Im deutschen Gesundheitssystem nehmen Hausärzte eine Schlüsselrolle bei der Impfung erwachsener Patienten ein, insbesondere derjenigen, die besonderen Risikogruppen angehören. Während die Impfversorgung von Kindern durch Einrichtungen und den öffentlichen Gesundheitsdienst gut strukturiert abläuft, erfordert der Impfschutz gefährdeter Erwachsener eine aktive Beratung, sorgfältige Dokumentation und konsequente Nachverfolgung durch die hausärztliche Praxis.
In wurden in der Saison 2021/22 nur etwa 43% der Erwachsenen ab 60 Jahren gegen Influenza geimpft, während die Impfraten für und Herpes Zoster in den entsprechenden Risikogruppen weiterhin unter 10% liegen. Europaweit sank die Influenza-Impfquote bei älteren Menschen von 59% in der Saison 2020/21 auf 45,7% in 2023/24, wobei der Rückgang in vielen Ländern zwischen 3% und 10% betrug. Angesichts dieser anhaltend niedrigen Impfquoten in bestimmten Zielgruppen ist es unerlässlich, das Wissen, die Kommunikation und die Aufklärung über Mythen am Ort der Versorgung zu stärken.
Patienten mit Begleiterkrankungen, altersbedingter Immunschwäche oder beeinträchtigtem Immunsystem sind besonders anfällig für schwerwiegende Verläufe häufiger viraler oder bakterieller Infektionen. Krankenhauseinweisungen, Funktionseinschränkungen und langfristige Komplikationen können oft durch rechtzeitige Impfmaßnahmen verhindert werden. Die STIKO am Robert Koch-Institut passt ihre Empfehlungen regelmäßig an neue epidemiologische und klinische Erkenntnisse an. Für Hausärzte bleibt es eine fortlaufende Herausforderung, diese Leitlinien in individuelle, patientengerechte Entscheidungen zu übersetzen.
Pneumokokken-Impfung
Pneumokokkeninfektionen sind eine häufige Ursache für , Bakteriämie und Meningitis bei älteren Erwachsenen. Die STIKO empfiehlt eine Einzeldosis des 20-valenten Konjugatimpfstoffs (PCV20) für:
- alle Erwachsenen ≥ 60 Jahre;
- Personen ≥ 18 Jahre mit chronischen Herz-, Lungen-, Leber- oder Nierenerkrankungen, Diabetes oder anderen immunschwächenden Erkrankungen.
Bei Patienten, die zuvor PPSV23 erhalten haben, sollte nach mindestens sechs Jahren eine Auffrischungsdosis PCV20 verabreicht werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind leichte lokale Reaktionen. Das Nutzen-Risiko-Profil ist eindeutig günstig: Die Impfung reduziert die Inzidenz invasiver Pneumokokken-Erkrankungen und damit verbundener Krankenhausaufenthalte.
Herpes-Zoster-Impfung
kann insbesondere bei älteren und immungeschwächten Personen zu erheblicher Morbidität führen. Der rekombinante Subunit-Impfstoff (Shingrix®) wird empfohlen für:
- alle Erwachsenen ≥ 60 Jahre;
- Personen ≥ 50 Jahre mit erhöhtem Risiko (z. B. Diabetes, Krebs, Autoimmunerkrankungen).
Shingrix wird in zwei Dosen im Abstand von 2–6 Monaten verabreicht und bietet eine Wirksamkeit von über 90 % sowie einen langfristigen Schutz vor und postherpetischer Neuralgie. Zu den Nebenwirkungen zählen Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit oder leichtes Fieber. Wie bei der Pneumokokkenimpfung rechtfertigt die Krankheitslast eine routinemäßige Impfung.
Grippeimpfung
Die stellt nach wie vor eine unterschätzte Gefahr für gefährdete Erwachsene dar, insbesondere für ältere Menschen und Patienten mit - oder .
Die STIKO empfiehlt eine jährliche Impfung:
- für alle Erwachsenen ab 60 Jahren;
- für Menschen mit chronischen Erkrankungen;
- für Schwangere und Beschäftigte im Gesundheitswesen.
Für ältere Menschen und Risikopatienten wird bevorzugt der hochdosierte quadrivalente Impfstoff (wie beispielsweise Efluelda®) oder eine adjuvantierte Variante empfohlen. Die Impfung sollte idealerweise zwischen Oktober und Dezember erfolgen. Entgegen weit verbreiteten Irrtümern verursachen Grippeimpfstoffe keine Grippe, und ihr Schutz reduziert Krankenhausaufenthalte und Sterblichkeit in Risikogruppen erheblich.
RSV-Impfung
Das ) hat als Ursache für schwere Infektionen der unteren Atemwege bei älteren Erwachsenen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2024 aktualisierte die STIKO ihre Leitlinien und empfiehlt nun eine einmalige mit Arexvy® oder Abrysvo® für:
- Erwachsene ≥ 75 Jahre;
- Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren mit Risikofaktoren (z. B. COPD, Herzinsuffizienz, Diabetes).
Klinische Studien belegen eine deutliche Reduktion sowohl der medizinisch behandlungsbedürftigen RSV-Infektionen als auch der damit verbundenen Krankenhauseinweisungen. Die Verträglichkeit ist gut, die Nebenwirkungen ähneln denen von Grippeimpfstoffen. Hausärzte sollten aktiv geeignete Patienten identifizieren und häufige Zweifel ausräumen, insbesondere da RSV in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt ist.
Umgang mit Impfskepsis und Mythen
Falsche Vorstellungen beeinträchtigen weiterhin die Impfbereitschaft, insbesondere bei älteren oder chronisch kranken Patienten. Viele lehnen Impfungen ab, weil sie „nie krank werden“, langfristige Nebenwirkungen befürchten oder neuen Produkten misstrauen. Andere erinnern sich an leichte Nebenwirkungen in der Vergangenheit und übertragen diese pauschal auf alle zukünftigen Impfungen. begegnen häufig folgenden Überzeugungen:
- „Ich werde nie krank, daher brauche ich keine Impfungen“, insbesondere bei gesunden älteren Erwachsenen;
- „Zu viele Impfungen schwächen das Immunsystem“, eine häufige, aber unbegründete Sorge bei multimorbiden Patienten;
- „Dieser Impfstoff ist zu neu“, insbesondere in Bezug auf RSV und den rekombinanten Zoster-Impfstoff;
- „Ich habe einmal eine schwere Nebenwirkung auf einen Impfstoff gehabt“, was dazu führt, dass alle Impfstoffe unabhängig vom Kontext gemieden werden;
- und nicht zuletzt hält sich, wenn auch zunehmend seltener, der Mythos, Impfstoffe könnten Autismus verursachen – eine Behauptung, die trotz ihrer vollständigen wissenschaftlichen Widerlegung durch die internationale Forschungsgemeinschaft weiterhin in sozialen Medien zirkuliert.
Weit verbreitet ist auch die Verwechslung von zeitlichen Zusammenhängen mit ursächlichen Beziehungen – etwa wenn grippeähnliche Symptome nach einer Influenzaimpfung auftreten oder wenn Herpes-Zoster-Ausbrüche zufällig mit dem Zeitpunkt einer Impfung zusammenfallen, ohne dass ein kausaler Zusammenhang besteht.
Hausärzte sollten diesen Bedenken mit Einfühlungsvermögen, Klarheit und Fakten begegnen. Zu erklären, dass Impfstoffe streng getestet werden, dass leichte Nebenwirkungen erwartete Anzeichen einer Immunaktivierung sind und dass schwerwiegende unerwünschte Ereignisse äußerst selten sind, hilft dabei, das zu gestalten. Das Teilen realer Patientenfälle, das Verwenden von Analogien und das Korrigieren von Mythen ohne Wertung schafft oft mehr Vertrauen als reine Daten allein.
Hausärzte können das Vertrauen in Impfstoffe wiederherstellen
Über die hier dargestellten Impfungen hinaus übernehmen Hausärzte auch eine zentrale Funktion bei der Empfehlung und Durchführung weiterer wichtiger Schutzimpfungen. Zum Beispiel bei der HPV-Impfung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, insbesondere in Fällen, in denen die Impfung nicht im Kindesalter durchgeführt wurde. Die Gewährleistung des Schutzes in allen Lebensphasen ist eine Verantwortung, die in der Hausarztpraxis beginnt und oft auch dort verbleibt.
Die hat nicht nur nachhaltige Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit gehabt, sondern auch tiefgreifende Spuren im Vertrauen der Bevölkerung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen und medizinischen Einrichtungen hinterlassen.
Allgemeinmediziner, die langfristige Beziehungen zu ihren Patienten pflegen, sind ideal positioniert, um durch konsistente, transparente das Vertrauen wiederherzustellen. In einer Zeit, in der soziale Medien sowohl Fehlinformationen als auch verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse verstärken, können Hausärzte sich dafür entscheiden, eine glaubwürdige Stimme zu sein – nicht nur in der Sprechstunde, sondern auch online. Durch die Verbreitung evidenzbasierter Botschaften, die Entlarvung von Mythen und den offenen Dialog mit der Öffentlichkeit können Ärzte dazu beitragen, eine Kultur des Vertrauens und der Prävention zu schaffen.
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