Der Alltag im Impfzentrum aus ärztlicher Sicht

Hunderte Ärztinnen und Ärzte impfen die baden-württembergische Bevölkerung. In Impfzentren und als mobile Teams sind sie im Einsatz. Dabei ist es nicht immer damit getan, nur eine Spritze zu setzen.

Manchmal fließen auch die Tränen

Hunderte ÄrztInnen impfen die baden-württembergische Bevölkerung. In Impfzentren und als mobile Teams sind sie im Einsatz. Dabei ist es nicht immer damit getan, nur eine Spritze zu setzen.

Eigentlich wäre Dieter Hassler jetzt Rentner. Doch dann kam Corona. Und so ist er nun einer von Hunderten ÄrztInnen landesweit, die in den Impfzentren Hunderttausende gegen das Coronavirus schützen sollen. Ein-, zweimal am Tag flössen dabei auch Tränen, berichtet der 72-Jährige. Nämlich dann, wenn Menschen abgewiesen werden müssten, die gerne eine Impfung bekommen hätten.

Hassler berichtet zum Beispiel von einer Krebspatientin, die sogar ein Schreiben ihres Arztes vorgelegt habe, dass sie vorrangig geimpft werden solle - doch sie war zu jung für die von der Regierung festgelegte erste Impfgruppe der Über-80-Jährigen. Auch zählte sie nicht zu den LehrerInnen und ErzieherInnen, die jetzt vorgezogen wurden.

Andere mogelten sich mit falschen Angaben im Internet vor und kämen so an einen Impftermin, berichtet Hassler aus dem Alltag. Doch nach der Kontrolle der Unterlagen müssten sie nach Hause geschickt werden.

130 Euro brutto pro Stunde für ÄrztInnen

Der Allgemeinmediziner hat die beiden Kreisimpfzentren im Landkreis Karlsruhe mit aufgebaut und leitet den gesamten Impfbetrieb. In einem früheren Baumarkt in Bruchsal und einer ehemaligen Werkshalle in Sulzfeld könnten täglich 400 Menschen geimpft werden. Ab Mitte März soll im Zwei-Schicht-Betrieb die doppelte Menge versorgt werden.

Das Sozialministerium hat keine Übersicht, wie viele Menschen in den Zentren landesweit arbeiten. Organisiert werde das vor Ort. Maximal dürften in einem Zentralen Impfzentrum am Tag 138 Leute arbeiten - von der Verwaltungsleitung über medizinisches Personal bis zu Reinigungs- und Sicherheitskräften oder Personal zur Registrierung. In den kommunalen Zentren können höchstens 85 MitarbeiterInnen abgerechnet werden. Hinzu kommen jeweils KollegInnen für die mobilen Impfteams.

Baden-Württemberg zahlt ÄrztInnen demnach 130 Euro brutto pro Stunde. Für medizinische Fachangestellte werden bis zu 50 Euro übernommen. Alle anderen MitarbeiterInnen erhalten bis zu 27,60 Euro je Stunde.

Unendlich viele Freiwillige, aber manche ohne jegliche Qualifikation

Gerade die Suche nach geeignetem Personal sei am Anfang schwierig gewesen, erinnert sich Hassler. Zwar hätten sich "unendlich viele Freiwillige gemeldet", sagt er. "Aber manche ohne jegliche Qualifikation." Mehr als 10.000 BürgerInnen hatten sich landesweit schon zum Impfstart der Impfungen als mögliche MitarbeiterInnen angeboten. Bis Ende Februar waren es allein im Regierungsbezirk Karlsruhe 3.265.

Einige ÄrztInnen hofften laut Hassler, mit einem Einsatz im Impfzentrum schneller selbst an eine Impfung zu kommen. Andere hätten nach dem Studium nie praktiziert. "Da muss man erstmal fragen: Wer kann im Notfall einen Patienten versorgen?" Bislang habe es in den beiden Zentren unter seiner Aufsicht aber noch keine Zwischenfälle gegeben.

Örtliches Krankenhaus hat bei Suche nach Ultratiefkühlschrank geholfen 

Auch wenn er jetzt am Abend die Dienstpläne für die mobilen Impfteams bekommt, die unter anderem zu Pflegeheimen fahren, schaut er zuerst nach neuen Namen: "Da muss ich morgens hin und die Betroffenen ins Gebet nehmen, ob wir sie auch wirklich losschicken können."

Auf der Suche nach einem Ultratiefkühlschrank für den Impfstoff habe das örtliche Krankenhaus geholfen, berichtet der Infektiologe. Weil zum Start Ende Januar nur wenige Dosen von Biontech da waren, ging es mit 70 Terminen je Impfzentrum los. Seit Anfang März verimpfen Hassler und seine KollegInnen auch das Mittel von Astrazeneca.

Bislang noch keine Konflikte mit ImpfgegnerInnen vor den Testzentren gehabt

Schon am ersten Tag seien alle angemeldeten Menschen gekommen, sagt Hassler. Angesichts der Vorbehalte gegenüber dem Impfstoff, weil der anfangs nur für Menschen unter 65 Jahre empfohlen wurde, habe er jeden extra darauf hingewiesen. "Es gab niemanden, der gemeckert hat, was mich verblüfft hat." Er empfindet die Kritik an dem Impfstoff als Stimmungsmache - vor allem im Netz. In oder vor den Impfzentren habe es noch keine Konflikte etwa mit ImpfgegnerInnen gegeben.

Auch dem Sozialministerium sind nur wenige Einzelfälle bekannt. So hätten etwa ImpfgegnerInnen vor einem Zentrum Flyer an Impfwillige verteilt. "In einem uns bekannten Fall hat eine Impfgegnerin Pflegeheime angeschrieben und versucht, sie zu überzeugen, keine Impfung für die Bewohnerinnen und Bewohner in Anspruch zu nehmen", erklärte ein Sprecher. Darüber hinaus habe es aber den Erkenntnissen nach keine weiteren Aktionen der Frau gegeben.

Impfung der breiten Bevölkerung muss in Arztpraxen geschehen

Dennoch ist nicht alles eitel Sonnenschein: "Ich wüsste schon noch zahlreiche Verbesserungsvorschläge", sagt Hassler. Die Impfzentren könnten es nicht schaffen, die breite Bevölkerung zu impfen, das müsse in Arztpraxen geschehen. Eine pharmazeutisch-technische Assistentin brauche allein zum Verdünnen und Portionieren des Biontech-Impfstoffs zehn Minuten. "Das können Sie nicht beschleunigen." Dann sollten die Menschen eine halbe Stunde im Nachbeobachtungsbereich bleiben. Gerade Ältere täten das auch. Sie hätten aber oft eine Begleitperson dabei. "Das gibt Stau." Er hoffe auf eine entspanntere Lage, wenn mehr Impfstoff verfügbar ist.

Dass sich Hassler überhaupt solche Gedanken machen muss, fing gut zwei Jahre nach der Übergabe seiner Arztpraxis an. Als im März 2020 jemand gesucht wurde, der das Corona-Testzentrum in Bruchsal leitet, kam man im Landratsamt auf ihn. Nach einem Jahr Abstriche organisiert er nun das Impfen. Wenn er selbst eine Schicht hat, ist bis zu sieben Stunden im Einsatz, an anderen Tagen als Verantwortlicher kürzer. "Es ist nicht so, dass ich da übernachten muss." Kein Problem für seine Frau, wie Hassler erzählt: Sie arbeite als Apothekerin selbst mit. Und auch für sein Hobby, die Erforschung der von Zecken übertragenen Krankheiten, bleibe ausreichend Zeit: "Das geht alles noch nebenbei."