Neue Oral Drugs für chronische entzündliche Darmerkrankungen: "Ein Schlüsselmoment für unser Fach"

Beeindruckende neue Forschungsergebnisse werden bei der UEG-Week, dem größten europäischen Kongress der Gastroenterolog:innen, vorgestellt. Welche ihn besonders beeindrucken, berichtet Prof. Herbert Tilg von der Medizinischen Universität Innsbruck, Chair des wissenschaftlichen Komitees der UEG Week, im esanum-Interview.

Beeindruckende neue Forschungsergebnisse werden bei der UEG-Week, dem größten europäischen Kongress der Gastroenterolog:innen, vorgestellt. Welche ihn besonders beeindrucken, berichtet Prof. Herbert Tilg von der Medizinischen Universität Innsbruck, Chair des wissenschaftlichen Komitees der UEG Week, im esanum-Interview.

esanum: Prof. Tilg, was sind die wissenschaftlichen Highlights des Gastroenterologiekongresses? 

Tilg: Ein Riesenthema sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Sie betreffen etwa ein Prozent der Bevölkerung – meistens junge Leute im dritten Lebensjahrzehnt, verbreitet besonders in der westlichen Welt. Und damit sind sie für unsere Gesellschaft natürlich hochrelevant. Die Erkrankung zieht eine lebenslange entzündungshemmende Therapie nach sich. Jetzt sehen wir eine rasche Weiterentwicklung der Medizin auf diesem Gebiet. Es gibt eine Reihe von neuen Therapien, die demnächst in der Behandlung zur Verfügung stehen werden. Der wesentliche Fortschritt ist, dass wir damit erstmals für Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn sogenannte oral drugs haben, also neue, relativ verträgliche Medikamente in Tablettenform. Darauf warten wir seit Jahrzehnten und somit ist das ein Schlüsselmoment für unser Fach. Die Zulassungen werden in den nächsten Monaten erfolgen.

esanum: Was ist gerade noch besonders spannend?

Tilg: Wir haben sehr gute Daten bei der Gastroparese gesehen. Das ist eine Erkrankung des Magens, die vor allem Diabetiker betrifft. Es kommt dabei zu einer Verlangsamung der Magenfunktion, das führt zu Übelkeit, Erbrechen und schlechter Lebensqualität. Dafür hatten wir bisher relativ wenige Therapiemöglichkeiten. Jetzt berichten Kolleginnen über eine einfache endoskopische Operation. Über eine Magenspiegelung erfolgt ein kleiner endoskopischer Eingriff am Magenausgang, bei dem der Ausgangsmuskel durchtrennt wird. Durch diesen ziemlich schonenden Zugang kommt es zu einem sehr hohen Prozentsatz zu einer klinischen Besserung. Die Daten der kontrollierten Studie sind durchaus spektakulär. Wenn sie sich in weiteren Studien bestätigen lassen, kann man das als Durchbruch bei dieser Erkrankung bezeichnen.

esanum: Ihr Spezialgebiet sind ja Fettlebererkrankungen. Was ist hier gerade in der Forschung an Neuigkeiten zu vermelden?

Tilg: Das Thema betrifft immerhin ein Drittel der Bevölkerung und für ein Zehntel von ihnen ist das klinisch relevant, da die Leber sich entzündet und vernarbt. Da ist die Medizin gerade in großen Therapiestudien unterwegs, die alle darauf abzielen, dass es zu einer Verbesserung der Leberentzündung und der Narbenbildung kommt. Aber wir müssen betonen, dass wir nach wie vor keine etablierte, zugelassene Therapie haben – außer der Gewichtsabnahme. Und diese ist bekanntlich ein schwieriges Unterfangen. Hier spielt neuerdings auch die Endoskopie eine Rolle. Auch in der bariatrischen Chirurgie entwickeln sich endoskopische, also weniger invasive Verfahren. Das heißt, dass man auch hier über eine Magenspiegelung bestimmte Anteile des Magens oder des oberen Dünndarms an der Schleimhautoberfläche verändert – und damit kommt es zur Gewichtsabnahme und einer Verbesserung der Fettleber. Das ist alles sehr im Fluss und für unser Fach ein zentrales Thema.

esanum: Welche Rolle spielen die Zytokine in dem Zusammenhang? Was gibt es hier Neues?

Tilg: Das ist natürlich ein Riesenthema und mein Schwerpunkt sei 35 Jahren. Zytokinhemmung spielt bei allen Formen der chronischen Entzündungen im Darm, an der Haut, im Knochen eine zentrale Rolle - auch die neuen oralen Medikamente zur Behandlung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wirken ja vor allem, weil sie Zytokine hemmen. Zur Zytokinhemmung insgesamt werden interessante neue Daten berichtet, zum Beispiel über neue Medikamente, die unter die Haut verabreicht werden.

esanum: Wenn Sie seit 35 Jahren an dem Thema arbeiten – was ist jetzt das Allerneuste?

Tilg: Das Allerneuste ist, dass wir durch intelligente, weiterentwickelte Medikamente Entzündungen kontrolliert stoppen können. Das ist einer der wesentlichen Fortschritte.

esanum: Was genau nehmen Sie in ihrer wissenschaftlichen Arbeit aktuell in den Blick?

Tilg: Unsere Forschungsgruppe beschäftigt sich sehr mit der Entstehung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Wir wollen verstehen: Was sind ursächliche Faktoren? Welche Rolle spielt die Ernährung? Ein komplexes, schwieriges Thema. Diese Erkrankung bekommen ja schon Kinder und junge Menschen, die noch gar nicht so viel Leben mit beispielsweise ungesunder Ernährung hinter sich haben. Wir tappen da noch ziemlich im Dunkeln und es bleibt spannend.