Pflege auf dem Verdrängungsmarkt: Wie spricht man die Generation Z an?

Die Suche nach Pflegefachkräften treibt die gesamte Gesundheitsbranche um – vom Pflegeleiter bis zum Chefarzt.

Pflegekräfte werden händeringend gesucht

Die Suche nach Pflegefachkräften treibt die gesamte Gesundheitsbranche um – vom Pflegeleiter bis zum Chefarzt. So die Botschaft vom Hauptstadtkongress unter dem Motto: Medizin fit für die Zukunft? Wer den Referenten beim Symposium "Maßgeschneiderte Fachkräfte dingend gesucht" genau zuhört, bekommt berechtigte Zweifel.

Medizin ohne Pflege - undenkbar. Doch Nachwuchs beim Pflegepersonal scheint gerade eine Rarität zu werden. Auf die Generation Z, die derzeit noch an den Schulen lernt und demnächst ihre Berufsentscheidungen treffen wird, warten viele Optionen: Handwerk, Uni, Industrie und - medizinische Ausbildung. Die Medizinbranche muss sich tummeln, um junge Leute buhlen, an einem harten Verdrängungsmarkt ihre Chancen wahren.

Stefanie Bieberstein, stellvertretende Leiterin des Universitätsklinikums Freiburg fängt mit der Analyse der Pflegesituation beim Vorhandenen an: bei der Arbeitgeberattraktivität und der Personalbindung.

Viele Pflegekräfte auf der Suche nach besserer Arbeit

Eine Studie zur Fluktuation zeigt erhebliche Reserven auf: 28 Prozent der befragten Pflegekräfte gaben an: ich bin aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle. 21 Prozent denken darüber gerade nach. Und nur 12 Prozent planen keinen Wechsel.

Es wurden Kriterien identifiziert, die zum Bleiben oder Gehen führen: Arbeitsklima, Karrieremöglichkeiten, interessante Aufgaben, faire Vergütung. Alles Faktoren, auf die aktiv Einfluss genommen werden kann. Mittel der Wahl in Freiburg sind unter anderem: ein gut aufgestelltes Intranet, Benefits wie beispielsweise ein Job-Rad, regelmäßige Mitarbeitergespräche, gezielte Fortbildung. Es geht viel um gute Kommunikation, um ein Wir-Gefühl, um Achtsamkeit, erklärt Stefanie Bieberstein. Diese Bausteine zur Mitarbeiterbindung müssen durch Führungskräfte trainiert werden.

Bewerbermanagement gewinnt an Bedeutung

Ein anderes Feld ist ein besseres Bewerbermanagement. Hier schlägt Bieberstein Image-Filme für den Markt vor, bessere Stellenausschreibungen und ein neues Einarbeitungskonzept. Auch gut organisierte Praktika und ein Tag der Ausbildung sollen die Ausbildung künftig stärken. Erste Erfolge zeigen sich. Laut Befragungen sind die Konflikte mit Vorgesetzten als Grund für die Fluktuation zurückgegangen. Und die Zahl der Ausbildungsplätze an der Akademie für medizinische Berufe der Universitätsklinik Freiburg ist von 564 im Jahr 2014 auf 926 in diesem Jahr gestiegen.

Besseres Azubi-Management ist ein Stichwort, um das Pflegepersonal von morgen rechtzeitig zu rekrutieren. Detlef Friedrich von der Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH Bochum (contec) stellte dazu das Projekt  Care4future vor. Das Netzwerk will alle Beteiligten zusammenbringen: Schulen, Berufsfachschulen, Unternehmen der Gesundheitsbranche, Arbeitsagentur. Eine Idee hat besonders gut eigeschlagen: Berufsschüler begleiten interessierte Schülerinnen und Schüler bei ihren Berufspraktika. Das nutzt beiden Seiten – die Schüler können unbefangen alles fragen und bekommen Antworten auf Augenhöhe, während die Berufsschüler ihre eigene Kompetenz erleben können, was sie wiederum in der eigenen Berufsentscheidung stärkt. Eine Umfrage ergab, dass 62 Prozent der Befragten nach einem derart geführten Praktikum tatsächlich in Pflegberufe gegangen sind. Es geht, so Detlef Friederich, darum, an einem hart umkämpften Ausbildungsmarkt möglichst früh mit den Schülern in Kontakt zu kommen und sie für die Pflege zu begeistern. "Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft muss auf sich aufmerksam machen, sie steht in Konkurrenz mit Industrie und Handwerk."

Jugendliche müssen durch neue Medien angesprochen werden

Aber wie geht das bei heute 16-, 17jährigen, die kaum noch Zeitung lesen und gefühlt den halben Tag auf ihre Smartphones gucken? Die Ansprache dieser Klientel braucht logischerweise andere Kanäle als noch vor einigen Jahren. Die üblichen Stellenanzeigen erreichen sie kaum. Aufmerksamkeit wecken geht heute nur noch über die neuen Medien. Das Problem: Personaler von heute haben ihren Job noch in ganz anderen Zeit gelernt. Viele tun sich schwer mit den neuen Medien und ihrer selbstverständlichen Handhabung.

Daher müssen viele umdenken und dazulernen. Dr. Joachim Komorowski von Business Matters Management Consultants München erläutert, in welche Richtung es geht. Eigentlich kümmert sich seine Firma um Headhunting, hilft also unter anderem bei der Besetzung von Chefarzstellen. In jüngster Zeit werden er und seine Kollegen aber immer häufiger auf Pflegekräfte  und Assistenzärzte angesprochen, die dringlich gesucht werden.

Stellen müssen besser kommuniziert werden

Headhunter für Pfleger? Das Unternehmen hat sich Gedanken gemacht, wie die vielen offenen Stellen am Stellenmarkt besser kommuniziert werden können. Es geht um die Nutzung aller digitalen Kanäle: Xing, LinkedIn, Facebook, Twitter. Auch Apps, die ähnlich wie die Partnersuche auf Tinder funktionieren, sind im Entstehen.

Hier sind künftige Bewerber ansprechbar. Wer an die Generation Z heranwill, muss diese Instrumente souverän beherrschen. Und Fehler vermeiden: Plakative Aussagen wie "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt", verfangen ebenso wenig, wie wiederholtes Schalten erfolgloser Anzeigen. Langsame Reaktion auf Bewerbungen schrecken ab. Schlechte Vorbereitung auf Bewerber-Interviews und unangemessenes Verhalten von Führungskräften kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten.

Von der Insel der Seligen scheint Rainer Manske zu kommen. Er ist Pflegedirektor im Unfallkrankenhais Berlin und berichtet ganz bodenständig, warum er derzeit keinen Personalmangel kennt. Auf zuletzt sechs Ausbildungsplätze gab es 170 Bewerbungen. Warum? Das Unfallkrankenhaus ist offenbar ein besonders toller Arbeitsplatz. Hier kümmert man sich regelmäßig um das Image des Hauses. Die Mitarbeiter werden dazu befragt. Ihnen ist besonders wichtig: gute Teamarbeit, interessante Aufgaben, Fortbildung, passende Arbeitszeitmodelle. "Gutes Personalmarketing, kommt von innen", sagt Manske. "Eine gut geführte, gut aufgestellte Klinik wirbt mit sich selbst." Der Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen – das ist es, was überzeugt, so ist man auch attraktiv für junge Mitarbeiter.

Womit sich der Kreis schließt: Wer als Arbeitgeber Mitarbeitern etwas zu bieten hat, muss es unters Volk bringen, Bewerber gezielt auf sich aufmerksam machen. Auf dem Verdrängungsmarkt punkten. Und das mit allen modernen Mitteln. Es ist höchste Zeit: Untersuchungen prophezeien, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, werden im Jahr 2030 50 Prozent der Pflegstellen nicht mehr zu besetzen sein.