- Enax-Krumova, Elena (Bochum); Maihöfner, Christian (Fürth); Krämer-Best, Heidrun (Gießen). Vortragsreihe: Schmerz. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) 2025, Berlin, 12.11.2025.
Schmerzen sind ein häufig auftretendes Symptom, die für neuropathische Schmerzen liegt in Deutschland bei ca. 6.5%. Oft gehen diese mit Komorbiditäten einher - Daten zeigen, dass vor allem affektive Störungen, Schlafstörungen und Angststörungen häufig im Zusammenhang neuropathischer Schmerzen auftreten, die in der Therapie entsprechend mitgedacht werden sollten.
Die etablierte Unterscheidung zwischen nozizeptiven (durch Aktivierung von Nozizeptoren/Gewebeschädigung bei intaktem ) und neuropathischen Schmerzen (Folge einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems) wurde in den letzten Jahren um die Kategorie der noziplastischen Schmerzen erweitert.
Noziplastische Schmerzen liegen vor, wenn weder eine Läsion im peripheren Gewebe noch eine Schädigung des somatosensorischen Nervensystems nachweisbar ist. Hier wird von einer veränderten Schmerzweiterleitung oder Schmerzverarbeitung ausgegangen. Klinische Beispiele sind die und Schmerzsyndrome bei Post-Covid-Patienten.
Die Grundlagenforschung liefert zunehmend Einblicke in die molekularen Mechanismen neuropathischer Schmerzen. Bei anhaltenden brennenden Schmerzen konnte in Hautbiopsien von Patienten mit diabetischer Polyneuropathie eine erhöhte Dichte von TRPV1-Rezeptoren nachgewiesen werden (doi: 10.1097/j.pain.0000000000003541). Diese Rezeptoren, die beispielsweise auch beim Verzehr von Chili das brennende Gefühl im Mund vermitteln, spielen eine zentrale Rolle bei der Schmerzverarbeitung. Therapien, die auf diese Rezeptoren abzielen (z.B. Capsaicin), könnten daher bei diesem Schmerzphänotyp besonders wirksam sein.
Auf Ebene des ZNS zeigt sich bei neuropathischen Schmerzen eine kortikale Ausdünnung, die in bestimmten Hirnarealen sogar mit der korreliert. Die klinische Relevanz dieser Beobachtungen und mögliche therapeutische Konsequenzen müssen in weiteren Studien untersucht werden.
Um eine gezielte Therapie auswählen zu können, ist eine möglichst genaue Phänotypisierung des Patienten über Fragebögen und sensorische Profile ein entscheidender Schritt. Eine aktuelle Studie (doi: 10.1097/j.pain.0000000000003718) erarbeitete zu sensorischen Phänotypen die passenden therapeutischen Optionen heraus. Die Ergebnisse sollen verstärkt in die Leitlinien integriert werden.
Bei der Schmerzcharakterisierung ist die Unterscheidung zwischen evozierten und spontanen Schmerzen diagnostisch und therapeutisch relevant. Eine frühzeitige, detaillierte Anamnese bereits in der kann die nachfolgende Schmerzentwicklung sowie die Therapieplanung maßgeblich beeinflussen.
Für die Therapieentscheidung bei neuropathischen Schmerzen gilt weiterhin der bekannte Leitfaden zur stufenweisen Diagnostik:
| Stufe | Erscheinungsbild |
|---|---|
| Mögliche neuropathische Schmerzen | Anamnestisch liegt eine neuroanatomisch plausible Erklärung zur Schmerzausbreitung oder Läsion/Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems vor. |
| Wahrscheinliche neuropathische Schmerzen | Das o.g. Bild bestätigt sich in der Sensibilitätsprüfung. |
| Gesicherte neuropathische Schmerzen | Bestätigung des klinischen Bildes auch in der apparativen Diagnostik (z.B. Elektrophysiologie, Hautbiopsie). |
Bei der Diagnostik sollte auch auf die Lokalisation der Schmerzen in Relation zur zugrundeliegenden Läsion geachtet werden. Zentrale neuropathische Schmerzen manifestieren sich entsprechend der Läsionslokalisation – klassischerweise bei als Hemisyndrom, bei Querschnittslähmung unterhalb des Verletzungsniveaus (wobei hier auch Mischbilder mit nozizeptiven Schmerzen auftreten können) und bei Multipler Sklerose ebenfalls häufig entsprechend der Läsion.
Der Therapiestandard der S2k-Leitlinie (2019) sieht trizyklische Antidepressiva, Duloxetin (bei diabetischer Neuropathie) und Gabapentinoide (Pregabalin, Gabapentin) als Erstlinientherapie vor. Zweitlinie sind die topischen Medikamente Capsaicin (für periphere neuropathische Schmerzen) und das Lidocain-Hydrogel (für Schmerzen nach ; Postherpetische Neuralgie, PHN). Botulinumtoxin und Opioide gehören der Drittlinie an. Für Natriumkanalblocker, Lamotrigin und Cannabinoide liegen aktuell noch nicht genügend evidenzbasierte Daten vor. Bei Trigeminusneuralgie wäre Oxcarbazepin allerdings die erste Wahl; Lamotrigin und Lacosamid werden bei zentralen neuropathischen Schmerzen eingesetzt.
Zur Medikation nach Leitlinie ist jedoch auch zu sagen: Mirogabalin ist aktuell nicht auf dem deutschen Markt verfügbar, Venlafaxine ist für die Behandlung des neuropathischen Schmerzes nicht zugelassen und Lidocain-Hydrogel ist on-label nur für die PHN zugelassen.
Für Pregabalin (PGB) zeigen jüngere Meta-Analysen eine suboptimale Wirksamkeit (NNT 8,9). In Phase-4-Studien zeigt sich oft ein sub-optimaler Einsatz von PGB. Bei Patienten mit Angst und/oder Schlafstörungen lassen sich diese Komorbiditäten allerdings durch Gabe von PGB gut adressieren. Da es renal eliminiert wird, ist bei Patienten mit Niereninsuffizienz Vorsicht geboten. Beim Abbau entstehen keine hepatischen Metabolisierungen, d.h. bei Patienten mit einer könnte PGB eine gute Option darstellen. Zu Beginn sollte für PGB ein asymmetrisches Dosisregime angewendet werden, z.B. initial am Abend zunächst 50 mg, bei älteren Patienten oder gebrechlichen Patienten (frailty) sollte mit einer Initialdosis von 25 mg am Abend begonnen und dann langsam aufdosiert werden. Sollte nach zwei Wochen Therapie kein Ansprechen erfolgen, kann über das Absetzen des Medikaments nachgedacht werden – in diesem Fall sollte ein Ausschleichen über eine Woche erfolgen.
Die seit letztem Jahr verfügbare retardierte Form (Einmalgabe abends) hat in Studien gute Wirksamkeit bei diabetischer Polyneuropathie (DPN), PHN und nach Rückenmarksverletzung gezeigt. Der Einsatz ermöglicht durch den Zeitpunkt der Einnahme das „Verschlafen von “. Patienten, die aus Adhärenzgründen auf eine einmalige Dosis wechseln möchten oder Nebenwirkungen verringern möchten, könnten ebenfalls profitieren. Eine mögliche Option bietet es auch Patienten, die nicht auf PGB ansprechen.
Eine Studie zur Therapieadhärenz bei diabetischer Polyneuropathie (Duloxetin, PGB, Gabapentin) konnte zeigen, dass 30% der Patienten nach einem Monat und 70% nach einem Jahr aus der Therapie aussteigen. Die häufigsten Gründe sind fehlende Wirksamkeit sowie Nebenwirkungen der Medikamente. Lösungen bieten möglicherweise topische Therapien.
Topisches Capsaicin führt bei diabetischer Neuropathie nach Auftragung um das Punctum Maximum über 30–60 Minuten zu einer Schmerzreduktion für 12 Wochen. Nach der Capsaicin-Behandlung zeigt sich auch die Nervenfaserdichte erhöht. Interessanterweise können 50 % der Patienten, die initial als Non-Responder gelten, durch wiederholte Capsaicin-Behandlung zu Respondern werden. Dies könnte durch das Resprouting der Nervenfasern erklärt werden.
Ein systematisches Review (doi: 10.1016/S1474-4422(25)00068-7) sprach eine Gegenempfehlung zur Verwendung von Cannabinoiden aus, da die Ergebnisse von 16 randomisierten, kontrollierten Studien keinen Gesamteffekt zeigten. Eine kontrastierende Phase-3-Studie bei chronischen neuropathischen legt jedoch einen möglichen Nutzen nahe, auch wenn die Klassifikation der neuropathischen Schmerzen hier kritisiert wurde. Die Anwendung von Cannabinoiden kann in bestimmten Fällen sinnvoll sein, langfristig müssen weitere klinische Studien die Datenlage klären.
Zukünftige Hoffnungsträger sind selektive Blocker spannungsabhängiger Natriumkanäle, von besonderem Interesse sind derzeit Nav1.7 und Nav1.8. Der Natriumkanalblocker Suzetrigine ist in den USA bereits für die postoperative Schmerztherapie zugelassen.
Schmerz ist ein komplexes Phänomen und vor allen Dingen ein biopsychosoziales Konstrukt. Insbesondere bei Unwirksamkeit oraler oder topischer Präparate sollten psychosoziale Hintergründe beleuchtet werden. Die Rolle als Behandler im Umgang mit ist essenziell (doiI: 10.1097/PR9.0000000000001142). Eine authentische, empathische Kommunikation, das Erfassen von Patientenerwartungen und die verständliche Erläuterung von Krankheit und Therapie sind entscheidend für die Erhöhung der Compliance. Die Abfrage vorheriger Behandlungserfahrungen, das Ausrichten und gemeinsame Erarbeiten auf ein gewünschtes Ergebnis und ein ausreichendes Angebot zum Umgang mit Nebenwirkungen fördern Vertrauen.