Die Darm-Gehirn-Achse steuert das Verlangen nach Zucker

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum sich das Krümelmonster immer nur für "Kekseee" interessiert? Ein besseres Verständnis könnte eine Studie in der Zeitschrift 'Nature' liefern...

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Der Geschmack von Zucker ist eine der grundlegendsten sensorischen Wahrnehmungen für Menschen und Tiere. Alle Tiere auf dem Planeten haben eine fest verwurzelte Vorliebe für Zucker, selbst wenn sie keine Geschmacksrezeptoren für "süß" besitzen, was auf einen vom Geschmack unabhängigen Mechanismus hindeutet.

Schleckermäuler: Ist der Vagusnerv schuld?

Der Überkonsum, insbesondere von raffiniertem Zucker, ist der Urgrund weitreichender gesundheitlicher Probleme. Er ist der häufigste Bestandteil in verarbeiteten Lebensmitteln und es scheint, dass viele Menschen regelrecht süchtig danach sind.
Bereits bekannt war, dass Zucker das Belohnungssystem des Gehirns beeinflusst, und dieser Prozess beginnt mit dem Geschmack. Doch vorangehende Studien haben gezeigt, dass Tiere sich selbst dann bevorzugt an süße Versuchungen halten, wenn die Geschmacksrezeptoren "ausgeschaltet" sind.1 

Wissenschaftler des Columbia University’s Zuckerman Institute haben eine Erklärung für unsere Zucker-Präferenz gefunden, die weit über das Geschmackserlebnis hinaus reicht. Sie entdeckten einen unmittelbaren Signalweg zum Gehirn, der im Darm beginnt und durch den Konsum von Glukose aktiviert wird.2,3 Sie waren damit die ersten Wissenschaftler, die an Mäusen zuckerspezifische Neuronen beobachteten, die entlang eines direkten Schaltkreises vom Darm zum Gehirn feuern.

Die Forscher umgingen die Geschmacksrezeptoren, indem sie den Versuchstieren Glukose parenteral verabreichten. Per funktioneller Bildgebung analysierten sie die Aktivität der Darm-Hirn-Achse und stellten fest, dass eine spezifische Population von Neuronen in den Ganglien des Vagus und im Hirnstamm aufleuchtete, sobald Zucker im Darm ankam, insbesondere im kaudalen Nucleus tractus solitarii (cNST). Dieses Kerngebiet in der dorsalen Medulla oblongata ist als potentieller Ort für Interaktionen zwischen viszeralen Prozessen und Geschmacksreizen vorbeschrieben.4 Der Solitärkern und sein Trakt (der Tractus solitarius), hat weitreichende Auswirkungen auf viele homöostatische Systeme im Körper. Der NST wurde von Vielen als die primäre viszerale sensorische Relaisstation im Gehirn beschrieben. Er empfängt und reagiert auf Signale aus dem Atem-, Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-System und enthält Fasern der drei Hirnnerven N. glossopharyngeus (IX), Nervus vagus (X) und N. facialis (VII).5

Süßstoffe sollen schmecken wie Zucker, aber das Gehirn kennt den Unterschied 

Diese Neuronen senden also ein Signal direkt vom Darm an das Gehirn. Das Kuriose: sie wurden nur in Reaktion auf Zucker, nicht aber auf künstliche Süßstoffe, aktiviert. Dies könnte zugleich erklären, warum Süßstoffe nicht den gleichen Heißhunger oder Zufriedenheit auslösen wie Zucker, obwohl sie dessen Geschmack nachzuahmen versuchen, vermuten die Forscher. Sie sehen in diesem Schaltkreis den Grund für die stark appetitanregende Wirkung von Zucker.

In einem weiteren experimentellen Schritt legten sie die synaptische Aktivität in diesem Schaltkreis zwischen Darm und Gehirn genetisch still. Dies verhinderte die Entwicklung einer Vorliebe für Zucker. Darüber hinaus gelang es ihnen, durch Kooptierung dieses Schaltkreises (per chemogenetischer Aktivierung) Präferenzen für ansonsten weniger bevorzugte Reize zu erzeugen.

Der leitende Wissenschaftler, mit dem treffenden Namen Prof. Charles S. Zuker, PhD, resümiert: "Diese Entdeckung erschließt die grundlegende Art und Weise, wie Zucker auf das Gehirn wirkt und mit ihm interagiert – und erklärt, warum Zucker ein unstillbares Verlangen, ihn zu konsumieren, auslöst."
Er kann sich vorstellen, dass die Manipulation dieses Zucker-Sensors zwischen Darm und Gehirn es in Zukunft ermöglichen könnte, dass Menschen süße Dinge genießen, ohne die Gefahr einer Förderung von Cravings und schlechter Gesundheit.

Referenzen:
1. Sclafani, A., Marambaud, P. & Ackroff, K. Sucrose-conditioned flavor preferences in sweet ageusic T1r3 and Calhm1 knockout mice. Physiol Behav 126, 25–29 (2014).
2. Tan, H.-E. et al. The gut–brain axis mediates sugar preference. Nature 580, 511–516 (2020).
3. Study explains why humans have an “unquenchable desire” for sugar. Inverse https://www.inverse.com/mind-body/gut-brain-sugar-cravings-study.
4. Travers, S., Breza, J., Harley, J., Zhu, J. & Travers, J. Neurons with diverse phenotypes project from the caudal to the rostral nucleus of the solitary tract. J Comp Neurol 526, 2319–2338 (2018).
5. Solitary tract and nucleus. Kenhub https://www.kenhub.com/en/library/anatomy/the-solitary-tract-and-nucleus.