Neue Strategien bei Typ-1-Diabetes

Zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation des Diabetes mellitus Typ 1 ist der Verlust der Betazellmasse bereits weit fortgeschritten – deshalb ist die frühzeitige Erkennung der Krankheit vor der klinischen Manifestation für die Möglichkeit einer effektiven kausalen Therapie essentiell. Dazu referierte Prof. Dr. Peter Achenbach vom Institut für Diabetesforschung unter dem Titel "Risikomarker und Ansätze von Interventionsstudien"

Risikomarker und Ansätze von Interventionsstudien

Zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation des Diabetes mellitus Typ 1 ist der Verlust der Betazellmasse bereits weit fortgeschritten – deshalb ist die frühzeitige Erkennung der Krankheit vor der klinischen Manifestation für die Möglichkeit einer effektiven kausalen Therapie essentiell. Angesichts der steigenden Prävalenz des Diabetes mellitus Typ 1 sind Präventionsstrategien zur Vermeidung der Erkrankung Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. Dazu referierte Prof. Dr. Peter Achenbach vom Institut für Diabetesforschung unter dem Titel "Risikomarker und Ansätze von Interventionsstudien". 

Das Grundproblem beim Typ-1-Diabetes ist der Verlust der funktionellen Betazellmasse, die zum Auftreten von Symptomen und Hyperglykämie führt. Der Zeitpunkt ist individuell unterschiedlich. Es gibt viele verschiedene diagnostische Marker. Über die genetische Prädisposition sowie bestimmte Umweltfaktoren ist mittlerweile viel bekannt. Die wichtigsten Immunmarker sind die Autoantikörper gegen verschiedene Proteine der Beta-Zelle, die man diagnostisch nutzen kann. Sie sind sehr einfach im peripheren Blut bestimmbar.

Wenn man all die bereits gefundenen Antikörper kombiniert, findet sind eine Prävalenz bei neu manifestierten Patienten im Alter bis 20 Jahre von über 90 Prozent. Doch nicht alle Antikörper sind gleich bedeutsam. Eine große Rolle spielt der IA-2-Antikörper. Hier ist das Risiko für eine schnelle Progression deutlich erhöht. Nach 5 Jahren erreicht man eine fast 50-prozentige Progression. Kommt ein weiterer Marker hinzu, das IA-2-Beta, zeigt sich eine klinische Manifestation bereits nach 3 Jahren. Kombiniert mit metabolischen Markern zeigt sich nach 2 Jahren ein Risiko bei 50 Prozent der untersuchten Personen. Mit einem oralen Glukosetoleranztest war der Effekt noch deutlicher. Diejenigen, die bereits eine gestörte Glukosetoleranz hatten, waren nach weniger als 1 Jahr zu 50% klinisch manifest.

Prospektive Geburtskohorten helfen, den Prozess immer genauer besser einzuschätzen. In mehreren internationalen Studien wurden prospektiv 22 000 Kinder eingeschlossen, zumeist Kinder aus Familien mit Typ-1-Diabetes oder mit einem genetischen Risiko. Eine wichtige Frage ist: wann geht die Autoimmunerkrankung los? Der erste Peak bei der Inzidenz von Auto-Antikörpern zeigt sich hier bereits in den ersten zwei Lebensjahren. Bei Kindern, die den Autoimmunprozess so früh beginnen, ist die Autoimmunität vor allem gegen Insulin gerichtet. Andere Antikörper folgen später.

Daten aus Studien aus Finnland, USA und Deutschland mit 13.000 Kindern mit genetischem und familiärem Risiko zeigten nach über 20 Jahren Verlaufsbeobachtung, dass alle Kinder, die eine bestimmte Intensität der Autoimmunität erreicht haben, mit der Zeit Symptome entwickeln. 70% der Kinder, die zwei oder mehrere Autoantikörper aufwiesen, sind nach 10 Jahren erkrankt, nach 15 bis 20 Jahre sind es dann 100%.

Diese Erkenntnisse haben zu einer neuen Stadieneinteilung des Typ-1-Diabetes geführt. 

Es werden zwei Frühstadien definiert

Nach Stadium 2 ist es nicht mehr weit bis zur klinischen Manifestation der Erkrankung. 

Warum so viele diabetische Ketoazidosen

Insgesamt wird die Erkrankung viel zu spät diagnostiziert, es wird entsprechend zu spät gehandelt. Ein wichtiger Grund dafür: die meisten Fälle stammen aus der Bevölkerung ohne einen Verwandten mit der Erkrankung. Nur etwa 10% haben einen nahen Verwandten, der betroffen ist. Deswegen wurde 2015 eine Pilotstudie gestartet, die die Häufigkeit des Frühstadiums der Erkrankung in der Normalbevölkerung untersucht – mittels eines Kapillarblutscreenings auf Inselautoantikörper im Alter von 2 bis 5 Jahren. Bis 2019 nahmen mehr als 90.000 Kinder teil. Gefunden wurde ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes mit einer Prävalenz von 0,31 %. 90% hatten keinen erstgradig Verwandten mit der Erkrankung.

Ziele der FR1DA Studie 

Innerhalb von drei Jahren haben 25% der 280 diagnostizierten Kindern im Frühstadium  einen klinischen Diabetes entwickelt. Inzwischen läuft die FR1DA-Studien weiter für das Alter von 2 bis 10 Jahren.

Stärkster Risikofaktor: IA-2-Autoantikörper

Welche Risikofaktoren sind mit der Progression assoziiert? Nicht signifikant waren: Alter, Geschlecht, BMI, erstgradige Verwandte, Anzahl der Antikörper. Die stärkste Assoziation war der Faktor IA-2-Autoantikörper. Die Progression beim Stadium 1, die 80% der Kinder im Frühstadium betrifft, liegt nach 3 Jahren bei 30%. Als Risikomarker zeigten sich hier außer den IA-2-Antikörpren auch Übergewicht, HbA1c-Werte.

Die Progression im Frühstadium aufhalten

Heute kann man von Behandlung der Erkrankung sprechen, weil die Frühstadien bereits als Erkrankung definiert werden. Ansätze für Interventionen gibt es viele. Das Konsortium TRIALNet Type 1 Diabetes untersucht verschiedene Therapien. Die meisten Studien beziehen sich auf das Stadium 3, um die Restmasse an Betazellen zu bewahren. Untersucht wurde Rituximab, Abatacept, Teplizumab, ATG/G-CSF. Allen gemeinsam ist: Der protektive Effekt zeigt sich nach einem oder zwei Jahren, ist aber längerfristig nicht zu halten.

Die antigenspezifische Immuntherapie versucht, durch Gabe des Ziel-Antigens Toleranz zu induzieren. Patienten mit relativ kurzer Dauer der Erkrankung hatten gute Effekte, die über 30 Monate aufrecht erhalten wurden. Die Respondergruppen müssen aber noch weiter identifiziert werden.

Eine aktuelle Studie zur Intervention mit oralem Insulin bei Kindern von 2 bis 12 Jahren im Stadium 1, die täglich mit einer höheren Dosierung behandelt werden vs Placebo läuft. Die höchste Dosierung (67,5 mg) erzielt einen Effekt im Sinne einer insulinspezifischen regulativen Immunantwort.

Ausblick: Frühe Diagnosen gehören zur Prävention

Man kann eine gute Risikovorhersage treffen. Das wird genutzt zur Prävention des Autoimmun-Diabetes. Dazu haben sich Diabeteszentren mehrerer europäischer Länder für ein genetisches Screening zusammengetan. Diagnostiziert werden Kinder, die ein 25fach erhöhtes Risiko haben, die dann entsprechend behandelt werden können. Bisher haben 260.000 Kinder teilgenommen. 2024 werden die ersten Ergebnisse erwartet. Eine weitere Studie, die SINTIA-Studie rekrutiert derzeit TeilnehmerInnen im Alter von 7 Tagen bis 6 Wochen mit erhöhtem Diabetes-Risiko.

Quelle: DDG-Kongress 2021, Neue Strategien bei Typ-1-Diabetes