Die moderne Medizin und der weibliche Körper – passt das zusammen?

Die Britin Elinor Cleghorn hat ihre Erfahrungen als Patientin zum Anlass genommen, um ein Buch zu schreiben. "Unwell Women" erzählt von der problematischen Beziehung der Medizin zum weiblichen Körper.

"Unwell Women" als Plädoyer für mehr Zuhören

Die Britin Elinor Cleghorn hat ihre Erfahrungen als Patientin zum Anlass genommen, um ein Buch zu schreiben. "Unwell Women" erzählt von der problematischen Beziehung der Medizin zum weiblichen Körper.

Als Elinor Cleghorn ihrem Arzt von ihren Schmerzen erzählte, tat er dies als typisch weibliche Beschwerden ab. Auch als sie später mit Herzproblemen in der Notaufnahme saß, nahm man sie nicht ernst und verschrieb ihr Schmerzmittel. Erst sieben Jahre später wurde bei ihr die Autoimmunkrankheit Lupus diagnostiziert, die neben der Haut und dem Herz auch die Nieren, Muskeln und das Gehirn angreifen und Krankheiten wie Rippenfellentzündungen oder sogar Epilepsie auslösen kann. Viel Leid wäre ihr erspart geblieben, wenn die Ärzte ihre Probleme ernst genommen hätten.

Die britische Kulturhistorikerin hat ihre Erfahrungen als Patientin zum Anlass genommen, um ein Buch über den weiblichen Körper in der Medizin zu schreiben. "Unwell Women: Misdiagnosis and Myth in a Man-Made World (Ungesunde Frauen: Fehldiagnosen und Mythen in einer von Männern gemachten Welt) erzählt von Cleghorns Krankheit und von denen anderer Frauen.

Viele Krankheiten werden bei Frauen falsch behandelt oder nicht erkannt

Tatsächlich geht das Genderproblem weit in die Vergangenheit zurück, als jede Abweichung von der Norm noch als etwas Krankhaftes und Unnatürliches bei Frauen gesehen wurde. Hippokrates hatte zwar bereits erkannt, dass die Körper von Männern und Frauen verschieden waren, allerdings führte er jede Frauenkrankheit auf die Gebärmutter zurück, die nach seinem Verständnis durch den Körper wanderte und nur funktionierte durch regelmäßigen Sex und möglichst viele Schwangerschaften. Als moderne westliche Frau mag man über dieses Abstrusitäten lachen und dennoch haben sie das Verständnis über den weiblichen Körper eine lange Zeit geprägt. Cleghorn hat diesem Thema das erste Kapitel in ihrem Buch gewidmet.

Auch die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern in klinischen Studien macht sie zum Thema. Bis heute noch sind die meisten Probanden in Studien zu Krankheiten und Medikamenten männlich. Obwohl der weibliche Körper auf bestimmte Therapien und Wirkstoffe ganz anders reagiert, werden die Ergebnisse meist 1:1 auf den weiblichen Körper übertragen. Die Folge: Krankheiten werden bei Frauen nicht richtig behandelt - oder gar nicht erst erkannt. Erst seit einigen Jahren wird in Richtlinien eine Frauenquote bei klinischen Studien gefordert, um die unterschiedlichen körperlichen Reaktionen von Männern und Frauen zu ermitteln. Vorreiter sind die USA gewesen, dort forderte die Arzneimittelzulassungsbehörde FDA bereits 1993 in ihren Richtlinien, Frauen in Studien mit einzubeziehen. In der EU wird dies seit 2001 in den offiziellen Richtlinien gefordert, in Deutschland seit 2004. Konkret wird es aber auch in der neuen EU-Fassung von 2014 und einem Zusatz aus dem Jahr 2017 nicht und so sind Frauen aus Kosten- und Zeitgründen in klinischen Forschungen noch immer unterrepräsentiert.

Ärzt:innen sollen ihre Patient:innen frei von Vorurteilen behandeln

Für Cleghorn ist es aber vor auch die Einstellung von Ärzten und auch Ärztinnen zu ihren weiblichen Patienten, die noch immer von einer auf den Mann ausgerichteten Medizin geprägt ist und verantwortlich dafür ist, dass Beschwerden bei Frauen oft als etwas Hormonelles abgetan werden oder darauf, dass Frauen als körperlich und geistig schwächer angesehen werden. Cleghorn führt in ihrem Buch einige Beispiele anderer Frauen auf. Auch Prominente wie die Tennisspielerin Serena Williams sind vor Vorurteilen nicht sicher. Sie hatte nach der Geburt ihres Kindes Probleme beim Atmen. Die Krankenschwester dachte, das würde an den starken Schmerzmitteln liegen. Und obwohl Williams vor einigen Jahren eine Lungenembolie gehabt hatte, wurde erst nach mehrmaliger Aufforderung eine Untersuchung gemacht, die ihr womöglich das Leben rettete.

Cleghorn will mit ihrem Buch erreichen, dass Hausärzt:innen, Pflegepersonal, Chirurgen:innen oder Forschende vom Maßstab des männlichen Modellpatienten abweichen und auf spezifische Differenzen blicken. Und sie will Frauen dazu ermutigen, ihre Geschichten zu erzählen, sich Gehör zu verschaffen und ihr Recht auf eine geschlechtergerechte Behandlung einzufordern.