Die erste Kopftransplantation am Menschen

Dem Wissenschaftler Dr. Sergio Canavero kann in absehbarer Zeit die erste Kopftransplantation am Menschen gelingen. Es klingt zunächst wie eine Episode aus Mary Shelleys Frankenstein, aber die Mögl

Dem Wissenschaftler Dr. Sergio Canavero kann in absehbarer Zeit die erste Kopftransplantation am Menschen gelingen.

Es klingt zunächst wie eine Episode aus Mary Shelleys Frankenstein, aber die Möglichkeit der weltweit ersten menschlichen Kopftransplantation scheint sich nicht mehr nur im Film abzuspielen. Im Dezember 2017 plant der italienische Neurowissenschaftler Dr. Sergio Canavero mit einem Team chinesischer Chirurgen, unter der Leitung von Dr. Xiaoping Ren, der bis jetzt schon ca. 1000 solcher Transplantationen an Mäusen durchgeführt hat, diesen medizinischen Meilenstein durchzuführen.

 Für das Projekt, genannt HEAVEN-GEMINI, werden neben einem Betrag von rund 11 Millionen Dollar ca. 150 Chirurgen und Pflegekräfte gebraucht.

Dr. Canavero, von der Turin Advanced Neuromodulation Group (TANG) in Italien, kündigte das HEAVEN-GEMINI Projekt zum ersten Mal im Juli 2013 an. Nicht überraschend war die darauf von vielen Seiten folgende Kritik an Dr. Canvero, einige Wissenschaftler bezeichneten seinen Vorschlag als Unfug und Irrsinn.

Jedoch ist Dr. Canavero nicht der Erste, der sich auf dem Gebiet der Kopftransplantationen versucht. 1970 transplantierte der amerikanische Neurochirurg Dr. Robert White einen Primatenkopf auf einen anderen Körper. Zwar konnte der Affe nach der Transplantation sehen, hören, schmecken und riechen, aber die unzureichende Technik ließ eine korrekte Verbindung zwischen Rückenmark und Kopf nicht zu und so blieb der Affe gelähmt. Hinzu kam dann noch die Abstoßungsreaktion des Immunsystems, die nach 9 Tagen zum Tod des Tieres führte.

Auch Dr. Canavero räumt ein, dass die Rückenmarksfusion und die Möglichkeit der Abstoßung noch die größten Herausforderungen  für das HEAVEN-GEMINI Projekt darstellen, seiner Meinung nach zeigen die derzeitigen tierexperimentellen Studien aber, dass diese Hürden bewältigt werden können.

“Das größte technische Hindernis unserer Bemühungen ist natürlich die Zusammenführung des Rückenmarks von Spender und Empfänger. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir heute über die nötige Technologie für eine solche Verknüpfung verfügen”,  so Canavero in einem Artikel der Surgical Neurology International.

Aber selbst wenn der Eingriff durchführbar ist, wie das Team um das HEAVEN-GEMINI Projekt behauptet, bleiben doch weiterhin einige essentielle Fragen offen: Was wäre der Nutzen eines solchen Eingriffes gegenüber den großen Risiken? Und kann sich der Körper nach diesem traumatischen Eingriff wieder vollkommen erholen?

“Wir werden den Kopf unter starker Hypothermie entfernen und auf den neuen Körper transplantieren. Natürlich sprechen wir hier von einem Kopf mit einem gesunden Gehirn, der auf einem „Alien-Körper“ sitzt, sozusagen einem Körper ohne Hoffnung”,  erklärt Dr. Canavero.

Sowohl der “Empfänger-Kopf” als auch der “Spender-Körper” werden für 45 Minuten unter Hypothermie gesetzt, um neurologische Schäden, die aufgrund von Sauerstoffmangel entstehen können, zu vermeiden. Der Kopf wird mithilfe einer “ultra scharfen Klinge” vom Körper entfernt, um Beschädigungen des Rückenmarks zu minimieren. Dieser Vorgang ist, laut dem italienischen Chirurgen, der Schlüsselvorgang zu einer erfolgreichen Rückenmarksfusion. Dann folgt der knifflige Teil: Den Kopf an den Spenderkörper zu befestigen, inklusive der komplexen Rückenmarksfusion. In seiner Veröffentlichung zu dem Projekt erklärt Dr. Canavero, dass  Polyethylenglykol oder Chitosan genutzt werden, um die Fusion zu fördern, bevor die Muskeln und Blutversorgung verbunden werden.

Während viele Wissenschaftler Zweifel über die Durchführbarkeit der Rückenmarksfusion erhoben, zeigt sich Dr. Canavero zuversichtlich: “Dass es möglich ist das Rückenmark zu fusionieren, wurde schon vor 50 Jahren gezeigt. Es ist unglaublich, dass damals niemand davon Notiz genommen hat, wie ein amerikanischer Neurochirurg eine unglaubliche und erstaunliche Beobachtung machte. Durchtrennt man das Rückenmarkt mit einem minimal traumatischen Schnitt und wartet anschließend lang genug – das ist nämlich der Trick, nicht einen Tag, eine Woche, einen Monat, sondern einige Monate zu warten – werden die Versuchstiere anfangen die Funktionen wieder aufzubauen.”

Nach der Operation wird der Patient für 3-4 Wochen in ein Koma versetzt, um Bewegungen im Hals und Genick zu vermeiden und um Zeit für die Bildung neuer Nervenverbindungen und Fusionen zu schaffen.

Während der Zeit im Koma wird der Patient außerdem über implantierte Elektroden elektrisch stimuliert, in der Hoffnung, dass dies die Fusion zusätzlich unterstützt.

Die Kopftransplantation ist “ein Misserfolg der Medizin”

Die Worte “Körper ohne Hoffnung” sind der zentrale Punkt hinter dem HEAVEN-GEMINI Projekt. Es soll dazu dienen, Patienten zu helfen und neue Chancen zu bieten, die an unheilbaren neurologischen oder degenerativen Muskelerkrankungen leiden und dadurch vom Hals abwärts gelähmt sind.

Sollte das Unterfangen erfolgreich sein und die beschriebenen Umstände könnten dadurch geheilt werden, könnte man es als einen medizinischen Durchbruch bezeichnen. Dr. Canavero betrachtet das Projekt aber in einem anderen Licht: “Es geht darum, unheilbare neurologische Erkrankungen zu heilen, bei denen andere Therapien bislang gewaltig versagt haben, wie die Genomtherapie oder Versuche mit Stammzellen – alle bewirkten im Endeffekt nichts. Neben den Milliarden, die dafür ausgegeben wurden, sind wir in diesen Forschungsrichtungen festgefahren und haben versagt. Die Kopftransplantation oder Körpertransplantation, wie man es auch betrachten möchte, ist eigentlich ein Versagen der Medizin. Es ist kein brillanter Erfolg, kein brillanter Fortschritt der medizinischen Forschung. Wenn man die Biologie nicht bezwungen hat, nicht versteht wie man mit Genen umgeht, es nicht wirklich versteht und auf die Körpertransplantation zurückgreifen muss, bedeutet das, dass man versagt hat. Das darf nicht als Erfolg der medizinischen Forschung ausgelegt werden.”

Weiterhin besteht kein Zweifel, dass bei einem Erfolg, vielen Menschen weltweit geholfen werden könnte, die mit einer Lähmung leben. Eine solche Person, die fest daran glaubt, ist der dreißigjährige Valery Spiridonov aus Russland. Er möchte die erste Person sein, an der eine Kopftransplantation durchgeführt wird.

Spiridonov leidet an dem Werdnig-Hoffman-Syndrom, eine infantile Form der progressiven spinalen Muskelatrophie infolge autosomal-rezessiv erblicher Degeneration der Vorderhornzellen. Der Verlust von Motoneuronen im Rückenmark und im Hirnstamm führt zu einem Ausfall der Muskelkontrolle.

“Ich kann meinen Körper so gut wie nicht kontrollieren und bin jeden Tag und jede Minute auf Hilfe angewiesen“, erklärt Spiridonov,“Ich bin nun 30 Jahre alt, auch wenn die Lebenserwartung bei dieser Erkrankung unter 20 Jahren liegt.”

Zwar gibt Spiridonov zu, etwas beunruhigt zu sein, was die Risiken der Operation betrifft, aber er glaubt daran, dass der Eingriff nicht nur sein Leben positiv verändern kann, sondern auch das anderer, die unter Paralysen leiden.

“Die Operation beabsichtigt die Unabhängigkeit der Patienten wiederherzustellen. Wenn sie erfolgreich ist, kann sie Tausenden helfen, die sogar in einer noch bedauerlicheren Situation stecken als ich”, erklärt Spiridonov.

Dr. Canavero ist sich sicher, dass sich Spiridonov einer Transplantation unterziehen lassen wird. Allerdings wird er wohl nicht, wie es die bisherige Berichterstattung voraussagte, der erste Patient sein.

“Am 27. August haben China und ich einen Vertrag unterzeichnet – Eine Kooperation, die direkt auf die erste Kopftransplantation in China gegen Ende 2017 abzielt, wenn alles nach Plan läuft”, so Dr. Canavero. “Leider ist in dem chinesischen Programm kein Platz für Spiridonov. Die Chinesen werden die Transplantation nicht an einem russischen Patienten durchführen, sondern an einem Chinesen.”

Das chinesische Programm wird von dem umstrittenen Chirurgen Dr. Xiaoping Ren von der Harbin Medical University in China geleitet werden. Dr. Ren hat bereits um die 1000 Transplantationen an Mäusen durchgeführt und hat erst kürzlich sein Begehren ausgedrückt den Prozess auf den Menschen zu übertragen.

“Dr. Xiaoping Ren ist ein sehr gescheiter und talentierter Chirurg“, erklärt Dr. Canavero, “Das Problem in China und für Dr. Ren ist derzeit einen passenden Ort für den Eingriff zu finden. Es gibt einige Kliniken in China, die sehr gerne daran beteiligt wären, aber das müssen die Chinesen nun klären.”

Dr. Ren hat derzeit noch keinerlei Informationen über den möglichen chinesischen Empfänger bereitgestellt.

Das Projekt hat kürzlich auch von amerikanischer Seite Unterstützung bekommen, in Form von Dr. Michael Sarr von den Mayo Kliniken, Chefredakteur des Magazins Surgery.

“Ich bin sehr glücklich darüber, dass Michael Sarr unser Projekt gesponsert hat – wir werden im nächsten Frühjahr ein kleines Symposium mit allen Hintergründen und Details zu dem Projekt abhalten”, verkündet Dr. Canavero.

Neben all dem Schwung den das Projekt aufnimmt ist auch klar, dass es immer mehr Fläche für Kritik bietet.

“Das ist ein unbändiges Projekt, die Wahrscheinlichkeit, dass es funktioniert ist sehr gering”, erklärt Harry Goldsmith, Professor für Neurochirurgie der Universität von California-Davis, dem New Scientist im Frühjahr, “Ich glaube nicht, dass es jemals funktionieren wird. Es gibt da einfach zu viele Probleme bei dem Eingriff. Allein der Versuch, eine Person über 4 Wochen im Koma gesund zu halten – das wird nicht klappen.”

Aber Dr. Canavero begrüßt die Kritik, sie bringt das Projekt weiter voran, sagt er: “Die Welt dreht sich weiter, die Kritik wird abnehmen. Natürlich wird es immer Kritiker geben. Die Forschung lehrt uns, dass man mit Kritik rechnen muss, wenn man etwas komplett Neues versucht. Wenn sich keine Gegenstimmen erheben, hat man wohl auch nichts Besonderes hervorgebracht.”

Auch viele ethische Einwände wurden bezüglich des Vorhabens erhoben, besonders in Bezug auf die Genesung von Gehirn und Körper nach der Operation.

“Wenn man einen neuen Kopf auf einen Körper pflanzt, ist man voraussichtlich dabei eine Person zu schaffen, die psychisch und physisch krank ist, da die neuronalen Ströme – die Biochemie – eine komplett andere ist”, kommentierte Arthur Caplan, vom Bereich für Ethik am Langone Medical Center in New York im Mai. “Das Gehirn wäre komplett verwirrt. Es wäre nicht nur wegen des fehlenden Wissens und der Forschung unethisch. Allein der Gedanke daran ist unethisch, wegen des eindeutigen Risikos eine Person zu erschaffen, die psychisch krank, dement oder gequält ist”, fügt er hinzu.

Dr. Canavero teilt die Bedenken um die Sicherheit des Gehirns während und nach der Operation nicht: “Wir haben einiges an Erfahrung und diese zeigt uns, dass es machbar ist. Man kann das Gehirn schützen, Dr. White hat dies schon an Affen getestet, die gleiche Technik mit einigen Anpassungen natürlich, wurde immer wieder am Menschen durchgeführt, ich mache mir um die Nachsorge keine Gedanken. Außerdem sind Spender und Empfänger während der Operation nicht weiter als 2,5m voneinander entfernt und wir benötigen nur wenige Sekunden, um den Kopf nach der Ablösung zum Körperspender zu transportieren.”

Wenn es um die Adaptation des Gehirns an den neuen Körper geht, behauptet Dr. Canavero, dass es viele Hinweise gibt, die suggerieren, dass dieses machbar ist. “Ich bin ziemlich sicher, dass das Gehirn die Möglichkeiten hat sich an den neuen Körper, mittels neuronaler Verknüpfungen und neuer Kartierung, anzupassen. Wir haben zahlreiche Hinweise dafür, dass dies möglich ist.”

Bis die weltweit erste Kopftransplantation durchgeführt wurde und auch danach, wird das Projekt Thema vieler Diskussionen sein. Wird der Eingriff tausende Lähmungspatienten heilen? Oder wird er als gescheiterter Versuch einer Person in die Geschichte eingehen, die andere als einen „verrückten“ Wissenschaftler bezeichnen? Das wird die Zeit zeigen.

Quelle: esanum/ ab

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