HER2-low: Paradigmenwechsel in der Therapieabfolge beim metastasierten Mammakarzinom

Das Konzept von HER2-low hat die Behandlungsstrategie bei HR-positiven Erkrankungen grundlegend neu gestaltet. DESTINY-Breast06 bestätigt, dass ADCs nach einer CDK4/6-Hemmung eine wesentlich frühere Rolle im Behandlungsverlauf einnehmen sollten.

Der Wendepunkt für ADCs

Die Einführung des HER2-low-Konzepts markiert einen der bedeutsamsten Umbrüche im modernen Verständnis und der Therapie des Mammakarzinoms. Durch das Infragestellen der seit langem bestehenden Dichotomie zwischen HER2-positiven und HER2-negativen Tumoren hat diese biologisch heterogene Untergruppe einen therapeutischen Raum eröffnet, in dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) zunehmend eine zentrale Rolle spielen und nicht mehr nur eine nachrangige Option darstellen. Die Veröffentlichung von DESTINY-Breast06 kennzeichnet einen entscheidenden Meilenstein: Zum ersten Mal kann die frühzeitige Integration von Trastuzumab Deruxtecan (T-DXd) nach Versagen einer CDK4/6-Inhibition nicht als experimenteller Ansatz, sondern als rationale und die klinische Praxis verändernde Therapiesequenz diskutiert werden.

Seit mehr als einem Jahrzehnt basiert die Therapie HR-positiver/HER2-negativer Mammakarzinome auf zwei Säulen: endokrine Therapie und progressive Kombinationen, die darauf abzielen, die Chemotherapie hinauszuzögern. CDK4/6-Inhibitoren haben die Erstlinienbehandlung verändert, aber die therapeutischen Optionen nach der Progression blieben vielfältig, wenig strukturiert und ohne klaren Algorithmus. Der neu etablierte HER2-low-Phänotyp und die Wirksamkeit von ADCs bieten eine alternative Logik: Anstatt den zytotoxischen Druck zu erhöhen, können Onkologen die zielgerichtete Therapie auch bei Tumoren nutzen, die die klassischen HER2-amplifizierten Kriterien nicht erfüllen. DESTINY-Breast04 legte den Grundstein, indem es einen bedeutenden Nutzen von T-DXd bei vorbehandelten Patientinnen nachwies, aber der eigentliche Wendepunkt kam mit der DESTINY-Breast06-Studie, die die Strategie zu einem früheren Zeitpunkt im metastasierten Verlauf untersuchte.

Die Relevanz von DESTINY-Breast06 liegt weniger in den statistischen Ergebnissen als vielmehr in den klinischen Konsequenzen. Durch den Nachweis der Überlegenheit gegenüber der Standard-Chemotherapie bei Patientinnen, deren Erkrankung nach endokriner Therapie und CDK4/6-Hemmung fortgeschritten war, bestätigte die Studie drei zentrale Erkenntnisse: Erstens ist HER2-low keine rein formale Verfeinerung der HER2-negativen Erkrankung, sondern eine therapeutisch verwertbare biologische Eigenschaft. Zweitens können ADCs mit der traditionellen Rolle der Chemotherapie in frühen Post-Progressions-Therapielinien konkurrieren und diese bei ausgewählten Patientinnen sogar übertreffen. Drittens sollte die Therapieplanung nicht länger an die traditionelle Vorstellung gebunden sein, dass neuartige Wirkstoffe nur als letzte Behandlungsoption bei weit fortgeschrittener Erkrankung eingesetzt werden sollten – eine Herangehensweise, die in der Vergangenheit den Zugang zu innovativen Wirkstoffen eingeschränkt hat.

Aus diesem Grund stellt die Studie einen echten Paradigmenwechsel dar: Sie fügt nicht einfach ein Medikament hinzu, sondern strukturiert die Reihenfolge der Maßnahmen neu. Die Frage der behandelnden Ärzteschaft lautet nun weniger „ob", sondern vielmehr „wie früh" ein ADC eingesetzt werden soll. Ebenso wichtig ist, dass die Studie einen umfassenderen kulturellen Wandel unterstützt: weg von der Unvermeidbarkeit der Chemotherapie hin zur Präzision zielgerichteter Therapien. Mit anderen Worten: Die Chemotherapie bleibt relevant, ist aber nicht mehr der zentrale Angelpunkt bei HR-positiven metastasierten Erkrankungen, sobald eine endokrine Resistenz auftritt.

Eine neue Logik für die Sequenzierung

Die Patientenauswahl rückt bei dieser Veränderung zunehmend in den Mittelpunkt. Nicht alle HER2-negativen Tumoren verhalten sich einheitlich, und der Grad der HER2-Expression, ihre räumliche Heterogenität und die sich wandelnde Rolle der Pathologie bei der Definition von niedrig- versus ultraniedriggradigen Erkrankungen spielen nun eine wichtige Rolle bei der täglichen Entscheidungsfindung. DESTINY-Breast06 bekräftigt die Vorstellung, dass die Wahl der Behandlung nicht einfach dem Fortschreiten der Erkrankung folgen sollte, sondern der zugrundeliegenden Tumorbiologie. Dies erfordert eine proaktivere Herangehensweise an die Therapieabfolge, bei der eine frühere Einführung von ADCs in Betracht gezogen wird, wenn eine endokrine Erschöpfung mit einem therapeutisch adressierbaren HER2-Signal einhergeht, anstatt dies zugunsten einer Erschöpfung der chemotherapiebasierten Optionen hinauszuzögern. In diesem Sinne fungiert HER2-low als klinischer Kompass: Es schreibt nicht den einen Weg vor, verhindert jedoch, dass Onkologen nach dem Auftreten einer endokrinen Resistenz im Dunkeln tappen.

Die zunehmende Verwendung von T-DXd in klinischen Behandlungspfaden beeinflusst bereits Leitlinien und multidisziplinäre Diskussionen. Auch wenn eine vollständige algorithmenbasierte Standardisierung eine längere Nachbeobachtungszeit und eine Bestätigung des Überlebensvorteils erfordert, ist die Richtung eindeutig. Für Patientinnen mit einem angemessenen Leistungsstatus und kontrollierbaren Komorbiditäten wird eine frühere Anwendung von ADCs immer attraktiver, insbesondere wenn das Ziel darin besteht, die Krankheit mit höherer Präzision und potenziell besserer Lebensqualität im Vergleich zu unspezifischen zytotoxischen Therapien zu kontrollieren.

Eine Vorverlagerung in der Therapieabfolge bringt jedoch auch Verantwortung mit sich. Interstitielle Lungenerkrankung (ILD) und Pneumonitis bleiben die bedeutendsten Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit T-DXd, und die in früheren DESTINY-Studien gesammelten Erfahrungen unterstreichen die Bedeutung einer frühzeitigen Erkennung, einer sorgfältigen Bildgebung und einer niedrigen Schwelle für die Unterbrechung der Behandlung. DESTINY-Breast06 ändert nichts an dieser Sicherheitsproblematik, sondern verstärkt deren Relevanz, indem es ADCs in eine Patientinnenpopulation einführt, die möglicherweise über einen längeren Zeitraum dem Medikament ausgesetzt ist. Innovationen in der Therapieabfolge müssen daher mit fundiertem Toxizitätsmanagement, gemeinsamer Entscheidungsfindung und multidisziplinärer Überwachung einhergehen.

Der Horizont erweitert sich stetig. Die Studie untermauert auch die Vorstellung, dass die HER2-Expression entlang eines Spektrums verläuft, was das Interesse an neuen Kategorien wie „HER2-ultralow“ weckt. Obwohl sich diese Entwicklungen noch in der Erprobungsphase befinden, deuten sie darauf hin, dass die HER2-Biologie eher als Kontinuum für die Eignung für ADC-Therapien denn als binäre Klassifizierung dienen könnte. Mit der Entwicklung weiterer ADC-Therapien und Wirkstofftechnologien dürfte sich die erstmals in der Studie DESTINY-Breast06 herauskristallisierte Logik eher ausweiten als einschränken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bedeutung des vergangenen Jahres für den metastasierten Brustkrebs nicht in der Einführung eines weiteren Wirkstoffs liegt, sondern in der deutlichen Veränderung der Therapieabfolge. DESTINY-Breast06 liefert Onkologen nicht nur die Evidenz, sondern auch die klinische Rechtfertigung, die Reihenfolge der Therapien zu überdenken und den Raum für konventionelle Chemotherapien zugunsten eines zielgerichteten Ansatzes zu verringern, der sich die HER2-gerichtete Wirkstoffabgabe zunutze macht. Der Wandel ist sowohl konzeptioneller als auch praktischer Natur: HER2-low-Erkrankungen sind nun eine behandelbare Entität, und ADCs sind von einer therapeutischen Option zu einer strategischen Säule geworden.

Die Behandlungslandschaft nach CDK4/6-Inhibition ist nicht mehr durch die Unvermeidbarkeit einer Chemotherapie definiert. Mit DESTINY-Breast06 wird die HER2-arme Erkrankung zu einer zentralen therapeutischen Kategorie, und T-DXd erhält eine frühere und klarere Rolle. Die Aktualisierung von 2025 lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Therapieabfolge hat sich geändert, und die onkologische Versorgung muss diese Entwicklung in die klinische Praxis integrieren.

Quellen und weiterführende Literatur
  1. Modi S, Jacot W, Yamashita T, Sohn J, Vidal M, Tokunaga E, Tsurutani J, Ueno NT, Prat A, Chae YS, Lee KS, Niikura N, Park YH, Xu B, Wang X, Gil-Gil M, Li W, Pierga JY, Im SA, Moore HCF, Rugo HS, Yerushalmi R, Zagouri F, Gombos A, Kim SB, Liu Q, Luo T, Saura C, Schmid P, Sun T, Gambhire D, Yung L, Wang Y, Singh J, Vitazka P, Meinhardt G, Harbeck N, Cameron DA; DESTINY-Breast04 Trial Investigators. Trastuzumab Deruxtecan in Previously Treated HER2-Low Advanced Breast Cancer. N Engl J Med. 2022 Jul 7;387(1):9-20. doi: 10.1056/NEJMoa2203690. Epub 2022 Jun 5. PMID: 35665782; PMCID: PMC10561652.
  2. Cortés J, Kim SB, Chung WP, Im SA, Park YH, Hegg R, Kim MH, Tseng LM, Petry V, Chung CF, Iwata H, Hamilton E, Curigliano G, Xu B, Huang CS, Kim JH, Chiu JWY, Pedrini JL, Lee C, Liu Y, Cathcart J, Bako E, Verma S, Hurvitz SA; DESTINY-Breast03 Trial Investigators. Trastuzumab Deruxtecan versus Trastuzumab Emtansine for Breast Cancer. N Engl J Med. 2022 Mar 24;386(12):1143-1154. doi: 10.1056/NEJMoa2115022. PMID: 35320644.
  3. ClinicalTrials.gov. DESTINY-Breast06: Trastuzumab deruxtecan in HR-positive, HER2-low or HER2-ultralow metastatic breast cancer (NCT04494425). 
  4. Cardoso F, Paluch-Shimon S, Senkus E, Curigliano G, Aapro MS, André F, Barrios CH, Bergh J, Bhattacharyya GS, Biganzoli L, Boyle F, Cardoso MJ, Carey LA, Cortés J, El Saghir NS, Elzayat M, Eniu A, Fallowfield L, Francis PA, Gelmon K, Gligorov J, Haidinger R, Harbeck N, Hu X, Kaufman B, Kaur R, Kiely BE, Kim SB, Lin NU, Mertz SA, Neciosup S, Offersen BV, Ohno S, Pagani O, Prat A, Penault-Llorca F, Rugo HS, Sledge GW, Thomssen C, Vorobiof DA, Wiseman T, Xu B, Norton L, Costa A, Winer EP. 5th ESO-ESMO international consensus guidelines for advanced breast cancer (ABC 5). Ann Oncol. 2020 Dec;31(12):1623-1649. doi: 10.1016/j.annonc.2020.09.010. Epub 2020 Sep 23. PMID: 32979513; PMCID: PMC7510449.
  5. Hu X, Curigliano G, Yonemori K, Bardia A, Barrios CH, Sohn J, Lévy C, Jacot W, Tsurutani J, Roborel de Climens A, Wu X, Andrzejuk-Ćwik A, Mbanya Z, Dent R. Patient-reported outcomes with trastuzumab deruxtecan in hormone receptor-positive, HER2-low or HER2-ultralow metastatic breast cancer: results from the randomized DESTINY-Breast06 trial. ESMO Open. 2025 May;10(5):105082. doi: 10.1016/j.esmoop.2025.105082. Epub 2025 May 15. PMID: 40441802; PMCID: PMC12167881.