Über die Renaissance des intrinsischen Systems

Ultimatives Ziel der Antikoagulation ist es, das Thromboserisiko zu verringern ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen. Unter den NOACs gibt es zwar weniger intrakranielle Blutungen, dennoch liegen die jährlichen Major-Bleeding-Raten bei Patienten mit Vorhofflimmern noch immer bei 2 bis 3%.

Faktor XII und Faktor XI im Visier der antithrombotischen Therapie

Ultimatives Ziel der Antikoagulation ist es, das Thromboserisiko zu verringern ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen. Unter den NOACs gibt es zwar weniger intrakranielle Blutungen, dennoch liegen die jährlichen Major-Bleeding-Raten bei Patienten mit Vorhofflimmern noch immer bei 2 bis 3%. "Wir müssen das noch besser machen", betonte Prof. Dr. Jeff Weitz von der McMaster University in Hamilton, Kanada bei einem Symposium auf der GTH. Die Konsequenz aus Weitz' Sicht: Neue Zielbereiche für die Antikoagulation.

Am Ende sowohl der extrinsischen als auch der intrinsischen plasmatischen Gerinnungskaskade steht die Fibrinpolymerisation. Beide Systeme münden über die Bildung von Faktor Xl in die Thrombinbildung. Bislang zielte die Antikoagulation auf Faktor Xa oder Thrombin oder beides. Neue Zielpunkte setzen an der intrinsischen Gerinnungskaskade an und an Faktor XII oder Faktor XI.

Für Weitz ein zwingender Schritt, weil neue Initiatoren des intrinsischen Systems identifiziert wurden. Aus tierexperimentellen Studien gibt es Hinweise, dass bei Mäusen mit FXII oder FXI-Mangel die Thrombosebildung abgeschwächt war (Renné T, et al. J Exp Med 2005). Auch ist bekannt, dass FXII- oder FXI-Mangel minimale Veränderungen der Blutstillung bewirken. Von der Hemmung des intrinsischen Kontaktwegs verspricht man sich eine verminderte Thrombose ohne dass die Blutstillung signifikant beeinträchtigt wird.

Zu den Initiatoren des intrinsischen Kontaktwegs zählen Leukozyten, die NETs bilden, aktivierte oder beschädigte Zellen, die DNA und RNA freisetzen können und Plättchen, die inorganische Polyphosphate freisetzen. Das Zusammenspiel bewirkt die Aktivität von FXII, fördert die FXI-Aktivierung und die Plättchen-Aktivierung und führt zur Thrombose.

Fredenburgh, Gross und Weitz haben in Blood 2017 untersucht, welche relativen Vorteile und Nachteile Faktor XII und Faktor XI als Zielgebiete für neue Antikoagulanzien mit sich brächten:

Faktor XII

Faktor XI

Epidemiologische Daten schwach stärker
Blutungsrisiko keines gering
Evidenzgrad für die Rolle bei Thrombose präklinisch Phase-2
Potenzial zur Umgehung der Hemmung Thrombin-vermittelte Aktivierung des Faktors XI könnte die Hemmung des Faktors XII umgehen keine
Potenzial für Effekte auf den Zielbereich Kann die Entzündung modulieren, indem es die Bradykininbildung hemmt. unwahrscheinlich

Und sie stellen in ihrer Arbeit auch Strategien vor, die auf den Faktor XI abzielen:

Strategie

Wirkmechanismus

Antisense-Oligonukleotide verringern die hepatischen Synthese von FXI
Aptamere binden FXI  und blockieren die Aktivität
Antikörper Binden  FXI und blockieren die Aktivierung oder Aktivität
Kleine Moleküle Binden  reversibel an die aktive Seite von FXI und blockieren  die Aktivität
Polyanion-Antagonisten Neutralisieren Polyphosphate oder Nukleinsäuren durch ionische Wechselwirkungen, wodurch die Aktivierung der Kontaktwege gedämpft wird.

Darüber hinaus listen sie pharmakologische Charakteristika der von Faktor XI-geleiteten Strategien auf:

Merkmal Antisense-Oligonukleotide Antikörper Aptamere Kleine Moleküle
Lieferung Parenteral Parenteral Parenteral Parenteral oder oral
Wirkungseintritt verspätet sofort sofort sofort
Aufhebung der Wirkung verspätet verspätet schnell schnell
Renale Clearance nein nein nein variabel
potenzielle klinische Indikationen chronisch akut oder chronisch akut oder chronisch akut oder chronisch

Als mögliche Indikationen für Faktor-XI-orientierte Strategien nennen sie folgende Aspekte:

- Thromboseprophylaxe für medizinisch kranke Patienten
- Prävention von MACE bei Patienten mit CAD und/oder PAD
- Prävention von MACE bei Patienten mit schweren Nierenerkrankungen
- Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Blutungsrisiko
- Medizinische Geräte oder extrakorporale Kreisläufe

Eine Reduktion von Faktor XI beugt Thrombosen vor, ohne dass es zu Blutungen kommt. Mit FXIRx, einem Antisense-Oligonukleotid der zweiten Generation, das spezifisch die menschliche FXI-mRNA-Expression in der Leber reduziert, kann die FXI-Aktivität vielversprechend gesenkt werden. In einer Phase-1-Studie (Liu et al. Blood, 2011) zeigt sich noch dazu, dass Patienten, die mit Ionis-FXIRx. Behandelt wurden, im Vergleich mit Placebo keinen Anstieg spontaner Blutungen aufwiesen.

In einer Studie aus 2015 (Buller et al., NEJM) wurde Ionis-FXIRx  mit Enoxaparin (200 und 300 mg) verglichen und festgestellt: es bewirkt eine anhaltenden und dosisabhängige Verringerung der Faktor XI-Aktivität. Im Vergleich mit Enoxaparin (VTE-Inzidenz 30,4%) konnte Ionis-FXIRx  die VTE-Inzidenz auf 26,9% (unter 200 mg) und auf 4,2% (unter 300 mg) senken. Auch die Zahl klinisch relevanter Blutungen war unter Ionis-FXIRx  deutlich geringer als unter Enoxaparin: 2,8 bzw. 2,6% vs. 8,3%.

Auch in der Phase-2 Studie zu Ionis-FXIRx  zeigte sich eine statistisch signifikante, dosisabhängige Reduktion der Faktor XI-Aktivität. Das legt einen potenziellen antithrombotischen Effekt durch Ionis-FXIRx  nahe. Hinzu kommt: Therapiebedingte Major Bleedings oder klinische relevante Blutungen wurden nicht beobachtet.

Phase-2-Studien mit Faktor-XI-orientierten Strategien sind:

- FXIRx  ASO (Wirkmechanismus: verringert die FXI-Synthese)
- BAY 1213790 (Wirkmechanismus: auf FXIa gerichteter Antikörper)
- MAA868 (Wirkmechanismus: auf FXI gerichteter Antikörper)

Der Faktor XI entwickele sich zu einem vielversprechenden Ziel für neue Antikoagulanzien, konstatiert Weitz. Weitere Strategien, die auf FXI abzielen, sind in der Entwicklung.

Quelle:
Plenary Session: Renaissance of the contact system – a garget for antithrombotic treatment, 22. Februar 2018, GTH Wien.