Durch Prävention verschwinden Krankheitsbilder aus dem kollektiven Gedächtnis

Impfungen als Opfer ihres eigenen Erfolgs: Prof. Dr. Martina Prelog erklärt, warum erfolgreiche Prävention zu schwindendem Risikobewusstsein führt und welche Entwicklungen in der Impfmedizin Hausärzte kennen sollten.

Interview mit Prof. Dr. Martina Prelog zur Expertenrunde "Impfmedizin in der Hausarztpraxis"

esanum: Frau Prof. Prelog, im Einladungsschreiben zur Expertenrunde zitieren Sie als wissenschaftliche Leiterin den Epidemiologen Geoffrey Rose: "There is no Glory in Prevention". Was bedeutet das für die heutige Impfmedizin in der Hausarztpraxis?

Prof. Martina Prelog: Dieses Zitat spiegelt eines unserer größten Probleme in der Präventionsmedizin wider: Durch die Erfolge der Impfmedizin sehen wir Krankheiten wie Masern oder Poliomyelitis kaum noch. Diese Krankheitsbilder verschwinden dadurch aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung. Die ältere Generation hat noch Polio-Fälle vor Augen oder hat selbst eine Maserninfektion durchlitten. Jüngere Bevölkerungsgruppen oder auch Menschen, die jetzt 50 oder 60 Jahre alt werden – ein Alter, in dem Impfungen wieder wichtiger werden – haben diese Krankheitsbilder nie gesehen. Genau hier liegt die Ironie: Durch die erfolgreiche Präventionsmaßnahme wird das, was wir verhindern wollen, nicht mehr sichtbar, und dadurch wird die Präventionsmaßnahme selbst infrage gestellt.

esanum: Welche neuen Entwicklungen bei mRNA-Impfstoffen werden in der Expertenrunde vorgestellt und warum sind diese für die Hausärzte relevant?

Prof. Martina Prelog: Mit der mRNA-Technologie haben wir bereits zwei Impfstoffarten zur Verfügung: COVID-19-Impfstoffe und einen RSV-Impfstoff. Die Entwicklungspipeline ist sehr groß und bietet spannende Perspektiven. mRNA-Impfstoffe zeichnen sich besonders durch ihre schnelle Anpassungsfähigkeit an neue Virusvarianten aus. In naher Zukunft können wir auch Kombinationsimpfstoffe gegen RSV, Influenza oder COVID-19 erwarten.

Darüber hinaus werden sowohl neue Erreger adressiert – wie HIV, Zika-Virus und andere "emerging pathogens" – als auch altbekannte Krankheitserreger, für die wir noch keine gute Impfprävention haben. Besonders die Entwicklung eines CMV-Impfstoffs fände ich sehr relevant, da dieser bei kongenitalen Infektionen im Säuglingsalter und bei immunsupprimierten Personen große Bedeutung hätte.

esanum: Stichwort RSV-Impfung. Welche konkreten Praxistipps können Hausärzte aus der Fortbildung mitnehmen?

Prof. Martina Prelog: Wir haben derzeit drei zugelassene RSV-Impfstoffe. Zum einen zwei rekombinante proteinbasierte Impfstoffe: einen Prefusionsprotein-Impfstoff, der mit einem vom Zoster-Impfstoff bekannten Adjuvans verstärkt wird, und einen bivalenten Prefusionsprotein-Impfstoff, der nicht nur für Ältere, sondern bereits ab 18 Jahren und auch für die maternale Impfung zugelassen ist. Zum anderen gibt es einen mRNA-Impfstoff, der die codierenden mRNA-Sequenzen für das Prefusionsprotein enthält. Die STIKO empfiehlt die RSV-Impfung mit einem proteinbasierten bzw. mit dem mRNA Impfstoff aktuell ab 60 Jahren für Personen  mit schweren Grunderkrankungen beziehungsweise als Standardimpfung für alle Personen ab 75 Jahren.

esanum: Was müssen Hausärzte über die kommende Influenza-Saison 2025-2026 unbedingt wissen?

Prof. Martina Prelog: Hausärzte sollten unbedingt an die jährliche saisonale Impfung denken. Die Influenza-Impfung ist besonders als Standardimpfung für die über 60-Jährigen relevant, aber prinzipiell stellen unabhängig vom Alter alle Risikogruppen für schwere Influenza-Verläufe eine Indikationsgruppe dar. Wir haben Impfstoffe, die bereits ab sechs Monaten zugelassen sind.

Für Senioren ab 60 Jahren empfiehlt die STIKO die Verwendung weiterentwickelter Impfstoffe wie den Hochdosis-Impfstoff beziehungsweise den MF-59-adjuvantierten Impfstoff, um die Nachteile der Immunoseneszent zu vermeiden, – also den Hochdosis-Impfstoff beziehungsweise den MF-59-adjuvantierten Impfstoff.

esanum: Wie unterstützt die Expertenrunde Hausärzte beim Umgang mit impfskeptischen Patienten?

Prof. Martina Prelog: Da gibt es verschiedene psychologische Modelle, die wir vorstellen werden. Wir geben Tipps für eine sachlich-argumentative Aufklärung, etwa wie man die Wirkprinzipien der Impfstoffe erklärt. Gerade bei mRNA-Impfstoffen ist es wichtig zu betonen, dass es sich nicht um etwas "Mystisches" handelt. Auch der Hinweis auf die Qualitätssicherungsmaßnahmen im Herstellungsprozess sind hier ein wichtiger Aufklärungspunkt.

Oft ist es hilfreich, mit Fallbeispielen oder eigenen Erfahrungen zu arbeiten. Wenn der Arzt beispielsweise sagt: "Ich habe meine Mutter gegen Influenza impfen lassen", kann das Vertrauen schaffen. Studien haben gezeigt, dass die vertrauensbildende Maßnahme durch den Hausarzt eine Schlüsselrolle bei der Akzeptanz von Impfstoffen spielt.

esanum: Gibt es noch etwas Wichtiges, was Sie potenziellen Teilnehmern der Fortbildung mitgeben möchten?

Prof. Martina Prelog: In meinem Teil zu mRNA-Technologien werde ich neue Einblicke in die Herstellungsverfahren und Qualitätssicherungsmaßnahmen geben sowie auf neue Entwicklungen eingehen. Dabei werde ich auch auf die mittlerweile mehrjährige Erfahrung mit mRNA-Impfstoffen hinweisen. Diese Informationen können besonders wertvoll sein, um Patienten fundiert zu beraten und Bedenken auszuräumen.

Expertenrunde: Impfmedizin für die Hausarztpraxis

Prof. Martina Prelog ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Kinder-Rheumatologie und Infektiologie am Uniklinikum Würzburg sowie wissenschaftliche Leiterin der esanum Expertenrunde "Impfmedizin für die Hausarztpraxis". Die CME-zertifizierte Online-Fortbildung findet am Mittwoch, den 24.9. ab 16:30 Uhr statt. Diese CME-zertifizierte Online-Fortbildung für Ärzte/Ärztinnen mit Interesse an Impfmedizin besteht aus einer Abfolge von Impulsvorträgen, die in der Expertenrunde ausführlich diskutiert werden. Mehr zur Expertenrunde und Anmeldung finden Sie hier.