Bereits im Jahr 2005 - also vor gut 20 Jahren – hat die Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (IARC) bestimmte kombinierte Hormonpräparate zur Empfängnisverhütung und als krebserregend für den Menschen eingestuft. Dabei hatte die IARC jedoch keine Risiko-Nutzen-Analysen für verschiedene Länder oder Bevölkerungsgruppen erstellt.
Bereits wenige Monate nach Veröffentlichung der Liste mit den potentiell krebserregenden Kontrazeptiva äußerte die Forschungsgruppe um Schneider HPG. et al. daher ihre Bedenken: Die Schlussfolgerungen der IARC seien höchst umstritten, da kein definitiver Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen Östrogenen und der Fortpflanzungsorgane erbracht werden konnte - dies wäre jedoch im Tiermodell durch Nachvollziehbarkeit der Wirkungsmechanismen möglich.2,3
Welche Faktoren spielen eine Rolle für bestimmte Krebsarten?
Antibabypillen, die üblicherweise zur Empfängnisverhütung eingesetzt werden, enthalten synthetische Hormone wie und Progesteron, die die natürlichen Sexualhormone nachahmen, um den Eisprung zu verhindern. Seit 1985 sind Östrogene als bekannte Humankarzinogene eingestuft, und Progesteron gilt als wahrscheinlich krebserregend.
Die Forschung hat gezeigt, dass die Einnahme von Antibabypillen zwar mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten wie Brust- und Gebärmutterhalskrebs verbunden ist, der Zusammenhang jedoch komplex ist und je nach Dosierung, Dauer der Einnahme und individuellen Risikofaktoren variiert. Einige Studien deuten darauf hin, dass die Beendigung nach langfristiger Pilleneinnahme das auf das Niveau von Nichtanwenderinnen zurückgehen kann. Gleichzeitig wird die Antibabypille mit einem geringeren Risiko für andere Krebsarten, wie Eierstock- und Gebärmutterschleimhautkrebs, in Verbindung gebracht, was möglicherweise auf eine Reduzierung der zurückzuführen ist.
Die Einnahme der Antibabypille ist weit verbreitet, vor allem bei Frauen im gebärfähigen Alter in den Industrieländern. Für die Anwenderinnen ist es wichtig, die potenziellen Risiken und Vorteile abzuwägen und dabei auch Lebensstilfaktoren zu berücksichtigen, die das Krebsrisiko ebenfalls beeinflussen können.1-5
Kontroverse über die Karzinogenität der kombinierten Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva und Gestagen-only-Kontrazeptiva
Kombinierte Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva und sind synthetische Steroide, die an Steroidhormonrezeptoren binden, die im gesamten Körper verbreitet sind. Sie haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die Zellphysiologie. Kombinierte orale Kontrazeptiva wurden von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als Karzinogene der Gruppe 1 eingestuft- jedoch wurden ihre Erkenntnisse in letzter Zeit nicht aktualisiert. Daher führte eine Forschungsgruppe im Jahr 2019 eine umfassende Literaturrecherche hierzu durch.
In Übereinstimmung mit der IARC bestätigt die Analyse der aktuellen Literatur (bis 2019) dieser Forschungsgruppe ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs bei der Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva. Gleichzeitig bestätigt die aktuelle Literatur auch die Schlussfolgerung der IARC, dass kombinierte orale Kontrazeptiva das Risiko für - und Gebärmutterkrebs senken können.4
Was spricht für Karzinogenität von kombinierten Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva?
Die Karzinogenität von kombinierten Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva wurde von IARC-Arbeitsgruppen erstmals 1998 und dann erneut im Jahr 2005 bewertet. Diese Bewertung wurde jedoch zuletzt nur mit Studien aktualisiert, die bis Mai 2008 veröffentlicht worden sind (IARC 2012). Seitdem wurden mehrere wichtige Studien publiziert, von denen die meisten die Einstufung von kombinierten Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva durch die IARC als Karzinogene der Gruppe 1 unterstützen. Sie stimmen mit der Bewertung der IARC für bestimmte Krebsarten überein:
- Die Daten dieser Studien zeigen ein erhöhtes Brustkrebsrisiko bei der Anwendung kombinierter Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva.
- Brustkrebs ist mit Abstand die häufigste Krebsart bei Frauen und betrifft jede achte Frau. Dies weist auf eine erhebliche Anzahl potenziell zusätzlicher Krebsfälle hin.
- Eine große Registerstudie konnte ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs - RR von 1- bestätigen.4
Was spricht gegen die Karzinogenität von kombinierten Östrogen-Gestagen-Kontrazeptiva?
Seit ihrer Einführung in den 1960er Jahren haben bereits Millionen Frauen kombinierte orale Kontrazeptiva zur genutzt. In einem Review aus dem Jahr 2022 wurden die modifizierenden Wirkungen kombinierter oraler Kontrazeptiva auf die Karzinogenese bewertet. Dazu wurden Studien aus den letzten 20 Jahren herangezogen. Die Forschungsgruppe konnte zeigen, dass sich die Gesamtwahrscheinlichkeit für Krebserkrankungen durch die Verwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva nicht verändert hat:
- Ein erhöhtes Brustkrebsrisiko bei der Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva wurde in der Literatur nicht einheitlich bestätigt.
- Die Ergebnisse reichen von keinem erhöhten Risiko bis zu einem Anstieg des Risikos um 20 % bis 30 %.
- Das möglicherweise erhöhte Krebsrisiko scheint vorübergehend zu sein und ist auf eine kürzliche bzw. aktuelle regelmäßige Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva beschränkt.
- Die Daten zeigen, dass die fortgesetzte und langfristige Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva das Risiko für Gebärmutter-, - und Eierstockkrebs sogar senken kann.
- In Hochrisikogruppen (Krebs in der Familienanamnese oder BRCA-Trägerinnen) konnte ein erhöhtes Risiko bei der Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva nicht eindeutig belegt werden.
- Bei Gebärmutterhalskrebs scheinen kombinierte orale Kontrazeptiva das Risiko bei einer Einnahme von mehr als 5 Jahren zu erhöhen. Jedoch nimmt das erhöhte Risiko nach Absetzen der kombinierten oralen Kontrazeptiva wieder ab.5
Fazit für die Praxis?
Die aktuelle wissenschaftliche Evidenz zeigt ein differenziertes Bild: Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva können das Risiko für bestimmte Krebsarten geringfügig erhöhen, während sie gleichzeitig vor anderen Krebsarten schützen. Für die individuelle Entscheidung sollten Frauen gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt persönliche Risikofaktoren, Familiengeschichte und abwägen. Eine regelmäßige gynäkologische Vorsorge ist besonders für Anwenderinnen hormoneller Kontrazeptiva wichtig. Die Forschung zu diesem Thema entwickelt sich kontinuierlich weiter, weshalb aktuelle Studienergebnisse in die Beratung einfließen sollten.
Die teils widersprüchlichen Daten aus veröffentlichten Studien und Meta-Analysen werfen jedoch auch kritische Fragen auf: Welchen Forschungsgruppen und sollte man Vertrauen schenken? Wie kann das tatsächliche Krebsrisiko für die individuelle Frau verlässlich eingeschätzt werden? Und wer kann in diesem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Evidenz und persönlicher Gesundheitsvorsorge wirklich Klarheit schaffen?
- Schneider HP, Mueck AO, Kuhl H. IARC monographs program on carcinogenicity of combined hormonal contraceptives and menopausal therapy. Climacteric. 2005 Dec;8(4):311-6. doi: .
- Williams WV. et al. (2018). Association of Combined Estrogen-Progestogen and Progestogen-Only Contraceptives with the Development of Cancer. Linacre Q. 2018 Nov;85(4):412-452. doi: .
- Kamani M, Akgor U, Gültekin M. Review of the literature on combined oral contraceptives and cancer. Ecancermedicalscience. 2022 Jun 23;16:1416. doi: .