Symbiose aus Kopf und Herz

Menschen ab 75 Jahren machen etwa ein Drittel der Herzinfarkt-Patienten aus, und mehr als die Hälfte von ihnen stirbt noch im Krankenhaus an den Folgen des Infarkts. Bisher war nicht bekannt, ob die mentale Verfassung die Prognose älterer Herzinfarktpatienten beeinflusst.

Kognitive Beeinträchtigung hat direkte Auswirkungen auf die Mortalität bei Herzerkrankungen

Die Risiken von Demenz, Alzheimer, Verwirrtheit und Delirium nehmen mit dem Alter zu. Ältere Menschen haben auch ein viel höheres Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden. Menschen ab 75 Jahren machen etwa ein Drittel der Herzinfarkt-Patienten aus, und mehr als die Hälfte von ihnen stirbt noch im Krankenhaus an den Folgen des Infarkts. Bisher war nicht bekannt, ob die mentale Verfassung die Prognose älterer Herzinfarktpatienten beeinflusst. Auf dem ESC 2018 in München wurden nun drei aktuelle Studien vorgestellt, die belegen, dass die mentale Verfassung älterer Patienten mit koronaren Erkrankungen offenbar wichtiger für das Krankheitsbild ist, als zuvor angenommen. Die Ergebnisse führen zu der Empfehlung, die kognitive Wahrnehmung ab einem bestimmten Alter grundsätzlich zu testen, um ein effektives Behandlungsmanagement betreiben zu können. 

Unerkannte Hirnschäden bei Patienten mit Vorhofflimmern

Die Schweizer Atrial-Fibrillation-Kohortenstudie (Swiss-AF) untersuchte Patienten mit Vorhofflimmern auf bisher unbekannte Hirnschäden und fand, das vier von zehn Patienten betroffen waren. Patienten mit Vorhofflimmern haben ein signifikant erhöhtes Schlaganfallrisiko, weshalb die meisten mit Blutverdünnern (orale Antikoagulation) behandelt werden. Das erhöhte Schlaganfallrisiko ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass die Patienten auch ein erhöhtes Risiko für kognitive Dysfunktion und Demenz haben. Die Beziehung zwischen Vorhofflimmern und Demenz wurde jedoch auch bei Patienten ohne vorherige Schlaganfälle gezeigt, was bedeutet, dass zusätzliche Mechanismen beteiligt sein müssen. Die prospektive Beobachtungsstudie zielte darauf ab, eben diese Mechanismen des kognitiven Verfalls bei Patienten mit Vorhofflimmern aufzuzeigen und die Häufigkeit von stillen Hirnschäden zu messen.

In die Studie wurden zwischen 2014 und 2017 2.415 Patienten über 65 Jahre mit Vorhofflimmern aus 14 Zentren in der Schweiz aufgenommen. Alle Patienten ohne Kontraindikationen erhielten eine standardisierte Magnetresonanztomographie des Gehirns. Die Bilder wurden anschließend in einem zentralen Kernlabor analysiert. Die abschließende Analyse umfasste 1.389 Patienten mit Vorhofflimmern, ohne eine Vorgeschichte von Schlaganfällen oder transitorischen ischämischen Attacken. 

Hierbei kam heraus, dass vier von zehn Patienten mit Vorhofflimmern klinisch unerkannte Hirnläsionen hatten, die für den kognitiven Verfall verantwortlich sein könnten. Diese Daten werden nun weiter analysiert, um zu sehen, ob Patienten mit stillen Hirnläsionen auch eine beeinträchtigte kognitive Funktion haben. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass klinisch unerkannte Hirnschäden den Zusammenhang zwischen Demenz und Vorhofflimmern bei Patienten ohne Schlaganfall erklären können", sagte Co-Principal Investigator Professor David Conen von der McMaster University, Hamilton, Kanada.
 

Psychische Verfassung von Patienten nach erstem Herzinfarkt testen

In dieser Studie von Beygui et al (2018) aus Frankreich wurde der Einfluss der mentalen Verfassung auf das Sterberisiko bei 600 Patienten im Alter von >75 Jahren nach akutem Koronarsyndrom (ACS) untersucht.  Die psychische Verfassung wurde mit der Mini-Mental-State-Untersuchung (MMSE) und der Confusion-Assessment-Methode (CAM) beurteilt. Beide Tests werden routinemäßig für das Screening und die Beurteilung der Schwere von Demenz bzw. Verwirrtheit in klinischen und Forschungseinrichtungen eingesetzt

In der Analyse konnte bei 174 (29%) Patienten eine kognitive Beeinträchtigung festgestellt werden. Patienten mit eingeschränkter geistiger Funktionsfähigkeit waren ein Jahr nach ihrem Herzinfarkt mehr als doppelt so häufig tot wie Patienten mit einer gesunden mentalen Verfassung. Die geistige Verwirrtheit war auch mit einer fast vierfach höheren Rate an Blutungskomplikationen im Krankenhaus und einem mehr als zweifach höheren Risiko verbunden, innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung wieder mit kardiovaskulären Problemen in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden.

Die am Krankenbett vorgenommene Beurteilung des psychischen Zustandes nach der Einlieferung ermöglicht eine weitere Identifizierung von Risikopatienten in einer bereits hohen Risikopopulation und kann von Ärzten routinemäßig bei solchen Patienten in Erwägung gezogen werden. Weitere Studien würden benötigt, so der Studienautor Professor Farzin Beygui vom Caen University Hospital, um zu beurteilen, ob der Nachweis kognitiver Beeinträchtigungen und das anschließende spezifische Management zu einem verbesserten Ergebnis bei älteren ACS-Patienten führen könne. 

Routinetests bei Bluthochdruck-Patienten: Clock-Drawing

Die Heart-Brain-Studie aus Argentinien bewertete die Nützlichkeit des Clock-Drawing-Tests (nachfolgend Clock-Test) im Vergleich zur Mini-Mental-Status-Untersuchung (MMSE) zur Erkennung kognitiver Beeinträchtigungen bei 1.414 Erwachsenen mit durchschnittlich hohem Blutdruck, die aus 18 kardiologischen Zentren in Argentinien rekrutiert wurden. Der durchschnittliche Blutdruck betrug 144/84 mmHg, das Durchschnittsalter betrug 60 Jahre und 62% der Untersuchten waren Frauen.

Für den Clock-Test wurden die Teilnehmer gebeten, die Zahlen der Uhr in der richtigen Position innerhalb des Kreises zu schreiben und dann die Zeiger auf die Uhr zu ziehen, die die Zeit "zwanzig bis vier" anzeigen. Die Patienten wurden als normal, mittelschwer oder schwer kognitiv beeinträchtigt eingestuft. Der MMSE hat 11 Fragen und erzeugt einen Score von 30, der keine (24-30), leichte (18-23) oder schwere (0-17) kognitive Beeinträchtigungen anzeigt. Die Forscher fanden eine höhere Prävalenz der kognitiven Beeinträchtigung mit dem Uhrzeichentest (36%) im Vergleich zum MMSE-Test (21%). Drei von zehn Patienten, die einen normalen MMSE-Score aufwiesen, hatten ein anomales Clock-Testergebnis. Die Unterschiede in den Ergebnissen suggeriert, dass der Clock-Test gegenüber dem MMSE zur Früherkennung von exekutiven Funktionsstörungen bei Patienten mit Bluthochdruck bevorzugt werden sollte

"Die Fähigkeit, die Zahlen einer Uhr und einer bestimmten Zeit zu zeichnen, ist ein einfacher Weg, herauszufinden, ob ein Patient mit hohem Blutdruck eine kognitive Beeinträchtigung hat", sagte Studienautor Dr. Augusto Vicario von der Herz- und Hirnabteilung des Kardiovaskulären Instituts in Buenos Aires, Argentinien. Der Entwicklung einer Demenz könne so frühzeitig entgegenwirkt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als mehr als ein Drittel der Patienten gefährdet waren, eine Demenz zu entwickeln. Der Clock-Drawing-Test sollte als routinemäßiges Screening-Tool für den kognitiven Abbau bei Patienten mit Bluthochdruck eingesetzt werden. Weitere Studien sind notwendig, um zu bestimmen, ob eine Senkung des Blutdrucks eine Progression zur Demenz langfristig verhindern kann. 

Quellen:

European Cardiology Congress 2018: The press conference. The mind and the heart. Samstag, 25. August, 14:00-15:00, München.

European Cardiology Congress 2018: Abstract Session: Atrial Filbrillation – Detection, Treatment, Outcomes 11:54 – Prevalence of silent vascular brain lesions among patients with artrial fibrillation and no known hitsory of stroke. Sonntag, 26. August, München.

European Cardiology Congress 2018: Poster Session 3: Acute coronary syndrome outcome, Bedside mental status assessment as an independent correlate of mortality in elderly patients admitted for acute coronary syndromes, Bedside mental status assessment as an independent correlate of mortality in elderly patients admitted for acute coronary syndromes. Sonntag, 26. August, 14:00-18:00, Poster Area, München.

European Cardiology Congress 2018: Poster Session 5: Hypertension mediated organ damage, Utility of the clock drawing test as cognitive screening in patients with arterial hypertension. Montag 27. August, 14:00-18:00, Poster Area, München.