Bedeutung einer erfüllten Sexualität bis ans Lebensende

Zunehmende Komorbiditäten und mögliche maligne Erkrankungen und deren Therapien wirken im Alter zwar auf das Vermögen ein, Sexualität zu leben, doch das Grundbedürfnis nach Nähe, Zuwendung und sexuellem Erleben erlischt meist dennoch nicht.

Sexualität ist Lieben mit allen Sinnen. Das Grundbedürfnis, diese zu erleben, schwindet auch nicht im Alter und ist in der palliativen Situation zudem eine wichtige Stütze für die Paarbindung.

Sexualität hat eine erfüllende, stabilisierende, schmerzstillende und auch vitalisierende Funktion. Sie prägt die Menschen ein Leben lang und ist dabei keineswegs starr, sondern ändert sich, reift und entwickelt sich weiter. Leben ist ohne Sexualität einfach nicht vorstellbar – sowohl auf der reproduktiven als auch auf der zwischenmenschlichen Ebene. Zunehmende Komorbiditäten und mögliche maligne Erkrankungen und deren Therapien wirken im Alter zwar auf das Vermögen ein, Sexualität zu leben, doch das Grundbedürfnis nach Nähe, Zuwendung und sexuellem Erleben erlischt meist dennoch nicht.

Sexualität beinhaltet eine beziehungsorientierte, eine reproduktive sowie eine lustvolle Dimension. Sie ist ein zeitloser Aspekt menschlichen Zusammenlebens und dabei so individuell wie der Mensch selbst. Und dennoch, trotz eines medialen Überangebotes an Sexualität bleibt diese noch immer ein gesellschaftliches Tabuthema.

Dabei ist es sehr wichtig, Sexualität ebenso mit den Patienten frühzeitig zu thematisieren. Denn: Sex stabilisiert die Partnerschaft, erhöht die emotionale Intimität, aktiviert das Immunsystem und kann sogar das Schmerzempfinden reduzieren.

Sexualität bei Erkrankungen im Alter

Wie bereits zuvor gesagt, spielt die Sexualität im Alter noch immer eine Rolle. Nähe, Geborgenheit und Lust bestehen fort, wenn auch eine Penetration nicht mehr unbedingt im Vordergrund steht. Ältere Menschen sind zudem oft komorbide, was die Funktionalität bei beiden Geschlechtern zusätzlich einschränkt.

Die schwerwiegendste Diagnose jedoch ist und bleibt eine maligne Raumforderung. Die Diagnose Krebs fördert Angst und Verzweiflung sowie Hoffnung und Glaube. An allererster Stelle steht für Patient und Partner nun das Überleben, später dann vielleicht auch wieder die Sexualität.

Die Betroffenen fühlen sich ausgeliefert und beinahe so, als würden sie nicht mehr funktionieren. Behandlungsbedingt kann es zudem zu Veränderungen kommen, z. B. zu sexuellen Funktionsstörungen, beim Mann am häufigsten die erektile Dysfunktion, sowie Libidoverlust, aber ebenso zu Berührungsängsten nach Mastektomie oder postoperativer Stomabildung. In der Folge werden die Betroffenen depressiv, leiden unter sexuellen Versagensängsten worunter letztlich die gesamte Beziehung leidet. Nicht selten ist bei Tumorpatienten auch eine Dissoziation von "Ich" und Köper zu beobachten, d. h. der Körper wird nicht mehr als Teil der eigenen Person wahrgenommen.

Wie kann diesen Patientinnen und Patienten geholfen werden?

Gerade deshalb, weil Sexualität im Allgemeinen, aber besonders im Alter und auch im palliativen Setting ein großes Tabu ist, wird das Bedürfnis nach Nähe und Partnerschaft nicht angesprochen. Dabei ist aus Umfragen und Studien bekannt, dass das Thema Patientinnen und Patienten bis ans Lebensende beschäftigt. Sie wünschen sich in der Mehrzahl sogar vom Arzt/der Ärztin darauf aktiv angesprochen zu werden.

Mit nur zwei einfachen Fragen öffnen Sie im Praxisalltag die Tür, um mit den betroffenen Menschen empathisch und vorurteilsfrei über das Thema Sexualität zu sprechen:

  1. Sind Sie mit Ihrer Sexualität zufrieden?
  2. Möchten Sie, dass sich etwas ändert?

Im weiteren Gesprächsverlauf können Sie dann auf offene Fragen umschwenken, sodass die Patientin/der Patient frei zu erzählen beginnt. Hören Sie aufmerksam zu und paraphrasieren Sie, um das Verständnis abzusichern.

Vermitteln Sie dem Paar, wie wichtig sexuelle Gesundheit im Leben ist, lassen Sie Trauer zu und ermuntern Sie beide Partner, sich und ihre Sexualität gemeinsam neu kennenzulernen. Dabei ist ebenfalls die Selbsterfahrung/Selbsterkundung der Patientin/des Patienten wichtig, um sich einerseits selbst zu finden, andererseits aber auch, um sich auf den Partner/die Partnerin einlassen zu können. Dadurch nimmt das Selbstbewusstsein zu und das Selbstwertgefühl steigt.  

Quelle:
Tabuthemen in der Schmerztherapie; "Erfüllte Sexualität in der palliativen Situation" (V. Kürbitz), Schmerzkongress, 19.10.2018, Mannheim.