Was essen unsere Kinder?

Eine aktuelle, populationsbasierte Erhebung an knapp 34.000 Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 19 Jahren in den USA ergab: 67 Prozent der täglichen Energiezufuhr entfallen auf Fertignahrungsmittel.

Kinder und Jugendliche verzehren immer mehr Fertignahrungsmittel

Eine aktuelle, populationsbasierte Erhebung an knapp 34.000 Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 19 Jahren in den USA ergab: 67 Prozent der täglichen Energiezufuhr entfallen auf Fertignahrungsmittel.

Die Raten übergewichtiger Kinder befinden sich seit zwei Jahrzehnten in vielen Ländern in einem unaufhörlichen Aufwärtstrend. In den USA waren 2017–2018 14,4 Mio. Menschen zwischen 2 und 19 Jahren übergewichtig, das entspricht einer Prävalenz von 19,3 %.1 In Deutschland waren es laut Daten der KiGGS-2-Studie 21,3 % (2014–2017, Altersspanne 3 bis 17 Jahre, davon 15,4 % mit Übergewicht und 5,9 % mit Adipositas).2

Fertignahrungsmittel haben bei Jugendlichen zugenommen und machen durchweg den größten Teil ihrer Gesamtenergieaufnahme aus

Woher das im Wesentlichen kommt, ist eigentlich kein Rätsel: Fehlernährung und Bewegungsmangel. Eine aktuell im JAMA (Journal of the American Medical Association) erschienene Auswertung einer national repräsentativen, über viele Jahre laufenden Studie – der 'NHANES' (National Health and Nutrition Examination Survey) – ist nicht nur ernüchternd, sondern alarmierend.3,4

Demnach deckten Kinder und Teenager von 2 bis 19 Jahren im Jahr 2018 rund zwei Drittel (67 %) ihrer täglichen Kalorienzufuhr mit ultraverarbeiteten Lebensmitteln. Das ist signifikant mehr als in 'NHANES'-Zyklen der Vorjahre.

Besonders weit vorn rangierten verzehrfertige Gerichte oder Gerichte zum Aufwärmen, wie Pizza und Burger vom Schnellimbiss oder aus dem Tiefkühler: waren es 1999 noch 2,2 %, machten diese 2018 11,2 % der täglichen Energiezufuhr aus. Auch süße Snacks und Süßigkeiten kletterten von 10,7 % auf 12,9 % der täglichen Kalorien. Weitere populäre Vertreter neben eingeschweißten Süßigkeiten und Desserts waren zuckerhaltige Frühstücks-Cerealien, Pommes frites und einige Mittagssnacks wie stark verarbeitete, abgepackte Lyoner- und Salami-Produkte.

Dafür sank der Verzehr von frischen, nicht oder wenig verarbeiteten, Lebensmitteln signifikant. Der verbleibende Anteil entfiel auf mittelstark verarbeitete Lebensmittel, wie Obst- und Gemüsekonserven oder vom Verbraucher zugesetzte Geschmacksverbesserer, wie Zucker, Honig, Ahornsirup und Butter.

Essen, als gäbe es kein Morgen?

In zusätzlichen Analysen verglichen die Wissenschaftler:innen die Zusammensetzung ultraverarbeiteter Lebensmittel mit nicht ultraverarbeiteten Lebensmitteln. "Ultraprocessed foods" aus der Studienperiode 2017/ 2018 enthielten bedeutend mehr Kohlenhydrate und zugesetzte Zucker, aber weniger Ballaststoffe und Proteine (von Vitaminen oder Mineralien ganz zu schweigen, diese gehen durch die Art der Herstellung größtenteils verloren).

Der oft mangelhafte Geschmack solcher minderwertigen Produkte wird zumeist durch ein Mehr an Zucker (oder Zuckerersatzstoffen), Geschmacksverstärkern oder hydrierten Ölen verschleiert. In diesem Beitrag hatten wir bereits dargestellt, wie es der Industrie nach langer Forschung gelungen ist, eine "Fressformel" zu kreieren, die unsere biologischen und psychischen Eigenheiten ausnutzt und das Belohnungssystem so anspricht, dass sie zu übermäßigem Essen verführt und Junkfood für viele Menschen regelrecht zur Sucht werden lässt.

Die zukünftige Generation Kranker?

Die Ernährungsweise war bei den 33.795 Kindern allgegenwärtig: im Kontrast zu anderen Untersuchungen zu diesem Thema waren Kinder unabhängig vom Einkommens- und Bildungsstatus ihrer Eltern gleichermaßen von diesem Trend betroffen. Unterschiede zeigten sich lediglich zwischen ethnischen Gruppen.

Doch die Kalorienzahl oder der Gehalt an Kohlenhydraten, Zucker oder Fett ist nicht allein entscheidend, sondern vielmehr der Grad der Verarbeitung. Das unterstrich eine Goldstandard-Studie des US-amerikanischen Ernährungsforschers Kevin Hall. Zehn Männer und zehn Frauen lebten für einen Monat freiwillig in seinem Labor. Sie durften so viel essen, wie sie wollten, aber: eine Gruppe erhielt ausschließlich hochverarbeitete Lebensmittel, die andere nur aus natürlichen Zutaten frisch zubereitete Speisen. Nach 14 Tagen wurde getauscht. In beiden Gruppen war der Gehalt an Fett, Protein, Kohlenhydraten, Salz und Ballaststoffen vergleichbar. Ebenso war der Kaloriengehalt der angebotenen Lebensmittel gleich.
Doch innerhalb dieses kurzen Zeitraums, 14 Tage, legten die Teilnehmenden unter hochverarbeiteten Lebensmitteln bereits das erste Kilo an Gewicht zu, während es unter frischen Lebensmitteln eher sank. Blutanalysen offenbarten zudem, dass die besondere Zusammensetzung ultraverarbeiteter Lebensmittel die Menge des Hungerhormons Ghrelin hochhielt.5

Vielen Verbraucher:innen ist möglicherweise nicht bewusst, dass selbst ein Lebensmittel, die mit grüner Verpackung und scheinbar gesundheitsbewussten Eigenschaften, wie "vegan", "bio" oder "gentechnikfrei", werben, trotzdem stark verarbeitet sein können. Apps wie 'Open Food Facts' schaffen hier mehr Klarheit, um beim Einkauf den Überblick zu behalten.

Wir ernten, was wir säen

Die Prävalenz von Adipositas nimmt mit dem Alter weiter zu. In Deutschland sind 67 % der Männer und 53 % der Frauen übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m2). Etwa ein Viertel (23 % der Männer, 24 % der Frauen) sind sogar adipös (BMI ≥30 kg/m2).2 Und wir wissen aus einer Vielzahl von Studien, dass Patient:innen, die mehr von solchen ultraverarbeiteten Lebensmitteln verzehren, mit einer Latenz von einigen Jahren ein deutlich höheres Risiko für Typ-2-Diabetes und dessen Folgeerkrankungen, Gelenkbeschwerden, Depressionen und sogar Krebs haben.

"Die Verarbeitung von Lebensmitteln ist ein Aspekt, der in der Ernährungsforschung oft übersehen wird", sagt Prof. Fang Fang Zhang, Leiterin der Forschungsgruppe der aktuellen NHANES-Auswertung und Krebsepidemiologin an der 'Friedman School of Nutrition Science & Policy' an der Tufts University, Boston. "Wir sollten in Betracht ziehen, dass die Ultraverarbeitung einiger Lebensmittel mit Gesundheitsrisiken verbunden sein könnte, unabhängig von dem schlechten Nährstoffprofil ultraverarbeiteter Lebensmittel im Allgemeinen".

Als erstes Land der Welt machte Brasilien die Lebensmittelverarbeitung und nicht die enthaltenen Nährstoffe wie Fett, Zucker, Kohlenhydrate für Übergewicht verantwortlich und warnte ausdrücklich vor dem Verzehr ultraverarbeiteter Lebensmittel. Länder wie Ecuador, Uruguay und Peru folgten diesem Beispiel. Chile beschränkt Werbung für sogenannte Kinderlebensmittel. Auch die französische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Verbrauch hochverarbeiteter Produkte bis 2023 um 20 % zu senken. In Deutschland wird etwas Vergleichbares im Moment nicht diskutiert.5
 

Referenzen:
1. Childhood Obesity Facts | Overweight & Obesity | CDC. (2021).
2. Prävalenz – Adipositas Gesellschaft.
3. Ultraprocessed Foods Now Comprise 2/3 of Calories in Children and Teen Diets. Tufts Now (2021).
4. Wang, L. et al. Trends in Consumption of Ultraprocessed Foods Among US Youths Aged 2-19 Years, 1999-2018. JAMA 326, 519–530 (2021).
5. Neue Lebensmittel-Kennzeichnung - Grünes Licht für Junk-Food. Deutschlandfunk.