Nehmen Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit Cannabiskonsum zu?

Eine aktuelle Studie berichtet über einen starken Anstieg der Verkehrsunfälle mit Cannabisbeteiligung in den letzten Jahren. Doch es bleiben viele Fragezeichen.

Verkehrsunfälle und Cannabiskonsum: Neue Daten, aber noch viele offene Fragen

Was wissen wir über den Einfluss von Cannabis im Straßenverkehr?

Eine aktuell im Journal of the American Medical Association veröffentlichte kanadische Studie untersuchte Veränderungen bei den Notaufnahme-Statistiken in drei Zeiträumen: vor der Legalisierung (2010–2018), nach der Legalisierung mit Beschränkungen für Produkte und den Einzelhandel (2018–Februar 2020) und nach der Kommerzialisierung mit neuen Produkten und einer größeren Anzahl von Verkaufsstellen, welche mit der COVID-19-Krise zusammenfiel (März 2020–Dezember 2021).

Es wurden 426 Vorstellungen in Notaufnahmen wegen Verkehrsunfällen mit Cannabisbeteiligung dokumentiert, was einem Anstieg um 475,3% über den Studienzeitraum von 11 Jahren hinweg entspricht.1
Trotz der relativ geringen Gesamtfallzahlen zeichnete sich ein Trend dafür ab, dass vor allem junge Männer eine Risikogruppe darstellen. Von den 418 Personen mit dokumentiertem Cannabiskonsum waren 79% männlich, 26% waren zwischen 16 und 21 Jahren alt und 27% hatten in den zwei Jahren vor dem Verkehrsunfall schon einmal einen Notaufnahme- oder Krankenhausaufenthalt wegen Drogenkonsums.

Die Legalisierung selbst schien dabei nicht mit einem Anstieg der cannabisassoziierten Verkehrsunfälle verbunden – die Kommerzialisierung von Cannabis für nichtmedizinische Zwecke hingegen schon. Diese Phase überschnitt sich mit der Coronakrise und war durch einen wachsenden Marktzugang und eine zunehmende Vielfalt an Cannabisprodukten charakterisiert. Die kanadische Regierung hat zwar einen Grenzwert festgelegt (Fahrer mit einem THC-Gehalt von über 2 ng/ml werden strafrechtlich verfolgt), die Uneinheitlichkeit der Cannabisprodukte in Bezug auf deren THC-Gehalt dürfte es für die Konsumenten jedoch schwierig bis unmöglich machen, die aufgenommene Dosis abzuschätzen. Bei Alkohol ist es dagegen einfach, zumindest auszurechnen, wie viel Gramm reines Ethanol in einem Glas Bier oder Wein steckt.

Unfälle durch alkoholisiertes Fahren sind ein noch größeres Problem

Besorgniserregend waren die Zahlen zu den Verkehrsunfällen mit Alkoholeinfluss. Allen jahrelangen Aufklärungs- und Vorsorgebemühungen zum Trotz sind diese im Studienzeitraum weiter gestiegen, um 9,4%.
Cannabiskonsum war (trotz des alarmierenden Anstiegs) nach wie vor nur selten an Verkehrsunfällen beteiligt. Insgesamt wurden 947.000 Besuche in der Notaufnahme im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen dokumentiert, von diesen entfielen 426 (0,04%) auf eine Beteiligung von Cannabis und 7.564 (0,8%) auf eine Beteiligung von Alkohol. 

Autofahren unter Cannabiseinfluss muss ebenso verhindert werden wie alkoholisiertes Fahren. Es geht hier vor allem um junge Menschen. Das Durchschnittsalter der Notaufnahme-Patienten nach Verkehrsunfall mit Cannabisbeteiligung betrug 30,6 Jahre.

Doch Versuche, einen Atemlufttest zur Messung des THC-Gehalts, der wichtigsten psychoaktiven Substanz in der Marihuanapflanze, zu entwickeln, sind weitgehend gescheitert, weil das THC-Molekül viel größer als Ethanol ist und sich nach der Einnahme ganz anders verhält als Alkohol.2

Die Lücke: Es gibt noch keinen Routine-„Breathalyzer“ für Cannabis

Rückstände von Cannabis, etwa im Urin-Screening, sind noch eine ganze Zeit nach Konsum messbar. Dieser Nachweis ist daher schlecht geeignet, um dingfest zu machen, ob derjenige zum Zeitpunkt des Unfalls „high“ war. Die Messung von THC und seinen Metaboliten im Blut ist aber mit zweierlei Schwierigkeiten behaftet: Sie erfordert spezialisierte Testverfahren, die nicht überall verfügbar sind. Zudem gilt auch dieser Wert alleinig nicht als zuverlässiges Maß für die Fahrtüchtigkeit, da die Beeinträchtigung nachlaufen, also noch zunehmen kann, während die Blutspiegel schon wieder rückläufig sind. Die Situation ist also nicht vergleichbar mit der Blutalkoholkonzentration (BAK), die ein genaues Maß für die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit liefert.3

Die Studie versuchte, "Cannabisbeteiligung" an der Anwesenheit eines passenden ICD-Codes in der Patientenakte festzumachen. Mitgezählt wurden alle Patienten, bei denen zum Beispiel "Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide" (F12.X) oder "Cannabisintoxikation" (T40.7) als Haupt- oder Mitursache für den Besuch der Notaufnahme nach Verkehrsunfall dokumentiert waren oder bei denen bei Klinikeinweisung oder Verlegung in ein anderes Haus ein Cannabiscode verwendet wurde.

In mehreren Kommentaren zur Studie im JAMA wird dies als Limitation kritisiert. Da Cannabismissbrauch meist eine langfristige Verhaltensstörung darstelle, sei die Trennung zwischen Freizeit-Konsumenten und tatsächlich zum Unfallzeitpunkt Intoxikierten nicht gegeben. Die Publikation erwähnt leider nicht, ob oder bei wie vielen Patienten toxikologische Untersuchungen durchgeführt wurden und falls ja, welcher Anteil der Patienten Testergebnisse hatte, die auf einen unmittelbar vorangehenden Konsum schließen lassen. Jedoch beurteilte das Behandlungsteam, dass eine akute Cannabisintoxikation oder ein schädlicher Cannabiskonsum in 74,2% der Fälle haupt- oder mitursächlich für den Besuch der Notaufnahme nach Verkehrsunfall war.

Da heute mehr Menschen Cannabis konsumieren, werden zwangsläufig auch in Notaufnahmen mehr Patienten vertreten sein, die Cannabis in ihrem System haben. Weitere, methodisch solide Studien wären also nötig, um auswerten zu können, in wie vielen Fällen Cannabis oder dessen Rückstände nicht nur anwesend, sondern verantwortlich sind.
 

Quelle:
  1. Myran, D. T., Gaudreault, A., Pugliese, M., Manuel, D. G. & Tanuseputro, P. Cannabis-Involved Traffic Injury Emergency Department Visits After Cannabis Legalization and Commercialization. JAMA Network Open 6, e2331551 (2023).

  2. How are marijuana and THC levels measured among drivers? The Journalist’s Resource https://journalistsresource.org/health/marijuana-driving/ (2023).

  3. Olson, S. Marijuana Impairment FAQ. Indigent Defense Services https://www.ncids.org/2021/marijuana-impairment-faq/ (2021).

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