.
Die hereditäre ATTRv-Amyloidose ist selten, aber behandelbar – vorausgesetzt, sie wird erkannt. Besonders bei progredienten Poly ohne klare Ursache sollte sie differenzialdiagnostisch erwogen werden – auch ohne klassische Red Flags.
Die genetische Diagnostik ist einfach durchführbar und mit den modernen RNA-Silencern steht eine effiziente Therapie zur Verfügung. Entscheidend ist: Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser sind die Behandlungsmöglichkeiten.