Kindheitsbelastungen beeinflussen Energiestoffwechsel von Müttern

Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit können auch zu biologischen Veränderungen im Stoffwechsel führen, die sich auf die Nachkommen auswirken. An der Universität Ulm wurde untersucht, wie sich belastende Kindheitserfahrungen auf den mitochondrialen Energiestoffwechsel der Immunzellen von Müttern auswirken. Vererben sie diese auch an ihre Kinder?

Mitochondriale Veränderungen bei Müttern - und Kindern?

Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit können biologische Veränderungen im Stoffwechsel verursachen, die sich auch auf die Nachkommen auswirken. An der Universität Ulm wurde untersucht, wie sich belastende Kindheitserfahrungen auf den mitochondrialen Energiestoffwechsel der Immunzellen von Müttern auswirken. Lassen sich bioenergetische Veränderungen auch bei den Kindern nachweisen?

Die Studie analysiert die Aktivität und Dichte von Mitochondrien in Immunzellen von Müttern und ihren neugeborenen Kindern. "Die biologischen Veränderungen in der zellulären Energieproduktion ließen sich zwar für Mütter mit Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen nachweisen, aber nicht für deren Kinder", resümiert Iris-Tatjana Kolassa, Professorin und Leiterin der Abteilung für Klinische & Biologische Psychologie. Mit Forschenden aus ihrer Arbeitsgruppe und Kooperationspartnern der Universität Ulm und des Ulmer Universitätsklinikums untersuchte die  Psychologin, ob sich auf biologischer Ebene intergenerationale Übertragungseffekte von Kindheitsbelastungen auch auf Ebene der Mitochondrien finden lassen.

Mitochondrien von Müttern und Neugeborenen untersucht

Eine Schlüsselrolle bei der zellulären Energieversorgung spielt das Adenosintriphosphat (ATP). Für die Synthese dieses universellen biochemischen Energieträgers brauchen die Mitochondrien Nährstoffe und Sauerstoff. "In Stresssituationen wie beispielsweise bei der Geburt, die von Wundheilungs- und Entzündungsprozessen begleitet wird, erhöht sich der Energiebedarf der Zellen und damit auch der Sauerstoffverbrauch. Dieser lässt sich mit hochsensitiven Analyseverfahren auf zellulärer Ebene messen", erklärt Doktorandin Anja Gumpp. Die Forschenden haben das bioenergetische Profil der Mitochondrien in Immunzellen von Müttern und ihren neugeborenen Kindern untersucht. Frühe belastende Erfahrungen führten zu biologischen Veränderungen in der Funktion der Mitochondrien.

"Wir haben festgestellt, dass in den Immunzellen von Müttern, die angaben, in ihrer Kindheit missbraucht, misshandelt oder vernachlässigt worden zu sein, nicht nur die Aktivität der Mitochondrien, sondern auch deren intrazelluläre Dichte höher war als bei der Vergleichsgruppe ohne Kindheitsbelastungen“, erklärt das Forschungsteam.

Blut von 102 Mutter-Kind-Paaren untersucht

Während der Eizellbefruchtung werden die Mitochondrien überwiegend von der Mutter weitervererbt. Darum vermuteten die WissenschaftlerInnen, dass sich die mütterliche Veränderung im mitochondrialen Energiestoffwechsel auch in Immunzellen der Neugeborenen nachweisen lassen. Das bestätigte sich in der Stichprobe mit vorwiegend moderat belasteten Frauen nicht. "In dieser Hinsicht waren die Ergebnisse beruhigend. Die Resultate sprechen dafür, dass die Mitochondrien der Neugeborenen nicht durch die Belastungen der Mutter beeinflusst werden. Möglicherweise greifen hier biologische Resilienzfaktoren, die sich protektiv auf die Mitochondrien in den Immunzellen der Kinder auszuwirken", so Dr. Alexander Karabatsiakis, der die Untersuchung gemeinsam mit Kolassa koordiniert hat.

In der Studie wurden 102 Mutter-Kind-Paare untersucht. Analysiert wurden Immunzellen aus dem Blut der Wöchnerinnen und Immunzellen der neugeborenen Kinder, Letztere gewonnen aus dem fötalen Blut der Nabelschnur. Dafür isolierten die WissenschaftlerInnen Zellen aus den Vollblutproben. Den zellulären Sauerstoffverbrauch erfassten mithilfe eines hochauflösenden Respirometrie-Verfahrens und bestimmten anschließend die intrazelluläre Dichte an Mitochondrien spektrophotometrisch über die enzymatische Aktivität des Mitochondrien-Enzyms Citrat-Synthase.

Studie über mütterliche Kinderheitserfahrungen vom Bund gefördert

Die belastenden Kindheitserfahrungen der Mutter wurden mit dem Fragebogen Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) erfasst. Die Mitochondrien-Studie gehört zum Verbundprojekt "Meine Kindheit – Deine Kindheit", das nach Generationen-übergreifenden Risiko- und Resilienzfaktoren sucht und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde. Das Projekt untersucht, welchen Einfluss mütterliche Kindheitserfahrungen auf die Beziehung zum eigenen Kind und dessen Entwicklung haben. Im Fokus stehen dabei nicht zuletzt die biologischen Mechanismen, über die Missbrauchs-, Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen an die nächste Generation weitergegeben werden.

Quelle: Gumpp AM, Boeck C, Behnke A, Bach AM, Ramo-Fernández L, Welz T, Gündel H, Kolassa I-T, Karabatsiakis A: Childhood maltreatment is associated with changes in mitochondrial bioenergetics in maternal, but not in neonatal immune cells. Proceedings of the National Academy of Sciences (October 1, 2020) https://doi.org/10.1073/pnas.2005885117