Deutschland ohne Hepatitis C – ist dieses Ziel zu erreichen?

"Die Zahlen zur Hepatitis steigen wieder. Sie liegen über Tuberkulose und Malaria. Hepatitis-Erkrankungen sind weltweit die Todesursache Nr. 7!"

Größtes Problem ist die Diagnose von Hepatitis

"Die Zahlen zur Hepatitis steigen wieder. Sie liegen über Tuberkulose und Malaria. Hepatitis-Erkrankungen sind weltweit die Todesursache Nr. 7!" Mit diesem drastischen Satz begann Prof. Claus Niederau vom St. Josef-Hospital in Oberhausen seine Einführung zum MSD-Symposium "Spielwiese Hepatitis C und DAA-Therapie 2017 - wo sind noch die Herausforderungen?" auf dem Kongress "Viszeralmedizin" in Dresden.

Das größte Problem sei heute nicht die Therapie, sondern die Diagnose: "Die Hälfte der Patienten wissen nichts von ihrer Erkrankung. Sie werden nicht behandelt, sie werden nicht geheilt. Die WHO möchte die Erkrankung eliminieren. Doch solange es Kriege, Flucht und Vertreibung gibt auf der Welt, wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. In Deutschland könnten wir es schaffen. Wer, wenn nicht wir?", so die eindringliche Frage des Vorsitzenden.

Eine Hepatitis C kommt selten allein: Extrahepatische Manifestationen

Eine Vielzahl neuer Medikamente ermöglichen bei über 95 % der Patienten die Eradikation des Virus innerhalb von 8 bis 12 Wochen. Doch die Hepatitis ist eine Systemerkrankung, erläuterte Prof. Michael R. Kraus von den Kreiskliniken Altötting und Burghausen, und kann sich deshalb auf nahezu alle Organsysteme auswirken.  

40 bis 74 % der Menschen, die mit dem HCV-Virus infiziert sind, entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung mindestens eine extrahepatische Manifestation wie Diabetes, Arthralgien, Vaskulitis, Lymphome, kognitive Dysfunktionen, Fatigue, Depressionen etc. In der Pathogenese spielen der HCV-Lymphotropismus und die Bildung von Kryoglobulinen eine besondere Rolle. Für zahlreiche extrahepatische Manifestationen jedoch sind die pathogenetischen Mechanismen unklar.

Lassen sich durch eine Virus-Eradikation das Auftreten von extrahepatischen Manifestationen verhindern?

Vor allem Diabetes mellitus tritt signifikant gehäuft bei chronischer Hepatitis C auf (1). In einer neuen Studie mit fast 2.500 HCV- und Diabetes-Patienten besserte sich die Stoffwechselsituation nach einer interferon- und ribavirinfreien Therapie erheblich und der Insulinbedarf konnte deutlich reduziert werden(2). Auch Hautsymptome bei der Vaskulitis und die Nierenfunktion verbesserten sich unter einer DAA-Therapie. Bei der kryoglobulinämischen Vaskulitis erreichten über 90 % eine komplette klinische Remission. Ebenso profitierten Patienten mit einer gemischten Kryoglobulinämie. In anderen Untersuchungen bildeten sich Lymphome zurück, verschwanden Depressionen sowie Fatigue und kognitive Funktionen besserten sich.

Das Resümee von Kraus: "Je eher die Behandlung mit antiviralem Medikamenten einsetzt, umso eher lassen sich extrahepatische Manifestationen und ihre kostspielige Behandlung verhindern. Nicht das Zuwarten bis eine fortgeschrittene Fibrose oder Zirrhose entsteht, ist ökonomischer, sondern die frühe Therapie der chronischen Hepatitis C".

"Ist wirklich alles gut? Können wir von Heilung sprechen?"

Für die Therapie der chronischen Hepatitis C ist kein Interferon alfa mehr nötig, fast alle Patienten können behandelt werden, Nebenwirkungen treten so gut wie nicht mehr auf und mehr als 95 % der Patienten zeigen ein anhaltendes virologisches Ansprechen (SVR). Das Risiko einer HCV Rekurrenz ist niedrig, die Relaps-Rate liegt unter 3 % - und wenn eine Rekurrenz eintritt, so ist es eine Neuinfektion. "Ist wirklich alles gut und können wir das große Wort 'Heilung' in den Mund nehmen?" fragte Prof. Markus Cornberg von der Medizinischen Hochschule Hannover.

In Publikationen kommt immer wieder die Diskussion auf, ob trotz SVR noch eine okkulte HCV-Infektion vorhanden sein kann. "Es gibt einzelne Fallberichte von Autoren, die ich nicht kenne, die von einer HCV-Reaktivierung während Immunsuppression und Chemotherapie sprechen", bemerkte der Hepatologe. In einer Untersuchung von renommierten Autoren hingegen seien auch drei Fälle mit einer HCV-Aktivierung aufgetreten. Sie hätten sich bei einer weiteren Kontrolle als negativ herausgestellt(3). "Man kann mit einer PCR auch etwas amplifizieren, was keine Bedeutung hat", so Cornbergs Kommentar.

Ernster zu nehmen sei die Debatte zum Risiko eines hepatozellulären Karzinoms (HCC), das nach einer DAA-Therapie offenbar vermehrt auftritt. Allerdings, so der Referent, sieht man man bei einer genaueren Datenanalyse: Die Patienten mit DAA-Therapie waren 10 Jahre älter, und in der Krankheit weiter fortgeschritten als die Interferon-Patienten. Wenn das alles berücksichtig wird, sei das Risiko nicht größer. Zum gleichen Ergebnis kommt auch eine kürzlich erschienene Metaanalyse aus Australien(4),

Die Mär von den Wunderdrogen ohne Wirkung

"Dennoch muss man stets kritisch mit Daten umgehen", riet Cornberg. „Denn sonst erscheinen Artikel, wie der am 8. Juni im Guardian: "Die Wunderdrogen für Hepatitis C kosten viel Geld, haben aber keinen klinischen Effekt". Passiert ist Folgendes: Für eine Cochrane-Analyse von systematischen Reviews wurden alle Phase-3-Studien angeschaut. Die Nicht-Experten kamen zu dem Schluss, dass die HCV-Therapien keinen Effekt haben, weil sie die Mortalität nicht senken würden. Bei Phase-3-Studien ist die Analyse von Endpunkten wie Mortalität jedoch gar nicht möglich, denn die Biologie der Hepatitis führt erst in 10 bis 20 Jahren zum Tod. Praktisch alle Studien zeigen, betonte Cornberg, dass nach einem SVR die Sterblichkeit von Hepatitis-C-Patienten nicht höher ist als die der Normalbevölkerung.

Zum Schluss goss der Hannoveraner aber doch noch etwas Wasser in den Wein: "SVR ist Heilung der HCV-Infektion, nicht unbedingt Heilung der fortgeschrittenen Lebererkrankung. Deshalb ist es wichtig, früh zu behandeln und Langzeitdaten für die IFN-freie Therapie zu generieren".

Ohne systematisches Screening keine HCV-Eradikation

Für den praktischen Teil des Symposiums war Dr. Peter Buggisch von der Asklepios-Klinik in Hamburg zuständig. In einer Studie mit 1.238 HCV-Patienten aus seiner Klinik war die DAA-Therapie bei fast 93 % erfolgreich, 7% haben nicht angesprochen. "In mehr als der Hälfte der Fälle war es kein virologisches Versagen, sondern ein Problem der Adhärenz. Und das wird ein Problem für die Zukunft. Wir müssen uns mehr um die Patienten kümmern, dass sie bei der Stange bleiben und dass sie sich nicht reinfizieren", so sein Appell.

In Deutschland können alle Patienten mit allen HCV-Genotypen mit oder ohne Zirrhose behandelt und fast alle geheilt werden. Selbst die Preisunterschiede der neuen Medikamente gleichen sich mit der Zeit an. Dennoch gibt es einige Punkte, die man bei der Medikamentenauswahl und der Behandlungsdauer bedenken muss: Ist der Patient vortherapiert? Mit welcher Therapie? Hat er eine Zirrhose? Hat er Genotyp 3? Selbst Gruppen mit Drogenabusus, Alkoholiker und HIV-Koinfizierte lassen sich heute gut behandeln.

Dennoch steht der Arzt im Dilemma zwischen Zulassung, Leitlinien, GBA-Urteilen und dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Hier helfen die Empfehlungen des Berufsverbands Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands (bng) weiter (5).

Das Ziel, das sich die WHO bis 2030 gesteckt hat, lautet: 90 – 80 – 90. Also: 90 % diagnostiziert, 80 % behandelt, 90 % geheilt. "90 % Heilung haben wir erreicht, doch bei der Diagnose und der Behandlung sind wir noch ganz schlecht. Auch hierzulande, weil wir kein systematisches Screening-Programm haben. Bis zu einre Eradikation von HCV in Deutschland ist es noch ein weiter Weg", so das Fazit von Buggisch.

Weitere aktuelle Berichterstattung vom Kongress Viszeralmedizin 2017 finden Sie hier.

Referenzen: 1. allestri et al,. Int. J. Mol. Sci 2016

2. Diabetes Care 2017 Sep; 40(9): 1173-1180

3. Lee et al., Gut Liver. 2017 Jul 28; Hahn KJ et al., Open Forum Infect Dis. 2015 Jul 31;2(3)

4. Dore G, et al., EASL 2017. Abstract PS-160; J Hepatol. 2017 Aug 9.

5. www.dgvs.de Vorabpublikation Dez. 2016