"Datenschutz ist nur etwas für gesunde Patienten"

Auf dem DKOU 2018 wurde die "Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung" gegründet. Über die Anfänge und Zielsetzungen sprach esanum mit dem Co-Vorsitzenden PD Dr. med. Dominik Pförringer vom Klinikum rechts der Isar.

Interview zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung

Digitalisierung wird die Form der Gesundheitsdienstleistungen grundlegend verändern. Mediziner haben die Aufgabe, sich selbst um die Gestaltung dieses Veränderungsprozesses zu kümmern und dies keinen multinationalen Giganten zu überlassen. So wurde auf dem DKOU 2018 offiziell die "Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung" gegründet. Über die Anfänge und Zielsetzungen sprach esanum auf dem Kongress mit dem Co-Vorsitzenden PD Dr. med. Dominik Pförringer vom Klinikum rechts der Isar.

esanum: Herr Dr. Pförringer, Sie trommeln seit Jahren für die konsequente Nutzung der Daten für die Gesundheit. Wie hat sich in dieser Phase die Einstellung von Patienten und Ärzten zum Thema geändert?

Pförringer: Da ist auf jeden Fall positive Bewegung drin. Das Misstrauen schwindet. Das Vertrauen wächst. In Kürze beschreibt es folgender schöner Satz: Datenschutz ist nur etwas für gesunde Patienten. Die meisten haben jetzt begriffen, dass sie, wenn sie eine schwerwiegende Erkrankung haben, die man typisieren und in Daten aufschlüsseln kann, alles tun würden, um diese Daten global zu teilen, um die beste Therapieformen zu finden. 

esanum: Bleiben wir beim Thema der DGOU. Wo sehen Sie da den konkreten Nutzen?

Pförringer: Ein Beispiel: das Unternehmen Nanz medico, welches über die Gruppe ZAR (Zentrum für ambulante Rehabilitation) Rehabilitationsmaßnahmen anbietet. Sie ist vor geraumer Zeit eine Kooperation mit dem Start-up "Caspar" eingegangen, welches online Reha anbietet. Das ist für mich ein positives Beispiel der frühzeitigen Erkenntnis und des Vorausblickes auf den Markt. Gerade für etablierte Spieler ist diese extrem relevant und kann den Markt deutlich beeinflussen. Die Online-Rehabilitation stellt hier die Ergänzung der konventionellen Reha dar. Das heißt, die Digitalisierung ersetzt nicht die bisherigen Therapieformen, sondern ergänzt sie – macht sie damit auch effektiver und ortsungebunden verfügbar. Mit anderen Worten, die Reha kommt zum Patienten. Wenn wir das alle begreifen, dann wird die Digitalisierung deutlich an Fahrt aufnehmen, zunehmend das Vertrauen der Patienten gewinnen und weitere Protagonisten finden. Dieser Erfolg wird sich dann auch bei den therapeutischen Ergebnissen zeigen.

esanum: Wie ist denn diesbezüglich der Tenor der Diskussion auf dem DKOU?

Pförringer: Es geht ja auch viel um die Frage – und das ist speziell mein Thema: Stellt die Digitalisierung den Turbolader oder die Bremse für die Ökonomie dar? Da kann und muss man beide Seiten darstellen. Es werden auf der einen Seite Kosten entstehen, welche in die Digitalisierung investiert werden müssen. Das ist wie in der Chemie die Aktivierungsenergie. Da müssen wir Katalysatoren finden und sogenannte Early Adopters. Und dann können wir relativ schnell einen Benefit sehen. Es ist bei den Ärzten wie in jeder Gauß‘schen Verteilungskurve: Das Gros lässt es geschehen, ein Teil lehnt es radikal ab und ein Teil trabt voraus. Das sind die so genannten Early Adopters. Mein Ziel ist es, mehr Optimisten auf die Seite der Early Adopters zu holen.

esanum: Wie machen Sie das?

Pförringer: Positive Beispiele wie "Caspar go Reha" zeigen, dass moderne Methoden jetzt auch in die Vergütung hineinkommen. Denn so tickt der Mensch, wir Ärzte wollen in erster Linie unseren Patienten helfen, innovative Leistungen sollten jedoch auch adäquat vergütet werden. Und ich versuche, die Skepsis zu reduzieren. Das Gros der Menschen nimmt am Online-Banking teil, hat aber ein Problem, ihre Blutgruppe oder ihren Medikamentenplan online abzulegen. Das ist unlogisch. Wir müssen das Bewusstsein wecken, dass man der Allgemeinheit, anderen Kranken hilft, wenn man seine Daten teilt. Wenn ich das Blut und das Immunsystem des Patienten typisiere und dann schauen kann, welcher Patient welches Medikament, welches Implantat gut vertragen hat, kann ich ihm unter Umständen viel Aufwand, Erkrankung etc. ersparen, sowie mögliche Wiederholungsoperationen. Wenn ich schon im Vorfeld feststelle, dass jemand auf eine Therapie wahrscheinlich nicht gut ansprechen oder adverse Reaktionen zeigen wird, ist das sehr nützlich.

esanum: Wo stehen wir, sind die nötigen Investitionen in vollem Gang?

Pförringer: Wir versuchen in Deutschland, alles perfekt zu machen. Beispiel: elektronische Gesundheitsakte oder elektronische Gesundheitskarte. Das funktioniert alles noch nicht. In Estland sind 98 Prozent der medizinischen Prozesse durchdigitalisiert. Gut, Estland hat noch nicht einmal halb so viele Einwohner wie Berlin. Aber die trauen sich einfach, die setzen das Thema um. Möglicherweise ist es noch nicht perfekt, aber sie arbeiten jeden Tag daran. Wenn wir uns anschauen, was heutzutage in der Orthopädie technisch möglich ist - das wurde auch irgendwann primär relativ experimentell mit einem Stück Blech aus der orthopädischen Werkstatt initiiert. Und heute ist das moderne Technologie. So entsteht Fortschritt, man muss sich trauen, man muss es ausprobieren. Deutschland muss eine Fehlerkultur erlernen, um im Bereich Innovation reüssieren zu können.

esanum: Was wird nun auf diesem Kongress konkret in diese Richtung unternommen?

Pförringer: Wir haben hier am Donnerstag, den 25.10. 2018, die "Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung der DGOU" aus der Wiege gehoben. Damit haben wir eine offizielle Anlaufstelle, ein Gremium für dieses wichtige Thema geschaffen. Wir werden uns unter anderem mit Apps, mit Datenschutz, mit Datentransferkonzepten auseinandersetzen.

esanum: Sie sind Co-Vorsitzender. PD Dr. David Back aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin ist Vorsitzender. Wer macht sonst noch alles mit?

Pförringer: Wir durften erfreulicherweise über 50 Mitglieder aus ganz Deutschland sowie der Schweiz zur Inaugurationssitzung begrüßen. Wir werden uns ab sofort halbjährlich treffen. Zunächst werden wir Zuständigkeiten festlegen, Arbeitsgruppen bilden, um das große Thema sinnvoll aufzuteilen. Wie isst man einen Walfisch? Mit dem ersten Bissen. Wir müssen uns dem großen Thema Digitalisierung einfach mit dem ersten Bissen nähern. Es wird zum Beispiel eine Arbeitsgemeinschaft geben, die sich mit Mobile Health auseinandersetzt, mit Apps und Datenaustausch. Ein Arbeitskreis wird ein Weißbuch darüber schreiben, um das Thema generell zu definieren und zu gliedern.

esanum: Wann soll es fertig sein?

Pförringer: Das hängt von den Mitwirkenden ab, die erste Version wird in einem halben Jahr diskutiert werden.