Darmtoxin Colibactin: Möglicher Schlüsselfaktor für steigende Darmkrebsraten bei jungen Erwachsenen

Eine aktuelle Studie der University of California zeigt: Colibactin, ein von E. coli produziertes Toxin, könnte maßgeblich zur Zunahme von Darmkrebs bei unter 40-Jährigen beitragen.

Beunruhigende Zunahme von Darmkrebs bei jungen Erwachsenen

Die Verdopplung der Darmkrebsfälle bei Menschen unter 55 Jahren in den letzten zwei Jahrzehnten stellt Mediziner und Krebsforscher vor ein Rätsel. Eine neue Studie der University of California, San Diego, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature, bringt nun einen potenziellen Mitverursacher ins Spiel: Colibactin, ein DNA-schädigendes Toxin, das von bestimmten E. coli-Stämmen produziert wird.

Studienergebnisse: Starke Korrelation zwischen Colibactin und früh auftretendem Darmkrebs

Das Forscherteam um Ludmil Alexandrov analysierte Gewebeproben von nahezu 1.000 Darmkrebspatienten von vier Kontinenten. Die Mehrheit der Krebsgewebe wies charakteristische Mutationsmuster auf, die auf eine frühere Exposition gegenüber Colibactin hindeuteten. Besonders auffällig: Patienten unter 40 Jahren zeigten drei- bis fünfmal häufiger diese spezifischen Mutationen als Patienten über 70 Jahre.

Colibactin, von Alexandrov als "Waffensystem der Bakterien im Kampf gegen andere Bakterien" beschrieben, ist ein Genotoxin, das die DNA menschlicher Zellen schädigen kann. Bei manchen Menschen richtet sich diese bakterielle "Waffe" offenbar gegen Darmzellen und sät Mutationen, die das Krebsrisiko erhöhen.

Frühe Kindheit als kritisches Zeitfenster

Eine überraschende Erkenntnis der Studie ist der zeitliche Abstand zwischen Exposition und Krebsentstehung. Die Daten deuten darauf hin, dass die Colibactin-Exposition nicht zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose andauert, sondern bereits in der Kindheit stattgefunden hat.

"Unsere Schätzung ist, dass die Exposition innerhalb der ersten zehn Lebensjahre erfolgt", erklärt Alexandrov. "Wenn diese Mutation im Alter von fünf Jahren auftritt, beschleunigt das die Darmkrebsentwicklung um 20 bis 30 Jahre."

Multifaktorielle Ursachen statt einfacher Erklärungen

Obwohl die Studie einen starken Zusammenhang zeigt, kann sie keinen kausalen Nachweis erbringen. Christian Jobin, Mikrobiom-Forscher an der University of Florida, betont: "Es wäre zu einfach, E. coli oder ein einzelnes Mikroorganismus als alleinigen Verursacher zu betrachten." Wahrscheinlicher sei, dass Colibactin – das auch von anderen Bakterien produziert werden kann – einer von mehreren "Treffern" im Mikrobiom ist, die gemeinsam bei manchen Menschen eine beschleunigte Krebsentwicklung auslösen.

Umweltfaktoren als mögliche Auslöser

Die Studie bietet neue Hinweise auf die Ursachen des zunehmenden Darmkrebses bei jungen Menschen. Wissenschaftler vermuten, dass eine Kombination von Umweltfaktoren – darunter Ernährung, sitzender Lebensstil und Medikamenteneinnahme – diesen steilen Anstieg verursacht.

Etwa 20-30% der Menschen tragen E. coli-Stämme in sich, die Colibactin produzieren können. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass dieses Toxin schädliche Auswirkungen hat. "Es ist kein neuartiger Infektionserreger, der einfach eliminiert werden muss", betont Jobin. Die entscheidende Frage lautet: Was provoziert die Bakterien, dieses Toxin zu produzieren?

Geografische Unterschiede und Risikofaktoren

Die Genom-Sequenzierung von Krebsgewebe aus verschiedenen Regionen der Welt zeigte, dass Colibactin-assoziierte Mutationen in "ländlichen, nicht-industrialisierten" Regionen Afrikas und Asiens selten sind, während sie in den USA und Westeuropa häufiger auftreten.

Diese Erkenntnis, zusammen mit dem frühen Zeitpunkt der Exposition, liefert mehrere Hypothesen über mögliche Risikofaktoren:

Bedeutung für die klinische Praxis

In Zukunft sollte ein Darmkrebs-Screening auch bei jüngeren Patienten mit entsprechenden Symptomen öfter in Betracht gezogen werden. Eine gründliche Anamnese frühkindlicher Faktoren (Antibiotika-Exposition, Geburt, Ernährung) könnte zudem bei der Risikostratifizierung helfen.

Die Ergebnisse implizieren ein gewisses Präventionspotenzial: Perspektivisch könnten Mikroorganismen als Biomarker für die Identifizierung von Risikopersonen dienen und möglicherweise gezielt Medikamente entwickelt werden, die Toxine wie Colibactin neutralisieren.

Dr. Neelendu Dey vom Fred Hutchinson Cancer Center warnt jedoch: "Wenn man versucht, eine Spezies zu eliminieren oder einzuführen, kann das unvorhergesehene Auswirkungen haben. Dies muss sehr sorgfältig durchdacht werden."

Lesen Sie hier den englischsprachigen Originalartikel.