Assistenzarzt ist der völlig falsche Begriff

Die Ärztekammer Schleswig-Holstein hat ein Statement veröffentlicht, in dem sie dafür plädiert, die Bezeichnung Assistenzarzt in Arzt bzw. Ärztin in der Weiterbildung oder weiterbildende Ärztin bzw. Arzt umzubenennen. Der Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Henrik Herrmann, beantwortet Nachfragen von esanum.

Die Ärztekammer Schleswig-Holstein hat ein Statement veröffentlicht, in dem sie dafür plädiert, die Bezeichnung Assistenzarzt in Arzt bzw. Ärztin in der Weiterbildung oder weiterbildende Ärztin bzw. Arzt umzubenennen. Im gleichen Zusammenhang hat sie sich gegen eine Zwangsverpflichtung ausgesprochen, die Medizinstudierende bereits zu Studienbeginn darauf festlegt, nach der Approbation für eine bestimmte Zeit als Landärztin beziehungsweise Landarzt tätig zu sein. Der Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Henrik Herrmann, beantwortet Nachfragen von esanum.

esanum: Prof. Herrmann, was an dem Begriff Assistenzarzt ist nicht richtig?

Herrmann: Das Wort Assistenzarzt suggeriert, dass man nur assistiert. Es handelt sich aber um approbierte Ärztinnen und Ärzte, die die gesamte Heilkunde ausüben dürfen. Mit dem Tag der Approbation könnte eine Ärztin, ein Arzt theoretisch eine Herz-Operation machen. Das wäre rechtlich kein Problem. Sie bzw. er müsste nur nachweisen, dass entsprechende Kompetenzen vorhanden sind. Der Grund für die irreführende Bezeichnung ist ja, dass diese Kolleginnen und Kollegen noch in der Facharztweiterbildung sind. Deswegen wäre die richtige Berufsbezeichnung Ärztin/Arzt mit dem Zusatz: sich Weiterbildende. In vielen Gesundheitsberufen wird der Begriff Assistent/in gerade umbenannt. Die MTA heißen jetzt zum Beispiel Medizinische Technologen. Weil assistieren eben helfend, beistehend meint.

esanum: Was hat Sie dazu veranlasst, einen so eingebürgerten Begriff ändern zu wollen?

Herrmann: Als ich selbst vor 40 Jahren „Assistenzarzt“ war, hat mich der Begriff schon gestört. In vielen ärztlichen Diskussionen haben wir immer wieder festgestellt, der Begriff ist falsch. Und jetzt hatten wir den „Tag des Assistenzarztes“ und das war der Anlass, diese Diskussion anzustoßen.

esanum: Ist der Begriff Assistenzarzt also abwertend für Sie?

Herrmann: Ja, genau. Vor dem Hintergrund des Spektrums, was diese Kolleginnen und Kollegen leisten.

esanum: Was soll man also aufs Namensschildchen schreiben?

Herrmann: Weiterbildungsärztin/-Arzt oder Weiterbildende Ärztin/Arzt. Aber bitte nicht AIW, das weckt schmerzliche Erinnerungen an den AIP: Arzt im Praktikum. Dieser wurde Ende der 80er Jahre eingeführt, als es zu viele Ärzte gab, wurde zum Glück aber vor ungefähr 15 Jahren abgeschafft. Das waren nämlich auch approbierte Ärztinnen und Ärzte, die aber mit halbem Gehalt dieselbe Arbeit gemacht haben wie andere.

esanum: Handelt es sich auch ein bisschen um Wortkosmetik?

Herrmann: Nein, dieser Arzt assistiert nicht, sondern übt Heilkunde aus. Es ist wichtig, klar herauszustellen, dass es nicht Ärztinnen, Ärzte zweiter Ordnung sind. Sie können mehr als der Begriff suggeriert und haben in der Praxis eine ganz andere Stellung. Diejenigen, die jetzt als Assistenzärzte bezeichnet werden, erleben gerade eine ganz wichtige Periode in der Arztwerdung. Gerade diese ersten Jahre in der Berufstätigkeit haben einen enormen Stellenwert. Es werden nicht nur all die Erfahrungen und Fähigkeiten für den Facharzt erlernt, es werden auch Haltungen vermittelt. Das muss unterstützt werden - durch bessere Weiterbildung, bessere Arbeitsbedingungen, interessante didaktische Angebote. Das geschieht nicht einfach nebenbei, darauf müssen wir mehr Wert legen.

esanum: Haben die Betroffenen selbst großes Interesse daran, anders genannt zu werden?

Herrmann: Gute Frage. Der Begriff existiert ja quasi schon immer, eine Änderung ist natürlich schwierig. Aber wir sind der Meinung, dass wir damit anfangen müssen. Es gibt ja Gesundheitssysteme, wo man nach dem Studium erstmal eine Ärztin, ein Arzt zweiter Klasse ist, also nicht die vollen Rechte hat. In Holland ist es auch so, dass die Ärztin/Arzt nach der Approbation erstmal eine andere Rolle hat und einer Weiterbildung zugeteilt wird. Aber bei uns ist es klar definiert, sie, er ist zur vollen Ausübung der Heilkunde berechtigt. Den Facharzt braucht er ja erst, um sich im GKV-Bereich niederzulassen.

esanum: Sie wenden sich auch gegen Zwangsverpflichtungen zu bestimmten Facharztqualifikationen – warum? Was ist Ihr Anliegen in dem Zusammenhang?

Herrmann: Das bezieht sich auf die so genannte Landarztquote: Dass sich ein 18jähriger schon vor dem Studium festlegen soll, nach dem Studium Allgemeinarzt im ländlichen Gebiet zu werden und das auch zehn Jahre lang ausübt - und dafür einen Studienplatz bekommt. Das finden wir falsch. Das kann ein 18jähriger meist noch gar nicht einschätzen, ob er mit 35 auf dem Land leben und arbeiten kann und möchte. Zwang ist immer falsch. Es gibt bessere Anreizsysteme.

esanum: Zum Beispiel?

Herrmann: Wir brauchen entsprechende Rahmenbedingungen, gute Arbeitsbedingungen, teamorientiertes Arbeiten, eine Neuordnung in der Versorgung in Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen. Wir brauchen einfach interessante Angebote. Die lassen sich in der Allgemeinmedizin sehr gut darstellen. In Schleswig-Holstein machen wir das mit unseren Allgemeinmedizinischen Lehrstühlen. Schon während des Studiums bekommen Studenten allgemeinmedizinische Einsätze im ländlichen Raum. Das kann sie überzeugen, dass das die richtige Arbeit für sie ist.

esanum: Haben Sie Erfolge damit?

Herrmann: Haben wir. Es gibt neue, kommunale Trägerschaften, enge Zusammenarbeit mit den Landkreisen, interessante Angebote mit einer engen Begleitung der Weiterzubildenden. Wir haben eine Laufbahnassistenz geschaffen, wo es Beratung für die Studierenden gibt.

esanum: Und wie ist aktuell die Situation im ländlichen Bereich in Schleswig-Holstein?

Herrmann: Natürlich ist sie nicht ganz einfach, weil die Babyboomer auch bei uns allmählich in Rente gehen. Es wird nicht mehr jedes kleine Unterzentrum einen Hausarzt haben. Dafür schaffen wir gerade andere Versorgungsmodelle, beispielsweise Telemedizinische Angebote. Wir werden bestimmte Tätigkeiten, die einen Ärztevorbehalt haben, auf andere qualifizierte Gesundheitsberufe übertragen. Da müssen wir auch ein Umdenken schaffen - sodass wir nicht mehr so viele Arztstellen brauchen, ohne dass jemand darunter leidet. Und noch ein Argument: selbst wenn wir jetzt doppelt so viele Humanmedizin-Studienplätze bekommen würden - ehe die als Fachärzte in der Versorgung ankommen, dauert es 15 Jahre. Und keiner weiß, wie 2035 die Versorgung aussieht: was uns dann zum Beispiel die digitale Medizin abnimmt, was andere Gesundheitsberufe machen können. Wir brauchen Lösungen in den nächsten fünf Jahren.

esanum: Stichwort digitale Lösungen. Werden die Corona-Bedingungen uns hier sogar vorwärtsbringen?

Herrmann: Ja, das erleben wir so. Als Flächenland haben wir seit langem telemedizinische Anwendungen, auch ohne vorhergehenden direkten Patienten-Arzt-Kontakt. Wir waren auch die erste Landesärztekammer, die das berufsrechtlich freigegeben hat. Wir sehen auch eine Zunahme von Videosprechstunden. Und wir hoffen sehr, dass das erhalten bleibt, weil das Arbeitsprozesse erleichtert. Es ist längst nicht mehr einzusehen, dass ich einmal im Quartal in die Praxis gehen muss, um mir ein Rezept abzuholen. Es hat einen digitalen Schub gegeben und wir müssen dafür sorgen, dass der anhält. Eine Herausforderung in nächster Zeit ist, dass das entsprechend vergütet wird.

Anmerkung der Redaktion: Die Sächsische Landesärztekammer hat uns am 01.12.20 darüber informiert, dass der Begriff "Assistenzarzt" bereits 2010 beim Deutschen Ärztetag in Dresden gemäß Antrag V.126 abgeschafft wurde. Wir bemühen uns zeitnah um eine Stellungnahme im Interview. (strz)