Expertenrunde "Covid-19 in der Praxis"

Aus dem Stand nahmen über 4.300 HausärztInnen und andere FachärztInnen am esanum CME-zertifizierten live Webinar "Covid-19 in der Praxis" teil. Fachleute diskutierten praxisrelevante Fragen, die jetzt beinahe jeden Niedergelassenen umtreiben.

Intensivbetten sind wichtig – aber ohne HausärztInnen und Niedergelassene geht es auch nicht

Aus dem Stand nahmen über 4.300 HausärztInnen und andere FachärztInnen am esanum CME-zertifizierten live Webinar "Covid-19 in der Praxis" teil. Fachleute diskutierten praxisrelevante Fragen, die jetzt beinahe jeden Niedergelassenen umtreiben: Von der Maskenknappheit, über Herdenimmunität, bis hin zu neuen Abrechnungs-Modi. Interaktives Fragen und Antworten garantierte brandaktuelle Informationen für den Arbeitsalltag von ÄrztInnen. 

Ärzte-Fortbildung online – neu ist das nicht, aber es entstehen in Corona-Zeiten neue Ideen, neue Formen, die durchaus belebend und lehrreich sein können. Wie zum Beispiel das Format “Covid-19 in der Praxis”, das die online-Ärzteplattform esanum jetzt zum ersten Mal gesendet hat: Zwei intensive, spannende und sogar unterhaltsame Stunden Expertengespräch rund um den Umgang der deutschen HausärztInnen mit der Corona-Pandemie.

Dr. Petra Sandow, Hausärztin mit eigener Praxis in Berlin-Charlottenburg, moderierte das kostenfreie Live-Webinar und berichtete zugleich aus eigener Erfahrung. Als Experten geladen waren Prof. Dr. Thomas Weinke, Infektiologe und ärztlicher Direktor des "Ernst von Bergmann Klinikums" Potsdam, sowie Dr. Thomas Schultz, niedergelassener Pneumologe in Berlin.

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Gleich zu Beginn live zugeschaltet war ein italienischer Experte, der hautnah über das Pandemie-Geschehen berichten kann. Dr. Enrico Storti, Direktor der Notaufnahme und der Abteilung für Anästhesiologie und Reanimation im Krankenhaus Lodi/Italien, gab Teilnehmenden seine Erfahrungen weiter. In seinem Krankenhaus wurde Italiens erster Patient diagnostiziert. Jetzt haben sie ein System entwickelt, bei dem PatientInnen mit nur leichten Symptomen sofort wieder nach Hause geschickt werden. Dort füllen sie dann zweimal täglich ein Formular zu ihrem Befinden aus und bestimmte Marker führen zu einer direkten Wiedereinweisung. So entlasten sie den Klinikbetrieb – und sind trotzdem für die PatientInnen da. Seinen deutschen KollegInnen machte Dr. Storti Mut und empfahl im Kampf gegen den unsichtbaren Feind: Ändere täglich deine Meinung, wenn es nötig ist. Denn täglich kämen neue Informationen zu dieser neuen Krankheit herein.

Mehrheit der ÄrztInnen zeigt sich in Corona-Krise optimistisch

Was ist also neu in den Praxen im Land? Ehe die Fachleute sich äußern, nehmen die Webinar-TeilnehmerInnen ein Voting vor. Eine überwiegende Mehrzahl der ÄrztInnen (63%) sieht das Ganze eher optimistisch:  sie sagen, diese Krise sei ein großer Stresstest für die medizinische Versorgung, aber man wird sich auf die neue Situation einstellen können. Fast ein Drittel befürchtet dagegen, dass die HausärztInnen der Herausforderung nicht gewachsen sein könnten. Und 9% meinen, das ganze Thema sei ohnehin zu heiß gekocht, bald würde alles wieder den gewohnten Gang gehen.

Auf die Frage, wie sie ihre persönliche Praxis-Situation einschätzen, sagen 27%, dass sie vermutlich bald schließen müssten. Demgegenüber stehen 41%, die sagen, sie verwenden drauf jetzt keinen Gedanken, sie konzentrieren sich auf ihre Arbeit. Auf sie habe das alles keine großen Auswirkungen sagen 31%.

Insgesamt erklären die ÄrztInnen, derzeit kämen 41% der PatientInnen in die Praxen, andere blieben weg oder telefonieren lieber. Dr. Thomas Schultz gibt als Pneumologe zu bedenken, dass für bestimmte Entscheidungen das Stethoskop unverzichtbar, der persönlichen Kontakt also weiterhin geboten sei.

Häufigste Frage: Warum erkranken manche schwer und andere nicht?

Das Webinar beschäftigte sich sowohl mit Fragen der Beschaffenheit des neuen Corona-Virus im Vergleich zu SARS und MERS als auch mit der Tatsache, dass derzeit weltweit 5% der Erkrankten versterben, während die Mortalität in Deutschland nur 1,1% beträgt.

Schon nach 20 Minuten hat Moderatorin Dr. Petra Sandow so viele Fragen der TeilnehmerInnen auf dem Screen, dass sie nur einige auswählen kann. So zum Beispiel die Frage, die alle beschäftigt: Warum erkranken manche schwer und andere spüren gar nichts? Dazu gibt es derzeit nur die bekannte und nicht sehr differenzierte Aussage: Alter und Komorbidität bestimmen das Geschehen bei jedem Einzelnen. Ob uns Covid-19 ab jetzt jeden Winter heimsuchen wird, dazu gibt es noch keinerlei belastbare Prognose.

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Noch viele Wissenslücken und Unsicherheiten auch unter ÄrztInnen

Viele praxisrelevante Fragen wurden beantwortet, die zugleich zeigen, wie groß die Wissenslücken und Unsicherheiten auch unter ÄrztInnen derzeit noch ist: Wer soll den Test bekommen? Überlebt das Virus auf Flächen – und wie lange? Helfen vielleicht antivirale Substanzen, die es schon gibt? Gibt es eine dauerhafte Immunität nach überstandener Infektion? Ist es ratsam, sich selbst zu infizieren, um danach immun zu sein und weiterarbeiten zu können? Hier warnte der Infektiologe Prof. Weinke entschieden: Bloß nicht, da sei man noch auf zu dünnem Eis.

Auch fachlich konkret wurde es im Laufe der zwei prall mit Informationen gefüllten Stunden. So zeigte Dr. Thomas Schulz, was genau das Virus mit der Lunge im schlimmsten Fall anrichtet.

120 Arztpraxen haben in Berlin aktuell geschlossen

Am Schluss gab es Praxis-Tipps für HausärztInnen, die mehr machen wollen, die bei sich noch Kapazitäten sehen. In Berlin können sie sich zum Beispiel als "Covid-Fieber-Praxis" melden – eine Initiative der Kassenärztlichen Vereinigung.

Demgegenüber steht eine Zahl, die Dr. Sandow nicht ohne Besorgnis nannte: 120 Arztpraxen haben in Berlin aktuell geschlossen, zum großen Teil wegen Erkrankung, einige haben sogar ihre Kassenzulassung zurückgegeben. Dazu erklärte Dr. Schultz: Letzteres sei für ihn kein geeignetes Vorgehen, er nannte es unethisch, derzeit die Kassenzulassung niederzulegen. Wir Niedergelassenen sind die Entlastung der Krankenhäuser, damit diese nicht überlaufen werden, meinte er. Man müsse sich vielmehr vernetzen, jeder könne das tun, was ihm möglich sei. Das Virus sei so neu, die ganze Situation sei so neu, da braucht es auch neue Lösungen. Wir Pneumologen sind jedenfalls noch nicht überlaufen – so seine klare Aussage.

Liste der Mangelerscheinungen ist lang

Dr. Sandow gab eine detaillierte Übersicht, was alles HausärztInnen jetzt drückt: Ressourcenmangel, Personalmangel, Zeitmangel – die Liste der Mangelerscheinungen ist lang. Gleichzeitig gelten neue Regeln für extrabudgetäre Leistungen und Abrechnungsziffern, die Dr. Sandow an Hand von Sheets erklärte. Zum hochbrisanten Thema Masken gab es eine kleine Aufmunterung: Sie seien unterwegs und würden derzeit verteilt.

Das vorläufige Fazit von Prof. Weinke ist ebenfalls vorsichtig optimistisch. In seiner Klinik arbeiten jetzt Teams zusammen, deren Zusammensetzung früher undenkbar war, sie improvisieren jeden Tag - und sie haben Freude daran.

Veranstaltung von 68% der Teilnehmenden als "sehr informativ" bewertet

Ganz am Schluss gab es wieder ein Voting der Teilnehmenden zur Qualität der Online-Veranstaltung. 68% gefiel sie als sehr informativ, 27% fanden sie okay, hätten aber gern noch mehr gehört, 4% sagten, das Ganze hätte ihnen nichts gebracht.

Zahlen, die dem esanum-Team eindeutig zeigen: Bitte weitermachen!

Neue Podcast-Serie zur Situation in den Praxen

Bis zum nächsten Covid-19-Webinar auf esanum können ÄrztInnen unter der neuen Podcast-Serie „Covid 19 in der Praxis“ folgen, in denen es regelmäßig um einzelne Aspekte der aktuellen Situation in den Praxen geht. 

Die Expertenrunde "Covid-19 in der Praxis" vom 1. April 2020 ist unter diesem Link als Video On-Demand abrufbar. In wenigen Tagen wird das Programm für das nächste CME-Webinar der Reihe “Covid-19 in der Praxis” unter www.esanum.de/live abrufbar sein, welches am 15. April 2020, erneut von 14:00 – 16:00, im Livestream zu sehen sein wird.